Vielleicht sind sie sich gar nicht bewusst, dass sie einen wertvollen Beitrag zu gelebter Nachhaltigkeit geleistet haben, und vielleicht ist es ihnen auch egal, das zu erfahren. Sie sind einfach glücklich und haben andere glücklich gemacht. Jeder einzelne von ihnen ist aber auch der lebende Beweis dafür, dass es jedem Menschen in so gut wie jeder Lebenssituation mit dem entsprechenden Willen möglich ist, seinen ganz persönlichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten. Deswegen finden sich in diesem Buch auch Menschen aus allen Alters-, Bildungs- und Gesellschaftsschichten. Da spricht ein katholischer Priester genauso zu uns wie eine Bäuerin, wir begegnen einem Fischmeister aus dem Waldviertel wie auch einem Fürst aus uraltem Adelsgeschlecht, selbst Politiker kommen zu Wort, die ihre ganz eigenen Wege gegangen sind, und Menschen, die sich sozialen Diensten verschrieben haben und neue, mutige und innovative Wege gegangen sind. Aber auch die Lebensgeschichten und Ideen historischer Persönlichkeiten wie dem „Retter des Wienerwaldes“, Josef Schöffel, oder dem „Erfinder der Nachhaltigkeit“, Carl von Carlowitz, werden unter die Lupe genommen und auf die Nachhaltigkeit ihrer Aktivitäten abgeklopft. Die Auswahl der Lebensgeschichten beruht auf ganz subjektiven Kriterien. Basis dafür waren persönliche Begegnungen, Gespräche und Beobachtungen. Die grundlegenden „Nachhaltigkeits-Erkenntnisse“ aus diesen Gesprächen finden sich zusammengefasst im Anschluss an die Menschenbilder.
Die Seiten in diesem Buch bieten Gedanken und Anregungen und erheben keinen Anspruch auf die letztgültige Wahrheit. Zur Nachhaltigkeit gehört wohl auch, Fragen zu stellen, die andere beantworten, und Wege zu eröffnen, die andere zu Ende gehen. Einen großen Wunsch aber habe ich schon: Mögen die Überlegungen und Lebensgeschichten in diesem Buch dazu beitragen, den etwas erstarrten Begriff Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln und mit Leben zu füllen. Nachhaltigkeit ist mir ein Herzensanliegen, und das möge sie auch für andere werden.
Hermine Hackl
ÖKOLOGIE
ÜBER WALD UND FLUR MIT GEORG GRABHERR
Nachhaltigkeit = Der Natur ihre Ordnung lassen
Es war die Zeit, als das Waldsterben und der dazugehörige „saure Regen“ ziemlich große Besorgniskreise in der Welt zog. Manche Naturschutzorganisationen versuchten, den Weltuntergang herbeizureden, die Forstleute warfen sich in eine Art Dauerverteidigungsposition oder schwiegen streckenweise gänzlich, und das angstgebeutelte Volk verlangte nach fundierten Antworten und nach Lösungen. In dieser Situation wagte es Professor Georg Grabherr, der Naturschutzprofessor der Nation, eine Studie zu starten, die die Hemerobie, also die Natürlichkeit der heimischen Wälder untersuchen sollte. Die Aufregung darob war groß, besonders unter den Forstleuten. Heimlich ballte man die Fäuste. Einer aus der Naturschutzszene, der sich über den geliebten Wald Gedanken macht? Ja, darf denn der das überhaupt?
Er durfte und tat. Was am Ende der Studie herauskam, belegte wissenschaftlich, dass es um den Wald in Österreich gar nicht so schlecht bestellt war und dass die generationenübergreifende, naturnahe Waldwirtschaft der heimischen Forstleute einen wesentlichen Teil zu diesem – im Vergleich zu anderen Ländern – ausgezeichneten Befund beigetragen hatte. Die Fäuste entspannten sich. Entsprechende Gesetze wurden geschaffen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Situation beitrugen. Das Waldsterben geriet allmählich in Vergessenheit. Manchmal flammt es hie und da noch kurz auf – Bedrohungsszenarien bringen immer gute Schlagzeilen. Aber Dauerhiobsbotschaften haben einen starken Abnutzungseffekt und schmälern das Vertrauenskonto der Nachrichtenempfänger. Dieser Mechanismus funktioniert von Mal zu Mal immer schlechter.
Georg Grabherr, hoch dekoriert mit unzähligen wissenschaftlichen Auszeichnungen und nicht zuletzt auch Österreichs „Wissenschaftler des Jahres 2012“, ist deshalb davon überzeugt, dass die Debatte rund um das Waldsterben der Wissenschaft und dem Ansehen der Wissenschaftler langfristig ernstlichen Schaden zugefügt hat. Die meisten Prognosen hätten sich nicht bewahrheitet. Das ist mit einem Blick hinaus in den Wald leicht verifizierbar.
Forschung hätte die Aufgabe, den Dingen auf den Grund zu gehen, für Phänomene und Entwicklungen eine fundierte Erklärung zu suchen und zu finden. Der Erklärung folge die Aufklärung, die einhergehen müsse mit konkreten Handlungsempfehlungen und Lösungsansätzen. Diese „nützliche“ Seite der Wissenschaften sei nicht minder zu achten. In Abwandlung des PR-Grundsatzes „Tue Gutes und rede darüber“ müsste es für die Wissenschaft heißen: „Erforsche die Wahrheit und teile sie mit.“ Die Wissenschaft müsse heraus aus dem Elfenbeinturm und habe die Aufgabe, „begründete Zuversicht zur Lösbarkeit von Problemen zu vermitteln“. Dabei dürften niemals Hypothesen als die absolute und einzige Wahrheit oder als finale Erkenntnis kommuniziert werden. Ein Wissenschaftler müsse sich diesbezüglich „beherrschen“ können. Die Unterscheidung zwischen Hypothese und absoluter Erkenntnis ist für den Laien nur schwer erkennbar und führt oft zu Fehleinschätzungen. Beim Erkennen der Fehleinschätzung aber schwindet das Vertrauen und nutzt sich ab.
Interessant für einen Wissenschaftler ist auch Grabherrs Erkenntnis, dass es manchmal eben keine Erkenntnis, keine Erklärung gebe. An dieser Stelle sei der Punkt gekommen, an dem Bescheidenheit und Demut gefragt sind, weil manches Erkenntnisstreben an der menschlichen Begrenztheit scheitert. Ein Beispiel gefällig? Ein Mammutbaum kann bis zu 4000 Jahre alt werden. Den Lebenszyklus eines solchen Gewächses bis ins Detail zu studieren, ist für einen einzigen Wissenschaftler – im wahrsten Sinne des Wortes – menschenunmöglich. Alle Erkenntnisse dazu können immer nur Momentaufnahmen sein und können nur schwer ein Endergebnis bieten. Ähnlich verhält es sich mit anderen Langzeitthemen, wie eben dem Waldsterben oder etwa dem Klimawandel. Es kann immer nur Hypothesen und Theorien dazu geben, keine absoluten Wahrheiten. Es kann alles ganz anders kommen, als erwartet: deutlich freundlicher, aber auch deutlich heftiger als vorhergesagt. Wesentlich ist, sich bewusst zu machen, dass alles auf der Welt in Systeme eingebunden ist. Wer an einer Stelle im System eine noch so kleine Veränderung vornimmt, kann unter Umständen das gesamte Gefüge verändern. So kann der Ausfall auch nur einer Pflanzen- oder Tierart unter Umständen eine ganze, ungewollte Kettenreaktion in Gang setzen. Grabherr, der begnadete Kommunikator und beseelte Pflanzenliebhaber, hat seine eigenen Bilder, dies zu erklären: Jede Pflanzenart ist wie ein Buchstabe in der Natur. Diese Buchstaben bilden miteinander Wörter und ganze Sätze. Wer nur einen Buchstaben verändert, kann den Sinn eines Wortes, eines ganzen Satzes, einer ganzen Welt verändern. Alles, was wir tun und denken, ist Teil eines großen Ganzen. Eine zu mechanistische Sichtweise ist allerdings fehl am Platz. Verglichen mit einer Präzisionsmaschine sind die ökologischen Systeme und Funktionsstrukturen „lose Werkel, die scheppern, knirschen und krachen“. Daher sind präzise ökologische Prognosen so schwierig.
Der zauberhafte Garten von Georg Grabherr im Wienerwald bietet hier ein verblüffendes Beispiel. Ebendort, in diesem „Garten für das 21. Jahrhundert“ steht ein Bambus. Von dieser Pflanze wurden über Generationen hinweg zahllose Klone, sprich Setzlinge, genommen, die eigentlich nicht mehr miteinander verbunden sind. Alle Klone dieser Pflanze, blühen – wie von Zauberhand geführt – überall auf der ganzen Welt exakt zur gleichen Zeit.
Erst im Laufe des Gesprächs mit dem Wissenschaftler Georg Grabherr ist mir bewusst geworden, wie viele menschliche Züge auch die Pflanzen tragen. Pflanzen stehen genauso in Konkurrenz zueinander wie Menschen und ergehen sich mitunter in brutalen Ausleseverfahren. Wenn sich jedoch die Richtigen am geeigneten Ort treffen, bilden sie friedvolle Gemeinschaften und beschützen und fördern einander. Wo hingegen viele von einer einzigen Art an einem Platz sind, wie es bei Monokulturen der Fall ist, kann sich das Einzelindividuum nur spärlich entfalten. Das geschieht sogar nach einer exakt berechenbaren mathematischen Gesetzmäßigkeit. Wenn jedoch mehrere Arten an einem Ort stehen, ist die gegenseitige Förderung sehr viel wahrscheinlicher und damit das System wesentlich stabiler. Alleine das ist schon ein besonders schlagkräftiges Argument für Artenvielfalt.
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