1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Borrowman zuckte nicht mit der Wimper, als ich ihm das alles eröffnete. »Wir wissen, dass Sie schon eine neue Geliebte haben. Von der ahnt Ihre Frau wahrscheinlich noch nichts? Aber es spielt ja eigentlich auch keine große Rolle, denn Sie wollen sich sowieso scheiden lassen.«
Mr Rechtsanwalt ergriff zum ersten Mal das Wort. »Jetzt gehen Sie aber zu weit, Detective.«
Der Politiker schluckte und wurde ganz blass. »Wie … Woher wissen Sie …?«
»Weil ich Polizist bin und meinen Job gut mache«, bluffte Borrowman in leicht gelangweiltem Ton und lehnte sich mit den Unterarmen auf den Tisch. »Ihr Liebesleben ist mir auch völlig egal, Mr Sinclair. Ich will nur mehr über Marsha Brown erfahren. Wann haben Sie sich getrennt?«
Ein weiterer vielsagender Blick zwischen Sinclair und dem Anwalt, dann nickte der ältere Mann zustimmend.
»Vor zwei Wochen«, gab Sinclair schließlich mit einem Seufzer zu. Er ließ den Blick unruhig im Raum herumwandern und sah Borrowman nicht in die Augen. »Sie hat Schluss gemacht, weil ich mich geweigert habe, mich scheiden zu lassen. Aber ich habe meine Gründe dafür, bei meiner Frau zu bleiben.«
»Karrieregründe«, informierte ich Donovan, weil ich es mir nicht verkneifen konnte. »Die Frau ist so eng mit seinen Ehrgeiz- und Karrierebahnen verknüpft, dass ich sie kaum auseinanderhalten kann.«
Donovan pfiff leise durch die Zähne, während er Sinclair durch das Glas anstarrte. »Kein guter Grund, um verheiratet zu bleiben.«
»Sehe ich auch so.« Ich verstummte, um Borrowmans nächste Frage hören zu können.
»… hatten Sie Kontakt zu Ms Brown?«
»Nein. Obwohl, das stimmt nicht ganz. Einmal. Sie hatte etwas in meinem Auto vergessen, und meine Frau hätte es fast gefunden, also musste ich es verstecken und Marsha überreden, es abholen zu kommen. Sie war nicht gut auf mich zu sprechen, also ist sie nicht lange geblieben. Das war – äh, Samstag. Vorletzten Samstag. Wir haben uns nach dem Baseballspiel meines Sohnes kurz im Büro getroffen. Danach hatten wir keinen Kontakt mehr.«
»Um welche Uhrzeit war das?«, setzte Borrowman nach.
»Ich weiß es nicht genau. Davids Spiel war gegen drei zu Ende, der Weg zum Büro dauert zwanzig Minuten, also gegen halb vier vielleicht?«
Donovan drückte auf den Sprechknopf, und ich lächelte ihn kurz an. Er hatte schon gewusst, dass ich etwas sagen wollte – er hatte schnell gelernt, mich richtig einzuschätzen. »Stimmt, aber er verschweigt etwas. Fragen Sie nach.«
»Und Sie haben sie danach weder gesehen noch ihr Nachrichten geschrieben oder Ähnliches?«
»Nein.«
Irgendetwas stimmte nicht, der Meridian hüpfte und zuckte immer noch unruhig auf und ab. »Er lügt nicht direkt, aber er verheimlicht immer noch etwas.«
»Und jemand anders? Der Ms Brown kannte? Haben Sie mit jemandem gesprochen, der sie kannte, oder haben Sie über sie gesprochen?«
»Nein.«
»Gelogen«, flötete ich. »Glatt gelogen.«
Borrowman beugte sich vor, und in seinem Ton schwang jetzt eine leichte Drohung mit. »Mr Sinclair, Sie sind bisher bei der Wahrheit geblieben. Bitte fangen Sie jetzt nicht an, uns etwas vorzuenthalten. Mit wem haben Sie über Marsha Brown gesprochen?«
Jetzt begannen sich zum ersten Mal kleine Schweißperlen auf Sinclairs Stirn zu bilden. Er war viel zu routiniert, um eine Miene zu verziehen oder offensichtlich zappelig zu werden, aber innerlich wand er sich. »Niemand wusste von unserer Affäre. Mit wem hätte ich denn darüber sprechen sollen?«
»Und doch haben Sie es getan«, beharrte Borrowman. »Mit wem? Und warum?«
Schweigen.
»Mr Sinclair, Sie sind derzeit nicht tatverdächtig. Trotzdem kann ich jederzeit einen Durchsuchungsbefehl für Ihr Büro und Ihr Haus erwirken.«
»Detective«, knurrte der Anwalt. »Sie können meinen Klienten nicht so unter Druck setzen.«
Borrowman ignorierte ihn. »Das wollen Sie doch bestimmt vermeiden. Ihre Frau würde sicherlich wissen wollen, warum, und als ehrlicher Polizeibeamter müsste ich es auch sagen. Würden Sie also bitte meine Frage beantworten?«
Sinclair schloss die Augen und überlegte kurz, dann krächzte er: »Vor zwei Wochen hat meine Sekretärin das mit der Affäre herausbekommen. An dem Tag, als Marsha und ich uns getrennt haben. Sie hat gedroht, auszupacken, wenn ich sie nicht noch für die nächste Kampagne weiterbeschäftige. Dazu musste ich vertuschen, dass sie Spendengelder veruntreut hat, sonst wäre sie rausgeflogen.«
Aha, das erklärte die graue Linie. »Stimmt. Das ist sein einziges schmutziges Geheimnis, denke ich.«
»Danke, Mr Sinclair«, erwiderte Borrowman, der nahtlos zu seiner normalen Freundlichkeit zurückfand. »Eine letzte Frage noch, wenn ich darf. Haben Sie überhaupt den Verdacht gehabt, dass etwas faul ist, bevor Sie in den Nachrichten von Marshas Tod erfahren haben?«
»Nein. Ich wusste ja, dass sie nach Kalifornien zurückwollte. Ich habe mir nichts dabei gedacht, dass sie sich nicht mehr gemeldet hat.«
»Stimmt«, bekräftigte ich durch das Walkie-Talkie.
»Danke sehr. Bleiben Sie bitte in der Stadt, für den Fall, dass ich noch weitere Fragen an Sie habe. Das war es jedenfalls für heute.«
Donovan ließ das Walkie-Talkie sinken und schaltete es aus. Wieder sah er mich auf seine unverwandte Art und Weise an. »Das also ist dein Job.«
»Einer davon, ja«, bestätigte ich achselzuckend. »Lass uns die Abrechnungsbögen fertig machen und …«
Borrowman steckte den Kopf herein. »Bane, Mr Havili, gute Arbeit. Ich bin froh, dass es geklappt hat. Normalerweise gibt das Walkie-Talkie schon nach der Hälfte der Zeit den Geist auf, das macht mich immer wahnsinnig.«
»Das ist tatsächlich ein Problem.« Die vielen Verhöre, die man hatte unterbrechen müssen, weil ich dem Equipment zu nahe gekommen war, waren mir nur zu deutlich in Erinnerung. Wie ein Moderator bei einer Gameshow breitete ich die Arme aus: »Und jetzt haben wir eine Lösung gefunden!«
Borrowman applaudierte, und Donovan verbeugte sich erst vor ihm, dann vor mir. »Danke, danke.«
»Ich muss weiter, die Arbeit ruft«, sagte Borrowman. »Aber wir sollten mal Mittag essen gehen, damit ich den neuen Mann näher kennenlernen kann. Die Abrechnung mache ich fertig und schicke sie der Buchhaltung per E-Mail, Bane, keine Sorge.«
»Ah, sehr gut, danke Ihnen. Donovan und ich«, wandte ich mich lächelnd an meinen Partner, »machen uns dann auf den Weg.«
Die Stadt Nashville hatte nicht nur eine Strafanstalt, und im Laufe der Zeit hatte ich sie alle schon von innen gesehen. Aber wenn wir in der Agentur vom »Gefängnis« sprachen, ging es meist um das »Riverbend Maximum Security«, denn dort hatten wir am häufigsten zu tun. Es lag westlich von North Nashville, umgeben von grünen Wiesen und bewaldeten Hügeln. Zumindest das Umland war sehr malerisch. Die Gebäude waren in den Achtzigerjahren entstanden, auf dem Gelände des hundert Jahre alten Vorläufers, des »Tennessee State Penitentiary«. Der ganze Komplex war sehr … beige. Die Fassaden, die Dächer, die Schilder – alles hatte die gleiche Farbe, ein Schandfleck inmitten der grünen, sanft geschwungenen Hügel, auf denen das Gefängnis erbaut war.
Ich persönlich hatte sehr viel übrig für Farben. Dem entsprechend trug ich heute ein hellrosa Oberhemd, eine weiße Weste und dunkelblaue Jeans. Meine Kleidung war nicht allzu stereotyp, denn damit wäre der Ärger vorprogrammiert gewesen. Gleichzeitig hatte ich es satt, dass Schwulsein immer mit gepflegtem Aussehen assoziiert wurde. Aber ich war auch nicht bereit, in alten Jeans und löcherigem Hemd herumzulaufen, nur um »männlicher« zu wirken.
Donovan, der auch Jeans und ein Oberhemd anhatte, sah dagegen ohne jede Mühe total maskulin aus. Zugegeben, die Muskeln hatten auch etwas damit zu tun. Schon allein, wenn er sich bewegte oder einen Fuß vor den anderen setzte, betonte das seine Muskeln, obwohl seine Klamotten nicht besonders figurnah geschnitten waren. Donovan trug seine Männlichkeit so selbstverständlich wie Eau de Cologne. Tja, und ich? Mit meiner Schwimmerfigur war ich weder besonders dünn noch besonders muskulös, sondern einfach nur ich. Donovans Level von Männlichkeit würde ich in diesem Leben nicht mehr erreichen.
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