»Lassen Sie das!«, befahl der Agent, der das Trio anzuführen schien, ein Mann oder männlicher Humanoider in schwarzer Uniform. Er hielt seinen eigenen Phaser auf ihr Gesicht gerichtet.
»Admiral Alynna Nechayev«, sagte eine schlanke Andorianerin. »Bitte ergeben Sie sich. Sie sind verhaftet …«
Sie spulte eine Reihe von Anklagepunkten herunter, aber Nechayev hörte ihr gar nicht zu. In ihren Ohren rauschte es. Sie konnte sich gut vorstellen, was man ihr vorwarf.
»Lassen Sie die Waffe fallen und geben Sie Ihre Gegenwehr auf, oder wir sind gezwungen, härtere Maßnahmen zu ergreifen!«
Dummköpfe!
Glaubten diese Agenten wirklich, dass die Bekanntgabe von ein paar Informationen eine Geheimgesellschaft aufhalten konnte, die so allgegenwärtig, ungreifbar und autonom war wie Sektion 31? Die länger existierte als die Föderation selbst, der nie eine andere Organisation ebenbürtig gewesen war? Dachten sie, dass die Behörde keine Bedrohung mehr darstellte, nur weil sie jetzt der Öffentlichkeit bekannt war? Die Situation entwickelte sich noch, und Nechayev konnte nicht beurteilen, was auf höchster Befehlsebene entschieden werden würde, um die Fortführung der Mission von Sektion 31 zu garantieren und möglicherweise die wichtigsten Befehlshaber abzuschirmen.
Eine Sache war ihr jedoch vollkommen klar: Der Sicherheitsdienst der Föderation konnte sie inhaftieren, nicht aber beschützen. Der Einfluss von Sektion 31 war enorm und reichte tief ins innerste Gefüge der Sternenflotte und der Föderationsregierung hinein. Wenn man entschied, sie umzubringen, würde es keinen Ausweg für sie geben und niemanden, der ihr helfen konnte. Sie konnte nur eins tun: durch Schweigen ihre Loyalität beweisen. Das war ihre einzige Chance.
Sie hob ihre Waffe.
Drei gleißend helle Phaserstrahlen leuchteten gleichzeitig auf und spülten die Welt davon.
Admiral Leonard James Akaar hatte Mühe, nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren. Zorn, Unglauben und Enttäuschung tobten in ihm, und wie ein reißender Strom, der sich durch Risse in einer Talsperre drängte, drohten seine Gefühle aus ihm hervorzubrechen.
Reiß dich zusammen, Admiral!
Akaar saß in seinem Büro im Hauptquartier der Sternenflotte und studierte Jean-Luc Picards Gesicht, das auf dem Bildschirm seines Computers zu sehen war. Zu Beginn der letzten Mission der U.S.S. Enterprise war es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Captain und ihm gekommen, aber Picards Selbstdisziplin, für die er in Sternenflottenkreisen bekannt war, hatte wieder die Oberhand gewonnen: Er schilderte die Geschehnisse auf Sralanya gewohnt sachlich und wartete schweigend auf Nachfragen. Seine Miene blieb unbewegt. Es kam Akaar so vor, als widerstrebte es Picard, wieder auf das Thema zurückzukommen, das beide Männer zuvor in Rage versetzt hatte.
Er hat keine Ahnung von der Bombe, die ich gleich platzen lassen werde .
Er lehnte sich dem Bildschirm entgegen. »Erzählen Sie mir von Min Zife, Captain«, sagte er.
Da veränderte sich Picards Gesichtsausdruck doch: Sein Schrecken war ihm deutlich anzusehen. Zwar hatte er sich bewundernswert schnell wieder unter Kontrolle, aber der Schaden war angerichtet: Er hatte sich verraten.
»Was soll ich Ihnen denn erzählen?« , fragte Picard vorsichtig.
Akaar faltete die Hände vor sich auf dem Schreibtisch. Er hatte Picards volle Aufmerksamkeit. Gut. »Oh, ich weiß nicht, Captain. Soll ich anfangen?«, fragte er. »Sein Rücktritt zum Wohle der Föderation, sein stiller Gang ins Exil – das ist lediglich die Geschichte, die man der Öffentlichkeit verkauft hat. Die Wahrheit ist, dass er gezwungen wurde, sein Amt niederzulegen, ohne dass ein Amtsenthebungsverfahren oder eine offizielle Untersuchung seiner Taten in die Wege geleitet wurde. Und ja, seine Taten waren abscheulich. Sie kosteten Millionen von Leben. Präsident Zife hätte angeklagt und vor Gericht gestellt gehört, um sich dafür zu verantworten. Aber das wurde ihm erspart, Captain, nicht wahr?«
Picard schwieg, aber sein gequälter Blick war nach innen gerichtet, als würden vor seinem geistigen Auge lange verdrängte Erinnerungen aufsteigen. Akaar musste einräumen, dass Picard wohl wenig anderes übrig geblieben war. In den Jahren nach Min Zifes erzwungener Amtsniederlegung hatten Picard und seine Besatzung viel durchzustehen gehabt. Er hatte sich keine Ablenkungen erlauben können.
Das Ausmaß der Enthüllungen Ozla Granivs war dermaßen gewaltig, dass Akaar noch damit beschäftigt war, die Informationen zu sichten. Natürlich hatte er schon früher von Sektion 31 gehört, aber die geisterhafte Ungreifbarkeit des Geheimbundes hatte ihn ratlos gemacht. Und damit war er nicht allein gewesen: Alle, die versucht hatten, die Verbrechen der Organisation aufzudecken, waren gescheitert. Graniv hatte sie alle ausgestochen. Um Sektion 31 zu demaskieren, hatten sie und zwei Agenten des Geheimdienstes der Sternenflotte, Julian Bashir und Sarina Douglas, sich in große Gefahr gebracht – Douglas hatte für dieses Ziel sogar ihr Leben gegeben.
Das Komplott gegen Präsident Min Zife zählte ohne Frage zu den abscheulicheren Taten der Organisation. Zwar verstand Akaar rückblickend die Gründe dafür, die Herangehensweise aber konnte er nicht billigen. Zife hatte während des Dominion-Krieges ein geheimes Abkommen mit der Regierung des Planeten Tezwa getroffen, einer unabhängigen Welt an der Grenze zum Klingonischen Reich. Tatsächlich verfolgte Zife mit seinem Plan, Verteidigungsgeschütze auf Tezwa zu stationieren, sogar gute Absichten: Tezwa wurde so zum Teil der Defensivstrategie für den Fall, dass die Schiffe der Sternenflotte gezwungen worden wären, vor den Angriffen des Dominion zurückzuweichen. Das Problem daran war, dass er damit gegen das Khitomer-Abkommen verstieß, den Friedensvertrag zwischen der Föderation und dem Klingonischen Reich. Wäre seine Entscheidung publik geworden, hätten die Klingonen der Föderation wahrscheinlich den Krieg erklärt.
Vielleicht wäre der ehemalige Föderationspräsident sogar mit seinem geheimen Plan davongekommen, wenn die Geschütze nicht schließlich gegen klingonische Schiffe eingesetzt worden wären. Zife hatte versucht zu vertuschen, was er getan hatte, aber dem langen Arm und eisernen Griff von Sektion 31 war er nicht entronnen.
»Nachdem Sie von Zifes Verbrechen erfahren hatten, war Ihnen klar, dass eine öffentliche Anklage die Klingonen provozieren würde, Vergeltungsmaßnahmen gegen die Föderation zu ergreifen«, fuhr Akaar fort. »Also haben Sie und ein paar andere Offiziere beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.«
»Widerstrebend, aber … Ja.« Obwohl Picard sich sichtlich unwohl fühlte, senkte er keinen Moment lang den Blick. Das hatte Akaar auch nicht erwartet. Allerdings veränderte sich Picards Tonfall: Er wurde förmlicher, zurückhaltender. »Damals schien es so, als sei es das Beste für die Föderation, Präsident Zife zum Rücktritt zu zwingen und ihm zu gestatten, sein Leben im Exil zu beschließen.«
»Sie haben einen Staatsstreich inszeniert, Picard!«, fuhr Akaar ihn an. »Sie haben ihn mit vorgehaltenem Phaser aus dem Amt gedrängt.« Beinahe gegen seinen Willen brachen die Worte aus ihm hervor; seit die nicht enden wollende Flut furchtbarer Nachrichten ihm über den Kopf gestiegen war, kämpfte er mit seinen Gefühlen. »Ihre Ziele mögen zu rechtfertigen gewesen sein, aber Ihre Mittel? Ihre Mittel waren elend. Und trotz Ihrer Bemühungen ist die ganze Geschichte ans Licht gekommen. Alles ist öffentlich geworden, Picard, verstehen Sie mich? Einschließlich aller Namen. Wenn Sie das nächste Mal Gelegenheit haben, auf den Nachrichtendienst der Föderation zuzugreifen, können Sie nachlesen, wie Sektion 31 Sie zum Narren gehalten hat. Zife ist nicht im Exil, Captain, er ist tot. Er wurde ermordet, sobald er seine Abschiedsrede gehalten hatte.«
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