In der Geste der Zuwendung ist die Osterglocke dem Buschwindröschen ähnlich. Die Zuwendung ist aber durch die Gebärde der Hingabe modifiziert. Nun lernt man in der Seele ein Gefühl kennen, das dem Erstaunen verwandt ist, in dem das Erstaunen aber eine starke Verinnerlichung erfahren hat. Das ist das Bewundern. Dieses Gefühl gehört zu den tiefsten Regungen der menschlichen Seele. Es entsteht, wenn die Natur im Glanz der Schönheit erstrahlt und wenn man die Erhabenheit der Natur erlebt. Oder man bewundert die moralische Größe eines Menschen, bedeutende Werke der Kunst, die Gedankentiefe und geistige Klarheit des Denkers. In der Bewunderung öffnet sich die Seele immer einem Geistigen, das ihr unmittelbar oder durch äußere Erscheinungen entgegentritt.
Längsschnitt durch die Blüte einer Osterglocke .
Wie ist aber die innere Seelengebärde des Bewunderns? Die Seele wendet sich dem, was sie bewundert, offen und rückhaltlos zu. Unter dem Eindruck des Großen und Bedeutenden sind ihre Tore weit geöffnet. Aus der Tiefe kommt ein Verlangen, sich an das hinzugeben, was man erlebt. Die Seele möchte dies in ihr Inneres aufnehmen und mit ihrem eigenen Dasein vereinigen. Das Innere strömt dem Schönen und Erhabenen entgegen, um sich mit ihm zu erfüllen.
Wenn man mit dieser Anschauung die Osterglocke betrachtet, wird ihre Physiognomie verständlich. Sie offenbart sich als Bild des Bewunderns. Am deutlichsten erfasst man den Ausdruck des Bewunderns in der Form der Blüte, auch in ihrem leuchtenden Gelb. Dieses ist in der Nebenkrone intensiver als im Kreis der Blütenblätter, d. h. dort, wo die Seelenkraft innerlicher wirkt. Man findet die Geste des Bewunderns aber auch in der Art, wie Blätter und Blütentrieb aus dem Innenraum der Zwiebel der Sonne entgegenwachsen.
In der physiognomisch-imaginativen Betrachtung lernt man den Naturzusammenhang tiefer verstehen. Indem man nun auch die Osterglocke in ihren Formen und Farben mit der eigenen Seele bewusst durchdringt, erfasst man, wie Bewunderung gerade dann in der Natur auftaucht, wenn sie wie im Frühling besonders schön ist.
Das Leben der Natur und das, was sich in ihm seelenhaft offenbart, stehen offensichtlich in einem inneren Zusammenhang. Im Schneeglöckchen, das als eine der ersten Pflanzen blüht, wenn die Sonne die Erstarrung und Ruhe des Winters zu überwinden anfängt, tritt das Bild des beginnenden Erwachens in der Natur auf. Bald danach erscheint im Krokus das Bild des Sehnens, d. h. jener Regung, die sich einer zukünftigen Erfüllung zuwendet. Wenn dann etwas später die Kraft der Sonne am intensivsten zunimmt und das Leben der Erde sich wieder neu mit der Sonne verbindet, erscheint im Buschwindröschen die Physiognomie des Erstaunens und im vollen Licht der Frühlingssonne, in der Osterglocke, die des Bewunderns. Und wenn der Frühling im Mai seinen Höhepunkt erreicht, leuchtet uns, wie wir in dem vorangehenden Kapitel gesehen haben, in den Tulpen das Bild der Hoffnung entgegen. Das sind Schritte auf einem Wege, auf dem sich in einer sich wandelnden Physiognomie Seelenregungen offenbaren, in denen sich Inneres immer stärker nach außen wendet.
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