SAVONA
Der Wind war kräftig, für uns allerdings nit tauglich. Deshalb mussten wir uns schon in Porto Vadi, einer Genueser Festung unweit der Stadt Savona, 30 welsche Meilen von Genua entfernt, an Land begeben, um die Nacht in einem Wirtshaus zu verbringen. Dort verhielten sich aber einige von uns so laut, dass der Governator uns zu sich zitieren ließ, um unsere Pässe zu sehen und bis spät in die Nacht unsere Zeugenaussagen zu hören. Besonders weil er schon gehört hatte, dass einige von uns sich am Tage etwas ungestüm Eingang ins innere Schloss verschaffen wollten und uns damit alle verdächtig gemacht hatten. N
Santuario di Nostra Signora della Misericordia in Savona
Am 11. warteten wir vergeblich auf tauglichen Wind. Am 12. gingen wir etwa eine deutsche Meile landeinwärts zu einer Marienkirche, dem Santuario
, die anlässlich einer Marienerscheinung erbaut worden war.
Am 18. März 1536 erschien die Mutter der Barmherzigkeit dem Bauern Antonio früh am Morgen bei einem Bächlein: Gott sei über den gottlosen Wandel der Stadt Savona so erzürnt, dass er dieselbe ins Verderben zu stürzen vorhabe. Er, Antonio, solle in die Stadt gehen, dieses berichten und zur Buße mahnen. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt und überall nachzulesen. Am Ort der Marienerscheinung steht heute ein vornehmes und mit vielen Votivtafeln verziertes Gotteshaus. Fast alle aus unserer Gruppe haben gebeichtet und kommuniziert.
Auch ich besuche den Wallfahrtsort, der tatsächlich sieben Kilometer landeinwärts liegt. Erstaunlich, wie exakt Guntzingers Entfernungsangaben sind. Vorplatz und Wallfahrtskirche wirken riesig auf mich, besonders da außer mir nur zwei alte Frauen den Wallfahrtsort besuchen. Ich frage mich – und es wird nicht das letzte Mal sein –, wie Guntzinger von diesem doch sehr speziellen Ort erfahren hat, der mir bis zur Lektüre seines Berichts völlig unbekannt war.
SAN REMO
Am 13. Mai erhob sich endlich ein guter Wind, mit dessen Hilfe wir nach Aussage Kundiger in der Folge mindestens 100 welsche Meilen zurücklegen konnten. Am Städtchen Noli vorbei in Richtung San Remo. Dort wachsen die edelsten welschen Früchte in so großer Zahl, dass am Markt in Genua acht schönste, frischeste, faustgroße Zitronen um nur einen Kreuzer zu bekommen sind. Dann nach Monaco, zur Grenze zwischen Genua und Italien auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite. Ein ungünstiger Wind in der Nacht trieb uns aber fast genauso weit wieder zurück, bis Alassio, wo wir den Festgottesdienst zu Christi Himmelfahrt abwarteten und uns dafür an Land bringen ließen.
Heute ist San Remo berühmt für seine Blumenzüchter (Wiener Neujahrskonzert!) und sein Liederfestival, wo die Karrieren vieler großer italienischer Cantautori (Liedermacher) ihren Anfang genommen haben.
DIE ÜBERFAHRT
Am 15. und 16. hatten wir abermals trefflichen Wind, der uns der katalanischen Küste etwa 60 deutsche Meilen näher brachte. Während der Fahrt sah die Wache vom Mastkorb aus ein Schiff vom französischen Festland auf uns zusegeln, das bald als Piratenschiff identifiziert wurde. Um diesem – schwereren – Schiff zu entfliehen, zogen die unsrigen gleich ein zusätzliches Segel auf, das üblicherweise nit Verwendung findet, aber eigens für solche Notfälle gedacht ist. Und schon nach einer halben Stunde hatten wir die Piraten aus den Augen verloren.
Um Mitternacht des 16. Mai, also zwischen Samstag und Sonntag, und bei tiefster Dunkelheit, erblickten wir über dem hinteren Mast und über der Poppe (Anm.: Heck) ein großes kugelförmiges Feuer, das zwei Stunden lang hell leuchtete, bevor es wieder erlosch. Die Schiffsleute nannten es Elmsfeuer. Zu Beginn hatte es mich gewundert, dass sie es wagten, so ein großes Licht anzubringen, wo man doch in den vorangegangenen Nächten aus Angst vor den französischen Korsaren oder anderen Seeräubern nicht einmal eine Laterne hatte anzünden dürfen. Doch dann riefen sie uns aus unseren Kajüten und schrien: „Sant Elmo, Sant Elmo!“ Sie erklärten, es sei der Hinweis auf die Anwesenheit ihres Patrons, und dass sich dies höchstens einmal alle 100 Jahre ereigne. Und es sei ein gutes Zeichen, dass sich die Flamme nicht weiter ins Schiff herabgesenkt hätte. Denn dann würde dies ein schweres Unglück bedeuten. Ich berichte hier nur, was ich gesehen und höchstpersönlich erlebt habe und lasse es dahingestellt, ob es ein übernatürliches Zeichen Gottes oder eines seiner Heiligen oder aber eine natürliche meteorische Entzündung gewesen ist. Obwohl eine solche meines Erachtens zwischen dem vorderen und mittleren Mastbaum, die beide unvergleichlich höher und dicker sind, viel eher hätte stattfinden müssen als ganz hinten, wo das Schiff am schmalsten und am niedrigsten ist. Wer aber den weiteren Verlauf der Ereignisse verfolgt, wird wohl eher dazu neigen, der alten Seemannstradition Recht zu geben.
Denn am Sonntag dem 17., des Abends, erhob sich ein so starker Gegenwind, dass wir gezwungen waren, Schiff und Segel anders auszurichten. Es blieb aber nicht bei dem einen Gegenwind. Bald brachen aus allen vier Himmelsrichtungen starke Windböen abwechselnd und mit solcher Gewalt über uns herein, dass es die Segel hin- und herriss. Aus allen Richtungen stürzten auch starke Wellen auf das Schiff, dass wir es nur mehr krachen und knallen hörten. Die guten Schiffsleute hatten die ganze Nacht keinen ruhigen Augenblick, ihre gefährliche Arbeit gönnte ihnen nicht einmal eine Atempause. Das war ein unaufhörliches Laufen von einer Notlage zur anderen, Seile festbinden und losmachen, Segel raffen und nachlassen, ein stetig eiliges Auf- und Absteigen. Die grausamen brausenden und tobenden Winde von oben und die das Schiff wütend bedrängenden Meereswellen von unten wollten kein Ende nehmen. Der Bug wurde immer wieder tief ins Wasser getaucht, die Aufbauten so beschädigt, die Zimmerleute mussten in stockdunkler Nacht versuchen, das Allernotwendigste zu reparieren. Dann wurde der Sturm aber so heftig, dass er den Zwerg- oder Segelbaum, der am vorderen Mastbaum befestigt ist, in einem Augenblick entzwei- und mitsamt dem Segel ins Meer hinausriss. Doch dann bemerkten wir, dass etwa die Hälfte des Mastes, der ja doch runde vier Spannen im Durchmesser maß, noch am Tauwerk und Segel hing und wir konnten ihn wieder an Deck ziehen. Unter den Passagieren, es waren Kaufleute, Pilger und andere Reisende, herrschte mittlerweile nichts anderes als Angst und Not. Rechnete man doch jeden Augenblick mit dem Untergang des Schiffes. Die Schwachen saßen oder lagen in ihren Kajüten, die Stärkeren knieten, die anderen tröstend, indem sie ihnen zusprachen oder vorbeteten. Man fasste nicht nur tausenderlei gute Vorsätze, sondern legte allerlei feierliche Gelübde ab, sowohl ganz allgemeine als auch spezifische. Noch wollte nichts helfen. Alle wurden immer verzagter und es war nur mehr Seufzen, Weinen und Heulen zu hören. Einer nach dem anderen beichtete, bis auf einen Geistlichen, der bereits beim Antritt der Reise in Genua seine Generalbeichte abgelegt hatte. Ein anderer, der anscheinend schon viel Erfahrung mit Schiffsreisen hatte und ein recht mutiger Mann war, ging trotz der Gefahr mit allerlei tröstenden Worten ein und aus, um dem jammernden Häuflein Mut zuzusprechen. Bis die Not so groß war, dass sogar ihn der Mut verließ und ihn der Gedanke an seinen bevorstehenden Tod zu Kreuze kriechen ließ. Als nun sogar dieser Mann die Beichte ablegte, verließ alle die Hoffnung auf ein Überleben. Sogar der Priester, der schon in Genua gebeichtet hatte, bat noch einmal um die Absolution, warf sich mit dem Gesicht zu Boden und rief mit hellem Weinen Gott um Barmherzigkeit an.
Читать дальше