1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 Die letzten Stunden waren sie mit der Karte in der Hand gegangen.
»Wir müssen nah dran sein«, sagte Pintel, der es im Gehen fertigbrachte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und einen Blick auf die Karte zu werfen, die Jerina trug. »Gibt’s hier Felsen? Der Eingang liegt in einem Felsspalt, oder so lese ich das jedenfalls.«
»Drüben, wenn ich mich recht erinnere.« Fenrir zeigte quer zum Hang in südliche Richtung. »Eine größere Felsgruppe, nicht weit von hier. Es würde lohnen, sie zu untersuchen.«
Eine kurze Wegstrecke später standen sie vor einer Felswand von etwa doppelter Mannshöhe, die sich von Nord nach Süd durchs Gelände zog. Auf ihrem Rücken setzte sich der dichte Wald fort, und er reichte bis direkt an ihren Fuß heran. Die Wand selbst war dicht mit pelzigem Moos bewachsen. Farne ragten wie Federbüsche aus schmalen Felsspalten, und die glatten, dunklen Blätter eines dichten Efeuvorhanges glänzten in der schräg stehenden Sonne.
»Dann lasst uns mal suchen«, sagte Krona. »Pintel und ich hier entlang, Fenrir und Jerina in die andere Richtung. Seht zu, dass wir in Rufweite bleiben.«
»Jawoll, Hauptmann!« Pintel salutierte grinsend. Fenrir warf Krona einen langen, schweigenden Blick zu, setzte sich dann in Bewegung und zog Jerina mit sich. Der jungen Frau hätte eine Pause gut getan, sie schien kurz vor dem Zusammenbruch, folgte Fenrir aber ohne zu zögern.
Es war kein leichtes Vorankommen auf dem felsigen, abschüssigen Boden. Baumwurzeln krallten sich in den Fels und gaben wirksame Stolperfallen ab, und der Nadelwald war mancherorts so dicht an die Felswand herangerückt, dass ihnen nichts übrig blieb, als sich durch das stachelige Gesträuch zu kämpfen. Krona, die voranging, bemühte sich, gleichzeitig auf ihren Weg zu achten und dabei die Felswand im Auge zu behalten. Von hinten drang Pintels atemloses Geplapper zu ihr.
»Ist das spannend! Was werden wir wohl vorfinden? Ich frage mich, ob es ein verzaubertes Labyrinth sein wird. Weißt du, es ist etwas völlig anderes, die Zauberei in der Theorie zu studieren, oder ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten! Die Zauberei ist eine präzise Wissenschaft, aber ein Quäntchen Unberechenbarkeit ist immer in ihr. Ich habe das nämlich lange studiert! Es gibt da die Rosenbergsche Unschärferelation, die besagt, dass die arkanen Kräfte gelegentlich ein wenig anders reagieren als berechnet. Natürlich ist es eigentlich viel komplizierter. Manchmal ist nur die Farbe anders, das heißt, wenn es sich um einen Zauber handelt, der mit Farben zu tun hat, manchmal wirken sie sich etwas schwächer oder stärker aus als geplant, und manchmal passieren völlig unvorhergesehene Dinge, das ist glücklicherweise selten, sonst gäbe es keine alten Zauberer, aber so Sachen wie das mit der Kuh gehören beinahe schon zum Alltag eines Zauberers …«
Krona hörte kaum hin. Für sie verband sich Pintels Wortschwall mit den Geräuschen des Waldes zu einer Geräuschkulisse, die sie entspannt über sich hinweg streichen ließ. Sie wurde erst hellhörig, als Pintel verstummte.
Sie drehte sich um. Pintel war verschwunden. Sie ging einige Schritte zurück.
»Pintel?«, rief sie. Keine Antwort.
Sie schluckte plötzliche Nervosität, strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn und sah sich um. Was hatte er erzählt, von Zauberei, die manchmal nicht funktionierte? Hatte er sich versehentlich in Luft aufgelöst? Sie schüttelte den Kopf. Dumme Kuh . Es ist wahrscheinlicher, dass er einfach den Hang hinunter gepurzelt ist. Sie beugte sich vor, um hangabwärts etwas erkennen zu können, und hätte beinahe selbst das Gleichgewicht verloren, als seine Stimme plötzlich hinter ihr erklang.
»Ich hab’s gefunden«, verkündete er strahlend und hielt einen dichten Vorhang von Efeu beiseite.
»Mach das nicht noch mal«, sagte sie und versuchte, ihr galoppierendes Herz zu beruhigen.
»Kann ich gar nicht«, erklärte er. »Ich meine, jetzt, wo ich’ s einmal gefunden habe, werde ich’ s nicht noch einmal finden, weil ich es ja nicht mehr suchen muss. Es gibt zwar Dinge, die man mehrmals finden kann, wenn man sie immer wieder verliert – Geldbeutel und Ähnliches – obwohl andererseits die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist, dass man einen verlorenen Geldbeutel wieder findet …«
»Pintel!«
»Höhleneingänge jedenfalls würde ich nicht dazu zählen«, schloss Pintel rasch.
Krona spähte unter den Efeuvorhang. Tatsächlich befand sich dort, im Schatten kaum sichtbar, ein schmaler Spalt, der in den Hang hinein führte.
»Das soll ’s sein? Sieht mir nicht aus, als würde es sonderlich tief rein gehen.«
»Tut es auch nicht«, bestätigte Pintel.
»Also was ist dann damit?«
»Es geht nicht tief rein, weil es nach ein paar Schritten an einer Tür endet«, erklärte Pintel.
»Du Spaßvogel! Sag das doch gleich.«
»Für meine Verhältnisse war das gleich.«
»Holen wir die anderen«, sagte Krona seufzend.
Kurz darauf standen sie vollzählig vor dem Spalt und schauten hinein.
»Ich könnte vorangehen und die Tür öffnen«, erbot sich Pintel eifrig. »Ich brauche nur ein bisschen Licht. Ich kriege jedes Schloss auf. Na, fast jedes.«
»Nicht nötig«, sagte Jerina. »Der Hauptmann hat doch diesen Schlüssel.«
»Oh«, sagte Pintel enttäuscht.
»Worauf warten wir?«, drängte Jerina. »Lasst uns gehen!«
Krona warf der jungen Frau einen Seitenblick zu. Jerina war eindeutig vom Schatzfieber gepackt, auf ihren blassen Wangen leuchteten rote Flecken. Sie konnte es kaum erwarten, sich in den dunklen Spalt zu stürzen, aus dem feuchte, kalte Luft drang. Krona fand das ungewöhnlich für ein Stadtkind. Sie selbst hätte es vorgezogen, die Aufgabe unter freiem Himmel erledigen zu können, und Fenrir, so meinte sie aufzufangen, teilte ihre Empfindung. Er hielt sich einen Schritt fern von dem Spalt und ließ den Blick unruhig über den Wald schweifen.
»Macht Licht«, befahl Krona. »Eine Fackel und eine Laterne. Jerina, du trägst die Fackel, Pintel nimmt die Laterne. Wir sollten sparsam mit unserem Vorrat umgehen. Ich will da drin nicht ohne Licht festsitzen.«
»Es gibt Zauber, die Licht machen«, erklärte Pintel, während er seinen Rucksack abnahm und seine Laterne aus ihrer Halterung löste. »Allerdings nur kurz, und oft machen sie einen riesigen Wumms dazu. Es gibt auch andere, aber die beherrsche ich nicht. Ich dachte immer, ich lerne lieber, die Dinge mit Zauberei zu machen, die ich ohne nicht kann, versteht ihr? Fliegen und so.«
»Du kannst fliegen?«, fragte Krona erstaunt.
»Noch nicht.« Pintel zwinkerte. »Aber ich arbeite daran. Na ja, und ehe ich nicht sicher bin, will ich’s nicht versuchen.«
Als Jerinas Fackel brannte, leuchtete sie in den Spalt. Gelb flackerte das Licht auf dem Fels und zeigte einen sich verschmälernden Zugang, dessen unebener Boden deutlich ins Innere abfiel. Sie konnten etwa vier Schritte weit sehen, dann bog der Spalt um die Ecke und entzog seinen weiteren Verlauf ihrem Blick.
»Ich denke, es ist das Beste, wenn ich hier am Eingang Wache stehe«, sagte Fenrir. »Dieser Wald ist voller Schrate.«
»Du spinnst wohl«, gab Krona zurück. »Die einzigen Schrate, die wir zu Gesicht gekriegt haben, waren seit Tagen tot. Wir brauchen dich da drin.«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, widersprach Fenrir, sein gelber Blick war unruhig.
»Aber ich weiß«, sagte Krona, »und das ist genug. Die Diskussion endet hier. Los geht ’s.«
»Ich lasse mir keine Befehle erteilen, Hauptmann.« In Fenrirs Stimme klang ein gefährliches Knurren. »Ich bin nicht einer deiner Soldaten, und du machst einen Fehler, wenn du mich trotzdem so behandelst.«
»Die Leitung des Unternehmens liegt bei mir«, fauchte sie zurück. »Das wusstest du, und du kannst sofort nach Hause gehen, wenn dir das nicht gefällt!«
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