»Wenn wir doch nie an die Ruine kämen. Es ist zu schön im Wagen!« meinte Rose.
»An der Ruine ist es gewiss noch viel schöner«, sagte Pucki.
»Warst du schon mal da?« fragte eines der Mädchen.
»Nein, aber ich weiß, dass dort ein ganz kaputtes Haus steht. Und darin hat mal ein Raubritter gewohnt, der hat den Leuten alles weggenommen.«
»Vielleicht kommt er«, schrie Paul, »und trinkt uns den Kaffee aus. Ein Ritter hat immer Durst.«
»Der Raubritter ist doch schon lange tot«, belehrte Pucki ihn. »Das war vor vielen Jahren, und seine Ruine ist ganz kaputt. Da ist nur noch eine Mauer, in der kann man nicht wohnen.«
»Wer sagt das?« fragte Fritz.
»Vati hat es gesagt. Der Raubritter kann uns nichts tun.«
»Na, der soll nur kommen«, prahlte Paul. »Ich habe ein Messer in der Tasche. An dem Messer ist auch noch 'ne kleine Schere und ein Korkenzieher.«
»Au – fein«, rief Pucki, »ich habe den Korkenzieher vergessen.« Sie zwinkerte dem Freunde listig zu.
Da – wieder ein kräftiges Rütteln des Wagens, lautes Lachen, und wieder lagen einige Kinder im Stroh. – Sie setzten sich erneut zurecht. Doch bald ertönte eine weinerliche Stimme.
»Ich klebe!« Es war die kleine Olga, die neben Fritz Niepel saß.
»Wo klebst du denn?« fragte Frau Niepel.
»Ich klebe auch!« rief Fritz.
»Da trippt was Schwarzes!«
Frau Niepel erhob sich. Aus einer blauen Zuckertüte tropfte langsam dunkler dicker Saft ins Stroh.
»Ach, mein schöner Sirup!« schrie Fritz und griff mit beiden Händen nach der blauen Tüte, die die umgestürzte Tasse mit dem köstlichen Saft barg.
»Jix – – auf meine Schuhe hat es eben getrippt!«
»Mein ganzes Kleid klebt«, begann Olga zu weinen.
Mit schnellem Griff erfasste Frau Niepel die Tüte und warf sie aus dem Wagen. Da begann Fritz zu jammern.
»Mein schöner Sirup – meine ganze Überraschung ist aus dem Wagen geflogen.«
»Pfui, ich klebe so sehr!« klang es wieder.
Fritz, der die Tasse in der Tüte hinter sich auf den Sitz gestellt hatte, war gleichfalls gehörig mit Sirup beschmutzt. Olgas Kleid wies viele dunkle Flecke auf, die Hände, die sie in die Luft streckte, waren braun.
»Hier trippt es noch«, rief Walter und wischte mit dem Finger die Tropfen auf.
Mit einem Handtuch bemühte sich Frau Niepel, den Schaden ein wenig zu beheben.
»Ihr bleibt ganz ruhig sitzen. An der Burg werden wir die Sachen reinigen. Wir sind bald da.«
Trotzdem drang Olgas Gejammer immer wieder durch: »Ich klebe so sehr.«
»Seht einmal dort hinüber, dort steht die alte Burg.«
Den Blicken der Kinder zeigte sich eine Ruine auf einer kleinen Anhöhe. Da wurde haltgemacht. Der Wald wies eine Lichtung auf, und dieser Platz war ausersehen worden, um dort den Nachmittagskaffee einzunehmen.
»Vorsicht – drängelt nicht so sehr, ihr fallt ja vom Wagen.«
»Paul, du sollst nicht über die Leitern springen!«
Und wieder hatten die Erwachsenen Augen und Ohren offen zu halten, um einen Unfall zu verhüten. Zunächst ging das Kinderfräulein mit Fritz und Olga zu einem kleinen Bach, der sich silberhell durch das Gelände schlängelte. Neue Hosen hatte man freilich für Fritz nicht mitgenommen.
»Du legst dich in die Sonne, neben Olga, dann trocknet ihr am schnellsten, und die Größten helfen den Tisch decken.«
Daran dachte freilich keines der Kinder. Alle liefen hin zu der kleinen Quelle, denn es machte viel Spaß, das Wasser über die Hände laufen zu lassen.
»Bleiben Sie bei den Kindern, Fräulein Irma, damit keines ins Wasser geht«, sagte Frau Niepel.
»Mutter«, ertönte es von jenseits, »ich rutsche mit dem nassen Hosenboden hin und her, er ist beinahe trocken.«
Fräulein Irma sah den Knaben, der auf dem Waldboden vergnügt umherrutschte. Die Nadeln klebten an den Höschen. Gott sei Dank, man hatte den Kindern keine guten Sachen angezogen.
»Er hat mich ins Wasser gestoßen«, heulte es von drüben. Und wieder mussten einem Mädchen Schuhe und Strümpfe ausgezogen werden, die zum Trocknen in die Sonne gelegt wurden.
»Wie das Wasser schön schmeckt«, meinte eine andere.
»Warte mal ein bisschen«, flüsterte Pucki, »ich habe was Feines!«
In größter Heimlichkeit holte sie die Flasche mit Himbeersaft aus dem Schulranzen, zerrte Paul am Anzuge und sagte leise zu ihm:
»Kannst du sie nicht aufmachen?«
»Kleinigkeit, ich habe ein Messer mit einem Korkenzieher.«
»Komm hinter den Baum, damit es keiner steht. – Au, wie werden sie sich freuen, wenn wir ihnen gutes Himbeerwasser bringen.«
Mit dem Korkenzieher ging es nicht so glatt, wie man es sich gedacht hatte. Stückchenweise wurde der Pfropfen herausgeholt, der Rest in die Flasche gestoßen. Dann kamen die Kinder strahlend wieder an den Bach.
»Hört mal alle«, rief Pucki, »ich habe feinen Himbeersaft ... Nu gibt es was zu trinken!«
Einen Becher hatten die Kinder nicht. Aber es ging auch so. Sie formten die Hände zu einer Schale, dann goss Pucki einige Tropfen Saft hinein, und damit liefen sie zur Quelle, um Wasser darüber laufen zu lassen.
»Es geht nicht«, zürnte eines der Mädchen.
»Dann hole ich 'ne Tasse.«
Pucki stellte die Flasche mit dem Saft auf den Waldboden und sprang davon. Immer mehr Kinder kamen zur Quelle.
»Ich bin der Wirt«, rief Paul, »wer kauft Himbeerwasser? Passt mal auf, ich gieße ein bisschen ins Wasser, und ihr trinkt da unten die Limonade aus. Das wird schon gehen.«
Einige Kinder legten sich lang ausgestreckt an den Bach und versuchten, mit den Lippen das Wasser zu erreichen. Paul goss am Ausfluss der Quelle langsam den Saft ins Wasser, das sich rötlich färbte. Zehn Kinder versuchten die süße Flüssigkeit zu trinken. – Da, ein Klirren! Paul, der auf einen vom Wasser überspülten Stein getreten war, glitt aus und suchte nach einem Halt, dabei glitt ihm die Flasche mit dem Saft aus der Hand und fiel auf einen Stein.
Mit einem Satz eilte er fort, denn er sah Pucki kommen, die achtsam einen Becher trug.
»Alles ist kaputt«, rief man ihr entgegen, »der Paul hat die Flasche zerschlagen!«
»Meine schöne Flasche! – Der dumme Junge!«
Sie entdeckte den Freund, der hinter dem Stamme eines Baumes hervorschaute. Schon stürmte Pucki herbei, um ihm eine Tracht Prügel zukommen zu lassen. Wildes Jagen setzte ein. Schließlich stolperte Paul, lag auf der Erde, Pucki stolperte über ihn, und beide Kinder wälzten sich in wildem Ringen auf dem Boden. Es setzte gegenseitig Püffe und Stöße, bis Pucki atemlos sagte:
»So, nu haste genug. – Warte, dafür esse ich die Schlagsahne. Unten steht eine große Schüssel voll. – Ich geh' jetzt hin. Wenn ich zuerst da bin, bekomme ich am meisten.«
In diesem Augenblick wurde zum Kaffeetrinken gerufen. Man hatte den Platz sehr nett hergerichtet. Mehrere Tischtücher waren auf dem Waldboden ausgebreitet. Darauf standen die Becher, die mit dampfendem Kaffee gefüllt waren. Neben jedem Becher lagen einige Stücke Kuchen. Frau Niepel hatte eine Schüssel Schlagsahne in der Hand und war dabei, jedem Kinde einen tüchtigen Löffel voll in den Becher zu geben.
Es mundete allen vortrefflich. Zwar wurde bald hier, bald da ein Becher vergossen, doch damit hatten die drei Erwachsenen gerechnet. Wider Erwarten ging das Kaffeetrinken gut ab. Die Kinder kauten mit vollen Backen, und die lebhafte Unterhaltung geriet ins Stocken.
Man war noch beim Essen, als das Auto des Oberförsters angefahren kam, das ihn und seine beiden Söhne, Claus und Eberhard, zu der Ruine brachte.
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