1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Nicht, dass viele Männer das geschafft hätten.
In Anwesenheit eines so eindeutigen Alphamännchens spürte ich meine Libido erwachen. Ich hatte eine Schwäche für Männer wie ihn. Dieses Selbstbewusstsein, die Selbstverständlichkeit, mit der solche Männer überlebensgroß ihren Platz in der Welt beanspruchten, sprach mich einfach an. Und ja, zugegeben, Donovan hatte einen schönen Körper, und ich war ja nicht blind.
Die Fahrt zur Strafanstalt zog sich etwas. Unser Büro lag in der Innenstadt, und der Straßenverkehr in Nashville wurde oft mit »eine Schildkröte, die sich im Schneesturm durch gefrorenen Zuckersirup arbeitet« beschrieben. Wir hatten also reichlich Zeit, zu plaudern, was mir entgegenkam, weil ich Donovan noch einiges erklären wollte.
Als wir so im zäh fließenden Verkehr saßen, bemerkte er: »Du hast sogar im Gebäude immer eine Sonnenbrille auf. Ich nehme mal an, das hat einen Grund?«
Wie sollte ich das am besten beantworten? Mit einem Seitenblick fragte ich also: »Was weißt du eigentlich über Leute wie mich?«
»Nicht besonders viel, jedenfalls nicht mehr als der Durchschnitt«, gab er zu. »Ich weiß, dass es verschiedene Arten von Medien gibt. Dass manche von euch einen Anker brauchen. Dass manche mit Hilfsmitteln arbeiten, andere nicht. Das war’s aber auch schon.«
»Das sollte reichen, um zu verstehen, was ich gleich erkläre. Dass ich keine Hilfsmittel benutze, hast du schon gesehen. Ich bin definitiv jemand, für den es besser wäre, wenn er einen Anker hätte. Aber ich habe keinen. Meine Fähigkeit, mich abzuschirmen, ist unter aller Kanone. Ich schaffe nie mehr als das absolute Minimum. Also ist das hier«, ich tippte an meine Sonnenbrille, »so etwas wie meine Abschirmung. Lebendige Energie anzusehen ist extrem anstrengend – für mich ist es so, als würde jeder Mensch, dem ich begegne, leuchten wie ein Neonschild. Stell dir einfach vor, du wärst ständig von Tausenden Leuchtreklamen umgeben.«
Donovan verzog das Gesicht. »Wie oft bekommst du denn Migräne?«
Ich tat, als würde ich applaudieren. »Du hast eine schnelle Auffassungsgabe. Ungefähr einmal pro Woche. Aber die dunklen Brillen helfen wirklich. Ich habe mir angewöhnt, mittags eine Pause zu machen. Dann sitze ich einfach in einem dunklen Raum, mache die Augen fest zu und meditiere. Das nimmt die Spitzen raus.«
Donovan legte die Stirn in besorgte Falten. »Das klingt aber gar nicht gut. Was kann ich tun, um dir zu helfen?«
Ich musste lächeln und wünschte mir nichts sehnlicher, als ihn gut genug zu kennen, um ihn einmal aus Leibeskräften umarmen zu können. Ich mochte diesen Kerl und wollte mich gerne mit ihm anfreunden.
»Sei einfach nur du selbst.«
»Bane«, knurrte er frustriert.
»Havili«, gab ich scherzhaft zurück.
»Nun sag schon. Es muss doch irgendetwas geben.«
»Leider nicht so recht …«, wenn er nicht mein Anker werden wollte, jedenfalls, »aber wenn ich mich mal zu sehr vollgedröhnt habe, dann bring mich so schnell wie möglich in den dunklen Abschirmraum bei der Psy. Schieb mich einfach da rein, gib mir eine große Flasche Wasser mit, und lass mich ein paar Stunden in Ruhe. So komme ich am schnellsten wieder zu mir.«
Die Antwort besänftigte ihn anscheinend nur wenig. »Gut zu wissen.«
Vielleicht wurde ihm in der prallen Sonne langsam zu heiß – auf jeden Fall rollte er die Ärmel bis zum Ellbogen hoch. Ich legte es wirklich nicht darauf an, seine Arme anzustarren. Die Narben hatte ich schließlich auch durch die Kleidung mehr oder weniger deutlich gesehen, und sie gaben mir mehr Rätsel auf als Antworten. »Ähm. Warum hast du eigentlich deine Narben eingefärbt, wenn ich fragen darf?«
Er warf mir einen scharfen Blick zu. »Du schaust durch den Filzstift durch, nehme ich an.« Er hob die Hand, auf der die weißen Linien, breit und aufgeworfen, kreuz und quer über seine dunkle Haut liefen.
»Ja, ziemlich deutlich. Entschuldige, du musst nicht antworten, nur weil ich neugierig bin.«
Er winkte ab, als wäre es schon in Ordnung, dann antwortete er, teils amüsiert, teils resigniert: »Ich gebe ehrenamtlich einen Kurs im Gemeindezentrum. Boxen für Kinder. Ein paar von den Kids wussten, dass ich wegen dem Vorstellungsgespräch ein bisschen nervös war, hauptsächlich wegen der Narben. Sie wollten sie weniger gruselig machen. Also haben sie Filzstifte genommen und Flammen draufgemalt, wie auf ein aufgemotztes Auto. Tja, und leider waren das Permanentmarker.«
So viel Kinderlogik brachte mich zum Lachen. »Und du hast es vor dem Gespräch nicht mehr abgekriegt!«
»Ich hab’s wirklich versucht«, klagte er, »und das hat mich bestimmt drei Hautschichten gekostet. Wenn ich ihnen jetzt erzähle, dass ich den Job bekommen habe, denken sie natürlich, dass ich es ihren Malkünsten zu verdanken habe.«
»Aber das war ja auch so«, stimmte ich zu, ohne eine Miene zu verziehen.
Er verdrehte die Augen, keine Ahnung, wieso.
Wir stellten das Auto auf dem Besucherparkplatz ab, und ich schloss sorgfältig hinter uns ab. Hier kam es zwar so gut wie nie vor, dass Insassen ausbrachen, aber es war besser, kein Risiko einzugehen. Auf dem Weg ins Gebäude erklärte ich Donovan die Lage.
»Da drinnen musst du vorsichtig sein. Hier sitzen eigentlich nur die Häftlinge mit Todesurteil und die wirklich gefährlichen männlichen Kriminellen. Es gibt zwar auch Bewährungsprogramme, aber alles in allem wirst du da drin keine netten Leute finden.«
Er sah mich scharf von der Seite an. »Und wie hart ist das für dich?«
Oha, er war wirklich schnell. »Na ja … es ist nicht gerade angenehm, sagen wir’s mal so. Aber du musst keine Angst haben, dass ich da drin in Ohnmacht falle oder so. Denk einfach daran, dass du dich zwischen mich und elektronische Geräte stellen musst. Ich will ja nicht versehentlich jemandem zum Ausbruch verhelfen.«
»Roger.« Er hatte schon die Hand an der Türklinke des Besuchereingangs, als er innehielt und nachdenklich fragte: »Sag mal, wie viele von denen sitzen eigentlich wegen dir hier drin?«
Dieser Mann stellte wirklich genau die richtigen Fragen. Ich antwortete ehrlich: »Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen.«
Mit einem leisen »Puh« nickte er grimmig, hielt dann die Tür auf und bugsierte mich hinein.
Auch in der Besucher-Lounge fand sich die beige Farbpalette wieder. Hellbeige Fliesen, die schon bessere Tage gesehen hatten, dunkelbeige gestrichene Wände, weiße Pressspan-Tresen. Ich blieb am Empfang stehen und begrüßte die Frau dahinter mit einem Lächeln. »Hey, Ellen.«
»Oh, Jon, hi!« Ellen war Mutter dreier Kinder und hatte ein so strahlendes Lächeln, dass alle Besucher sich automatisch willkommen fühlten. Im Verlauf der vielen, vielen Besuche, die ich hier bereits gemacht hatte, hatten wir uns näher kennengelernt. Einmal hatte ich versehentlich ihren Taschenrechner geschrottet und ihr als Entschuldigung eine Schachtel Pralinen geschickt. Seither waren wir Freunde. »Wen haben Sie da mitgebracht?«
»Meinen neuen Kollegen, Donovan Havili«, stellte ich vor. »Donovan, das ist Ellen Masters, Wächterin der Pforte.«
»Unter anderem«, antwortete sie mit einem Lächeln, in dem leichte Beklommenheit mitschwang, als sie Donovan in die Augen sah. »Äh, nett, Sie kennenzulernen.«
»Ebenfalls«, erwiderte Donovan mit höflichem Lächeln, das mehr als gezwungen wirkte.
Ich registrierte Ellens Miene und ihre Emotionen und stöhnte innerlich auf. Genau wie meine Kollegen hatte sie auf Vorsicht geschaltet. Warum mussten die Leute sich so sehr vom Äußeren beeinflussen lassen? In Donovans Fall lagen sie damit mehr als falsch. Wenn sie ihn nur so sehen könnten wie ich, dann wüssten sie ganz genau, dass sie von diesem Mann nichts zu befürchten hatten.
»Donovan war früher bei der Militärpolizei«, sagte ich in dem Versuch, ihre Befürchtungen zu zerstreuen. »Wir sind also sehr froh, ihn zu haben. Ich zeige ihm heute das Nötigste, und er ist so nett, sich um die Elektronik zu kümmern, sodass ich nichts kaputt machen kann.«
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