»Mutti, darf ich ihr etwas schenken? Der große Claus hat mir doch auch das Herzchen geschenkt.«
»Gewiss, mein Kind, ein Andenken soll Rose mitnehmen. Wir geben ihr für ihre Mutter Lebensmittel mit, und du magst Rose eine Freude machen. Frage sie mal, was sie gern haben möchte.«
Sofort lief Pucki zu Rose. »Ich will dir was schenken, was du gerne haben möchtest. Du sollst dich auch in deinem Hofe noch darüber freuen, wenn du keinen Wald mehr hast. – Was möchtest du denn haben?«
»Ein bisschen Wald, ich möchte ein paar schöne, grüne Zweige mitnehmen dürfen.«
»Ach, das kannst du!«
»Und auch ein paar Blümchen.«
»Ich möchte dir aber ganz was Schönes schenken. – Willst du eine Puppe von mir? Ich gebe sie dir gern, denn ich hab' dich lieb.«
»Den Harras möchte ich auch mitnehmen.«
»O – – nein, den Harras können wir dir nicht geben, der muss doch aufpassen, dass der Wald nicht brennt, er muss auch mit Vati in den Wald gehen, damit der Vati den Weg findet. Der Harras riecht das.«
»Nein, Pucki, den Harras lasse ich dir hier, er würde krank werden, hätte er den großen Wald nicht mehr.«
»Soll ich dir mein Kleidchen schenken?«
»Das passt mir doch nicht, Pucki.«
»Ich möchte dir doch so gern was schenken«, sagte Pucki weinerlich, »was ganz Schönes.«
Rose umarmte mit beinahe leidenschaftlicher Heftigkeit das kleine Försterkind. »Du sollst mich lieb behalten und deiner Mutti sagen, dass ich mal wieder zu euch in den Wald kommen darf. Das ist das Allerschönste, und dann möchte ich – – ja, das möchte ich gern – dass du zur alten Schmanzgroßmutter gehst und ihr bald was vorlesen kannst.«
»Ja, Rose, ich gehe zur Schmanzgroßmutter, ich lerne an jedem Tag lesen.«
»Mehr brauche ich nicht. Ich bin so froh hier gewesen, wie noch nie, das vergesse ich im ganzen Leben nicht mehr.«
»Der Thusnelda habe ich meine Schuhe geschenkt, und dir darf ich nichts schenken. Der große Claus hat dir doch auch was geschenkt.«
»Deine Mutti soll mich wiederkommen lassen, das ist das allerschönste Geschenk.«
»Na gut«, meinte Pucki energisch. »Du kommst bald wieder, ich hole dich dann vom Bahnhofe ab. – Weißt du, du könntest auch im Winter kommen. Dann bauen wir einen großen Schneemann.«
»Nein, Pucki, lieber im Sommer, wenn der Wald grün ist und die Vögel so schön singen, ich höre sie so gern.«
»Oh, jetzt weiß ich, was ich dir schenke.« Pucki stürmte davon, und wenige Augenblicke später kehrte sie mit einer kleinen Trillerpfeife wieder. »Hier hast du sie, das ist genau so, als wenn ein Vogel singt. Der Vati wird sie mir schon geben. Damit ruft er nämlich den Harras. Aber ich schenke sie dir. Wenn du im finstern Hof darauf bläst, denken alle, die Vöglein singen. – So, die nimmst du mit.«
Förster Sandler tauschte die Trillerpfeife tags darauf gegen eine kleine Vogelpfeife um, die er aus der Stadt mit heimbrachte. Das klang freilich, als zwitschere ein Vöglein sein lustiges Lied. Beglückt nahm Rose das Geschenk entgegen.
»Ich werde immer an die lieben Vöglein hier im Walde denken.«
An einem Sonnabend schlug die Trennungsstunde. An Sandlers, Niepels und überall, wo Ferienkinder untergebracht waren, war ein Schreiben gekommen, dass die Kinder am Sonnabend, vormittags elf Uhr, auf dem Bahnhofe zu Rahnsburg sein sollten, wo sie von der Transportleiterin in Empfang genommen werden würden. Niepels wollten mit dem Wagen beim Forsthause vorfahren, um Rose abzuholen und zur Stadt zu bringen. Frau Sandler und Pucki begleiteten selbstverständlich die kleine Freundin. In Roses kleinem Koffer steckten allerlei Geschenke und verschiedene Lebensmittel, denn man hatte erfahren, dass bei der Scheeleschen Familie große Not herrschte. Rose hatte sich über die Gaben nicht recht freuen können, denn zu groß war der Abschiedsschmerz. Und als nun der Wagen mit den Knaben und den vier Ferienkindern vorgefahren kam, als es hieß: einsteigen, waren Roses Augen so voller Tränen, dass sie nichts mehr erkennen konnte. Sie schluchzte am Halse des guten Onkels, sie umarmte Minna, ja sogar den treuen Harras, der zu wissen schien, dass die kleine Freundin nicht so bald wiederkäme. Traurig sah er sie an und bellte leise.
Nun saß sie im Wagen. Roses Tränen tropften auf den großen Strauß Blumen, den sie in den Händen hielt. Am liebsten wäre sie wieder vom Wagen gesprungen.
Von allen Seiten kamen die Ferienkinder herbei. Wer hätte in diesen rotwangigen Mädchen die blassen Kinder wiedererkannt, die vor fünf Wochen auf demselben Bahnsteige gestanden hatten und bangen Herzens in ihre Quartiere gegangen waren. Diese Ferienzeit war allen zu einem herrlichen Erlebnis geworden, war eine schöne Erinnerung, die sich nicht mehr auslöschen ließ.
Das junge Mädchen, das die Kinder in Empfang nahm, staunte über deren gesundes Aussehen. Herzliche Dankesworte wurden gewechselt. Alle Pflegemütter hatten sich auf dem Bahnhofe eingestellt, noch einmal wurden Umarmungen und Abschiedsküsse getauscht, dann stiegen die Kinder in den Zug und drängten sich an die Fenster.
Rose lag noch in den Armen Frau Sandlers; sie war vielleicht die einzige, die in den letzten Minuten nichts sagen konnte. Pucki plauderte munter daraus los, sprach vom Wiederkommen, vom Schneemann, den man gemeinsam bauen wollte, und vielleicht käme auch sie mal und besuchte Rose. Aber das Stadtkind hörte kaum, was die kleine Freundin sagte.
»Du musst nun einsteigen, mein Kind.«
Frau Sandler brachte Rose selbst in den Wagen. Es schien, als wollte sich das Kind an ihr festklammern. Dann saß es auf der Bank, ganz still für sich.
Mit schwerem Herzen stieg die Försterin aus dem Zuge. Am Fenster sah sie Rose nicht mehr. Aus dem fahrenden Zuge aber winkten gar viele Kinderhände ein letztes Lebewohl, und auch Pucki schwenkte ihr Taschentuch aus Leibeskräften.
»Mutti, kommt die bald wieder?«
»Hoffentlich im nächsten Jahre.«
»So, Mutti, nu müssen wir heim, jetzt muss ich lesen lernen, damit die alte Schmanzgroßmutter reich und glücklich wird.«
Obwohl Rose im Forsthause niemals Lärm gemacht hatte, erschien es allen darin in den nächsten Tagen still und einsam. Auch Pucki vermisste die Freundin überall, aber sie tröstete sich mit dem Schwesterchen, dem sie sich von nun an mehr widmete als bisher.
»Und jetzt, Mutti, muss ich in der Schule ganz genau aufpassen. Weißt du, die Schmanzgroßmutter will nur, dass ich lesen lerne, da werde ich in Zukunft nicht mehr so viel schreiben. Das brauche ich nicht, das kann die Schmanzgroßmutter doch nicht sehen.«
»Aber Rose wartet doch auf einen Brief von dir. Rose wird uns bald Nachricht von sich geben. Ich dachte, es würde dich freuen, wenn du deiner kleinen Freundin antworten könntest.«
Einige Augenblicke überlegte Pucki, dann nickte sie ernsthaft mit dem Köpfchen.
»Ja, dann wird wohl nichts anderes übrig bleiben, dann muss ich auch schreiben lernen.«
9. Kapitel: Ein schöner Spruch
Mit Pucki war seit den großen Ferien in der Schule eine staunenswerte Veränderung vor sich gegangen. Die Lehrerin, Fräulein Caspari, konnte sich nicht genug über den Eifer des Mädchens wundern, das, besonders im Lesen, überraschend schnell alle Mitschüler und Schülerinnen überflügelte. Wenn sie Pucki fragte, weshalb sie diesen Eifer zeige, so sagte sie stolz:
»Die Schmanzgroßmutter möchte gern reich und glücklich sein. Sie wartet auf mich.«
Der Leseeifer der kleinen Försterstochter trug ihr mitunter allerlei kleine Verletzungen ein. Auf dem Schulwege hatte Pucki stets das Buch vor der Nase, und nicht selten geschah es, dass sie plötzlich gegen einen Baum lief oder über eine Wurzel stolperte und hinfiel. Auch daheim griff sie nach allem Gedruckten, einerlei, ob es die Zeitung, der Mutter Kochbuch oder sonst ein Buch war, das irgendwo herumlag.
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