Harry folgte der Aufforderung und riss die Augen auf. »Was um alles in der Welt haben die denn da zu suchen?«
»Das ist es, was Sie herausfinden sollen.«
Ein Strand, Atlantic City, New Jersey, 13:05 Uhr
»Lass das!«, prustete Thomas Parker, der unsanft aus seinem Nickerchen gerissen wurde, als Wasser auf ihn spritzte.
Der sechsunddreißigjährige gebürtige New Yorker sah zu der jungen Frau und dem nunmehr leeren Eimer in ihren Händen hinauf, von dessen Rand es noch verräterisch heruntertropfte. In ihren dunklen Augen blitzte Schadenfreude auf. Mit einer schnellen Bewegung tat sie so, als würde sie mit dem Eimer nach ihm werfen wollen, und bekam einen Lachanfall, als er sich instinktiv von der Decke in den Sand rollte.
»Ich sagte, du sollst damit aufhören, Julie!«, protestierte er. Sand blieb an seiner nassen Brust kleben.
»Willst du mich etwa daran hindern?« Sie lachte und tänzelte von ihm fort, als er versuchte, ihren Knöchel zu packen.
Er lehnte sich zurück, strich sich seine nassen braunen Haare aus der Stirn und sah seine Freundin an. »Nein, wahrscheinlich nicht. Aber früher oder später …« Er drohte ihr mit seinem Zeigefinger »Du wirst schon sehen.«
»Was denn?«
In diesem Moment klingelte sein Handy und was immer er als Antwort im Sinn gehabt haben mochte, war in dem Moment vergessen, als er nach dem Telefon griff. Zwei Worte blinkten auf dem Bildschirm auf: SICHERE VERBINDUNG. Das konnte nur Kranemeyer sein. Und das bedeutete nichts Gutes, was seine Pläne für den Abend anbelangte. Er stand auf und warf Julie einen Blick zu.
»Das ist privat«, warnte er sie und tippte in rascher Folge die Code-Sequenz für die verschlüsselte Verbindung ein.
»Wer ist das, eine andere Freundin?«, wollte sie wissen und musterte ihn dabei genau.
Er schüttelte den Kopf und grinste sie an.
»Nein, das ist mein Boss.« Mit ein paar Schritten entfernte er sich von dem Sonnenschirm, unter dem bis eben noch gelegen hatte. »Thomas hier.«
»Wo zur Hölle stecken Sie, Parker? Ich hab es bei Ihnen zuhause versucht, konnte Sie dort aber nicht erreichen.«
»Ich bin im Urlaub, Sir. Wieso sollte ich da zuhause sein? Ich bin in Atlantic City, hänge ein wenig am Strand ab, surfen und so.«
»Nun, Ihr Urlaub ist hiermit beendet. Ich brauche Sie in Langley, sofort. Da braut sich was zusammen.«
»Sofort?«, wiederholte Thomas mit offenkundigem Widerwillen und spähte zurück zu Julie. Würde sicher lustig werden, ihr das zu erklären.
»Hören Sie zu, Parker. Ich will Sie im Hauptquartier haben, so schnell wie möglich. Es gibt einen Einsatz. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
»Nein«. Der Tonfall in Direktor Bernard Kranemeyers Stimme hatte deutlich gemacht, dass es keiner weiteren Fragen bedurfte. Und Thomas hatte nicht neun Jahre im National Clandestine Service überlebt, indem er seinen Boss ständig auf die Palme brachte. »In ein paar Stunden bin ich da.«
»Gut«, lautete die knappe Antwort, dann legte Kranemeyer auf. Thomas starrte das Telefon noch ein paar Sekunden an, bevor er es beiseitelegte.
»Worum ging es?«, hörte er Julie fragen.
Er nahm ihre Jeans von der Rückenlehne einer der Liegestühle und warf sie ihr zu. »Zieh dich an«, sagte er kurz angebunden. »Wir gehen.«
»Wieso?«, fragte sie, die Hose noch immer in den Händen haltend.
»Ich muss zurück zur Arbeit«, fuhr er sie mürrisch an. »Jetzt mach schon!«
CIA-Hauptquartier, Langley, Virginia, 14:03 Uhr
»Parker ist auf dem Rückweg von Atlantic City. Zakiri war in Seattle seine Familie besuchen und kam heute Morgen mit einer United-Maschine an. Und Richards kommt von der Farm«, meldete Kranemeyer, wobei er sich auf das Trainingszentrum der CIA in Camp Peary, Virginia bezog. »Damit wäre soweit alles klar, oder?«
» Falsch «, kommentierte Harry und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Seine Augen funkelten. »Mich würde interessieren, wieso Sie mein Team in einer Sache losschicken wollen, die eigentlich von einem diplomatischen Gesandten geklärt werden könnte? Ganz zu schweigen von der Frage, wie Sie einen Anti-Kriegs-Präsidenten dazu bewegen konnten, einen solchen Einsatz zu autorisieren.«
»Aus zwei Gründen«, antwortete Lay tonlos. »Zum einen sind es keine zwei Monate mehr bis zur Wahl, und das Letzte, was der Präsident wünscht, ist, dass eine Geiselnahme seine Wiederwahl überschattet. Und nun, da seine Präsidentschaft bedroht wird – na ja, das hier ist D.C., Harry. Sie wissen ja, wie es in dieser Stadt um die Halbwertzeit von Werten und Moral bestellt ist. Kurzum, der Mann will handeln, keine Reden führen. Was den zweiten Grund angeht – wollen Sie es ihm erzählen, Barney, oder soll ich?«
Kranemeyer schüttelte den Kopf und streckte seine Hand nach dem Schalter auf Lays Schreibtisch aus. »Darf ich, Sir?«
Der DCIA nickte.
Harry sah die beiden Männer an. Hier war irgendwas im Gange, von dem er noch keinen blassen Schimmer hatte. Ein weiterer Faktor. So wie in den meisten Fällen, wenn der Boss involviert war. Als früherer Geheimagent wurde Kranemeyer nicht umsonst auch »Dark Lord« genannt.
Er kannte nicht die ganze Wahrheit. Wahrscheinlich würde er das auch nie. In seinem Beruf war Wahrheit ein flüchtiges Gut. Aber zumindest würde er gleich eine weitere Einzelheit kennenlernen.
Einen Augenblick später öffnete sich die Tür zum Vorzimmer und ein kleiner, schlanker schwarzer Mann mit einem Laptop unter dem Arm kam herein.
»Harry«, begann Director Lay. »Carter hier wird uns im Eiltempo auf den neuesten Stand bringen, was die Anhänger anbelangt. Haben Sie die Daten dabei, Ron?«
»Die Anhänger auf der verlassenen Ausgrabungsstätte?«, fragte Harry und schüttelte Carters Hand. Der afroamerikanische Analytiker begrüßte ihn mit einem kurzen Kopfnicken und platzierte seinen Computer auf dem Schreibtisch des Direktors, dabei ganz offensichtlich in seinen eigenen Gedanken versunken. Harry lächelte. Ron Carter und er kannten sich schon eine ganze Weile und er hatte gelernt, die Fähigkeiten dieses Mannes niemals zu unterschätzen. Trotz seiner gelegentlichen Neigung zu unsozialem Verhalten war Carter der beste Foto-Analytiker, den die Agency zu bieten hatte und besaß zudem ein Talent für die Leitung von Außeneinsätzen, was Kranemeyer vor zwei Jahren dazu veranlasste, ihn vom Nachrichtendienst abzuwerben.
Carter nickte und drehte den Laptop herum, damit alle den Bildschirm einsehen konnten. Das Bild einer der Anhänger war zu sehen. »Sofort, nachdem wir die Fotos reinbekamen, habe ich sie durch unsere Datenbank laufen lassen. Es dauerte eine Weile, bis wir sie zuordnen konnten, aber hier ist es.«
»Was haben wir da?«
»Sei sind beinahe identisch mit den mobilen Labors für biologische Waffen, wie sie Saddam Hussein in den Neunzigern verwendete«, erklärte Carter und schob sich seine Brille auf dem Nasenrücken zurecht. »Aber diese gehören nicht dazu.«
»Wo also haben sie die her?«
»Wenn Sie sich erinnern, Harry, sprang vor drei Jahren ein Spec-Ops-Team der CIA über Aserbaidschan ab, um eine Waffenlieferung der Russen an den Iran abzufangen.«
Harry schloss die Augen und nickte. Daran erinnerte er sich nur zu gut. Schließlich hatte er diese Mission geleitet. Er erinnerte sich an den HAHO-Sprung aus der C-130 – High Altitude, High Opening, große Absprunghöhe, große Öffnungshöhe – und ihren langsamen Abstieg in die winterliche aserische Nacht und die Dunkelheit unter ihnen. Er und neun weitere, zwei komplette Einsatztrupps, Alpha und Charlie. Sie vermuteten, dass die Russen Atomwaffen verkauften, und hatten den Befehl, den Konvoi unter allen Umständen aufzuhalten, koste es, was es wolle. Und der Preis erwies sich als hoch.
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