Ross warf einen raschen Blick über die linke Schulter. Er wusste, dass es ein zweites Tor gab: Von dort aus führte ein Spazierpfad zu einem nahen Park. Zwei weitere Agenten in grauer Uniform flankierten dieses Tor, ein Mensch und eine Vulkanierin.
So komme ich hier nicht raus .
Ihm blieb noch eine letzte Option. Ross schob eine Hand in seine Jacke und tippte den Kommunikator an, den er an sein Innenfutter gepinnt hatte. Es war kein Gerät der Sternenflotte und bot ein paar Funktionen mehr als der Kommunikator, den er einst an seiner eigenen Uniform getragen hatte. Er klopfte mit den Fingerspitzen zweimal dagegen, um das Notfallevakuierungsprogramm zu aktivieren. Es würde ihn zu einem Versteck transportieren: eine kleine Hütte in den Bergen, zweihundert Meilen nördlich von New Glasgow. Seine Flucht war im besten Fall ein Aufschub, aber so würde er wenigstens Zeit haben, seine nächsten Schritte zu planen. Vor allem musste er entscheiden, was er wegen Stefana und Zach unternehmen sollte …
Er hatte erwartet, in die überraschten Gesichter der Sicherheitsagenten zu blicken, während er sich vor ihren Augen auflöste, doch es geschah – nichts.
Was in drei Teufels Namen … Natürlich, eine Transporterabschirmung! Sie haben damit gerechnet, dass ich so etwas versuche. Verflucht!
Hilflos saß Ross auf der Terrasse seines Lieblingscafés und sah der Frau in der grauen Uniform entgegen, die ihren Phaser nun auf seine Brust gerichtet hielt.
»Nehmen Sie sofort die Hand aus der Jacke, Sir!«
Ross streckte der Agentin schweigend beide Hände entgegen, die Handflächen nach oben gekehrt, um ihr zu zeigen, dass sie leer waren.
Die Frau winkte mit dem Phaser. »Bitte stehen Sie auf.«
Ross erhob sich. Der männliche Sicherheitsoffizier trat hinzu und legte ihm Handschellen an. Ross wehrte sich nicht.
»Admiral William Ross«, sagte die Frau und ließ ihren Phaser sinken. »Wir verhaften Sie wegen Verbrechen gegen die Föderation – einschließlich Verrats, Mordes, Verabredung zum Mord, Volksverhetzung und Verabredung zur Durchführung eines Staatsstreichs gegen rechtmäßig gewählte Amtsinhaber der Regierung der Föderation.«
Alynna Nechayev justierte ihren Phaser, ohne die Aufmerksamkeit von dem Computerterminal zu wenden, auf dem sie live verfolgte, wie dunkel gekleidete Agenten der Föderationssicherheit im Schutz der Nacht auf ihr Haus zuschlichen. Sie hatten ihr Anwesen umzingelt; mit jedem ihrer Schritte zog sich die Schlinge enger zusammen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sie ihre Veranda betreten. Nechayev warf einen raschen Blick auf den Phaser, um sich davon zu überzeugen, dass er auf Betäubung eingestellt war, öffnete die oberste Schublade ihres Schreibtisches und griff nach dem Kommunikatorabzeichen, das darin lag.
Entscheide dich , ermahnte sie sich selbst. Egal was du tust, es wird höchste Zeit, dass du in die Gänge kommst!
An der Stirnseite ihres Wohnzimmers hing ein Fernsehschirm, der Fotografien jener Föderationsbeamten und führenden Sternenflottenoffiziere zeigte, die Ozla Graniv in ihrer unglückseligen Enthüllungsreportage mit Sektion 31 in Verbindung gebracht hatte. Nechayev hatte bereits Bilder von Freunden und Kollegen gesehen: William Ross, Tsujiro Nakamura, sogar den verstorbenen Owen Paris. Einspielungen vom Filmmaterial eines Nachrichtenteams sowie von Privataufnahmen dokumentierten die Verhaftung eines Admirals, Edward Jellico, durch den Föderationssicherheitsdienst.
Im ganzen Föderationsraum wurden Mitglieder und Verbündete von Sektion 31 gejagt und festgenommen. Die Ereignisse überstürzten sich, und die Nachrichtensprecher kamen kaum hinterher. Offenbar waren sowohl die Föderation als auch die Sternenflotte eifrig bemüht, die Situation in den Griff zu bekommen und all diejenigen in Haft zu nehmen, die in den Skandal verwickelt waren, bevor sie sich aus dem Staub machen konnten. Zwar war Nechayev bei Weitem nicht so tief in die Machenschaften von Sektion 31 verstrickt wie einige ihrer Sternenflottenkollegen, aber ihr war klar, dass jeder, der mit der Geheimorganisation zusammengearbeitet hatte, Gegenstand der Ermittlungen sein würde. Ungeachtet ihrer Motive und Rechtfertigungen, würde selbst der wohlwollendste Richter ihre Mittäterschaft als Hochverrat ansehen – ob in einem Zivil- oder Militärprozess. Die Sicherheitsagenten, die ihr Haus umzingelt hatten, machten das mehr als deutlich.
Nechayev hatte nicht vor, sich auf ihrem eigenen Grund und Boden verhaften zu lassen.
Sie brauchte bloß die passiven Scanner auf ihrem Grundstück zu kontrollieren, um festzustellen, dass ihre unwillkommenen Besucher eine Transporterabschirmung aktiviert hatten: offenbar ein tragbares Modell, das die Sicherheitsagenten ungefähr zwanzig Meter von ihrem Haus entfernt aufgebaut hatten.
Niemand hätte von diesem Ort wissen dürfen. Nechayevs Haus stand verborgen in einem Wäldchen in den Adirondacks, einem Gebirge im nordöstlichen Teil des Bundestaates New York, und war einer von zwei geheimen Unterschlüpfen, die Nechayev sich vor Jahren zugelegt hatte. Kaum dass sie die ersten Minuten der Berichterstattung über die Enthüllungsreportage Granivs gesehen hatte, hatte sie sich hierher transportiert. In ihrem Apartment in San Francisco gab es in einem Wandschrank einen abgeschirmten Transporter, der keine Logdatei führte – niemand konnte von dort aus ihre Spur verfolgen. Dass es die Sicherheitskräfte der Föderation so wenig Zeit gekostet hatte, sie hier zu finden, sagte ihr, wie viel im Zuge der Enthüllungsreportage über sie herausgekommen war.
Aber was genau wissen sie noch?
Rasch gab sie über das Touch-Interface des Computerterminals eine Folge von Befehlen ein: Auf dem Gelände waren Emitter verteilt, die einen Dämpfungsimpuls erzeugen konnten. Das war kein tödlicher oder auch nur gefährlicher Angriff gegen die Eindringlinge, der Impuls legte lediglich kurzzeitig alle elektronischen Geräte im Radius eines halben Kilometers still, abgesehen natürlich von denen in ihrem Haus. Auf dem Bildschirm sah sie verschiedene Agenten innehalten: Sie untersuchten ihre Waffen, ihre Trikorder und ihre übrige Ausrüstung. Der Dämpfungsimpuls hatte ganze Arbeit geleistet, was auch die Anzeigen bestätigten: Die Transporterabschirmung war außer Betrieb. Sie würde nur wenige Augenblicke lang Zeit haben, bevor die Agenten entweder ein Ersatzgerät aktivierten oder alle Vorsicht über Bord warfen und das Haus stürmten.
Höchste Zeit, hier zu verschwinden .
Sie warf sich eine Tasche über die Schulter, die sie für solche Notfälle gepackt hatte (sie enthielt ein paar Kleidungsstücke und verschiedene Gegenstände sowohl von persönlichem Wert als auch praktischem Nutzen), den Phaser noch in der Hand. Dann tippte sie ihren Kommunikator in einer vorher festgelegten Sequenz mehrmals an. Das Gerät gab einen beruhigenden Piepton von sich. Im nächsten Moment spürte Nechayev das vertraute Kribbeln auf der Haut, als der Transporterstrahl sie einhüllte.
In Sekundenschnelle lösten sich ihr gemütliches, warmes Wohnzimmer, der Wald und die Berge vor ihren Augen auf. Sie fand sich vor einer Wand aus durchsichtigem Aluminium wieder – ein Aussichtspunkt, von dem aus sie eine Veranda überblickte, einen blendend weißen Sandstrand und den wunderschönen tiefblauen Pazifischen Ozean. Die letzten Strahlen der Abendsonne tauchten die Häuser an der mexikanischen Küste San Juanicos in ein warmes Licht. Die Dämmerung war nah. Nur zu gern hätte Nechayev den Anblick genossen – an diesem Ort stieg immer ein Gefühl heiterer Gelassenheit in ihr auf –, aber sie hatte keine Zeit. Ihr abgeschirmtes Transportersystem half ihr nichts, wenn der Sicherheitsdienst der Föderation auch von diesem Versteck wusste. Sie würden in Kürze Agenten hierher entsenden – gesetzt den Fall, sie waren nicht bereits unterwegs.
Читать дальше