Warst Du schon mal bei einem Psychotherapeuten? Mein erstes Gespräch auf der Couch war vielversprechend, deswegen unterzeichnete ich einen Vertrag über zwanzig Termine. Meine Therapie fing gut an, ebbte ab und endete im Chaos. Die letzte Sitzung steht noch aus. Lieber Adam, sollen wir gemeinsam dort hingehen und uns beraten lassen? Ich glaube, ich bin suchtgefährdet und sehr labil, was Dich betrifft. Ist das behandlungsbedürftig?
Dein Schatzi
Meine Süße,
Du, süchtig nach mir … Das gefällt mir. Lass Dich diesbezüglich bitte nicht therapieren.
Erzähl mir stattdessen von der Psychokatastrophe. Ich liebe Horrorgeschichten.
Adam
Lieber Adam,
Du wirst neugierig, das finde ich gut.
Meinen Psychologen fand ich bis zur siebten Sitzung auch gut. Er fragte, ich antwortete. Auf diese Weise merkte ich, dass meine Entscheidung, meinen Angeheirateten zu verlassen, richtig war. Wir hatten überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Wie sollte unsere Beziehung da auf Dauer funktionieren? In diesem Seelendoktor hatte ich jemanden gefunden, der mich in meinen Ansichten bestärkte und mir versicherte, ich sei auf dem richtigen Weg. Kannst Du Dir vorstellen, Adam, wie schön es für mich war, dass ich mich endlich verstanden fühlte?
Mein Psychodoc und ich saßen also in angenehmer Atmosphäre bei Tee zusammen und führten aufschlussreiche Gespräche. Doch irgendwann kippte die Therapie. Die Stimmung wurde allmählich mehr freundschaftlich als therapeutisch. Wir lachten viel und schweiften ab. Da ich mich für Psychologie interessiere, hatte ich zunächst nichts gegen unser fachliches Klönen und fing sogar an, ihm, meinem Therapeuten, Fragen zu stellen: »Was ist das größte Problem aller Menschen? Wie schafft man es, sich selbst realistisch einzuschätzen? Wie kam es dazu, dass Sie Psychologe wurden?«
Es war nett, unsere Weltanschauungen aus psychologischer Sicht zu diskutieren. Auch dem Doc gefielen die bezahlten Plapperstunden. Auf diese Weise erfuhr ich in meinen Therapiesitzungen, dass er davon träumt, ein eigenes Pferd zu besitzen, dass er jeden Morgen schwimmen geht, um in Form zu bleiben, und dass er es bedauert, Single zu sein. Oft erlaubte ich mir sogar Ratschläge zu erteilen. Er genoss meine Anregungen offensichtlich, denn er forderte sie immer wieder heraus. An mir ist wohl eine Psychologin verloren gegangen. Es machte mir Spaß, ihn zu analysieren, doch nach ein paar Wochen wollte ich unsere Gespräche lieber wieder in therapeutische Bahnen lenken. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass er Ausflüchte suchte, um mir stattdessen immer mehr über sich zu erzählen. Je mehr ich jedoch über ihn herausfand, desto mehr Pluspunkte verlor er. Ich merkte nach einiger Zeit, dass er lediglich vorgefertigte Meinungen vertrat und sich bei allem, was er sagte oder dachte, nur aus Schubladen bediente. Kurzum: Ich durchschaute ihn und hatte mich nicht, wie er wohl hoffte, in ihn verliebt. Adam, solche Gefühle habe ich mir für Dich aufgehoben.
Ich wünschte, Du könntest meinen Mr. Psycho sehen! Er ist ein Thriller, was sein Aussehen, seine Manieren und seinen Charme angeht. Aber er hat weder Klasse noch Charisma. Kaum vorstellbar, er ist 43 Jahre alt und hat noch nie mit einer Frau zusammengelebt. Laut meiner Diagnose hat er Bindungsängste, Phobien und mindestens eine Manie. Er zweifelt an sich und wiegt all seine gut durchdachten und vorsichtig ausgewählten Handlungen und Äußerungen immer wieder ab. Trotzdem tritt in die vielen Fettnäpfchen, die seinen Lebensweg pflastern. Ich finde, er sollte dringend einen Kollegen aufsuchen.
Es war wirklich interessant, wie er im Verlauf unserer netten Treffen immer aufdringlicher wurde. Seine Duftnote wurde intensiver und sein Handdruck weicher und länger. Zu seinem neuen Hochglanzlook bei meinem letzten Besuch verkniff mir das schallende Gelächter und setzte mich stattdessen stumm auf meinen Platz. Hätte ich den Mund aufgemacht, um irgendwas zu sagen, wäre garantiert nur Gelächter herausgekommen. Erst war er erstaunt, dann beleidigt und schließlich fragte er besorgt, ob es mir nicht gut gehe. Als ich losprustete und mich kaum noch halten konnte, zückte er arrogant seinen Rezeptblock, um mir ein Beruhigungsmittel zu verschreiben. Kurzum: Er vergaß seine Frisur und widmete sich zumindest kurzzeitig seinen Pflichten als Arzt.
»Haben Sie eine Entscheidung getroffen?« Unbeholfen stellte er Fragen, die ich nicht beantwortete.
Er war irritiert, kratzte sich am Kopf, überlegte. Dann lud er mich ein: »Wir sollten rüber gehen, ins Blue. Das würde Ihnen gut tun.«
Eindeutig, er wollte mich bestimmt dort trösten und dann wohlmöglich noch nach Hause begleiten. Widerlich! Ohne ein weiteres Wort verließ ich seine Praxis. Das Blue, liebster Adam, ist eine neue Hafenlounge mit wunderbaren Kuschelecken. Die wäre etwas für uns!
Für meine letzte Stunde, falls ich sie wahrnehme, muss ich mir etwas einfallen lassen. Soll ich ihm von unserer außergewöhnlichen Mailfreundschaft erzählen? Er würde vor Neid zerfließen und vor Eifersucht schmelzen. Mal sehen, ich werde berichten.
Deine?
P.S. Wir sollten uns Titel geben, das ist heute modern. Sind wir spezialisiert auf das Gebiet Erotologie, Erotomanie, Erosoziopatie … Du Prof. und ich Doc? Oder lieber umgekehrt?
Liebste Professorin,
klingt doch sehr erhaben! Ich schaue gerne zu Dir auf. Als Jungs wollten wir damals alle von unserer Lehrerin (der neuen Referendarin ohne BH mit dem zu kurzen T-Shirt) verführt werden. Die gleichaltrigen, gackernden Schülerinnen hatten wir satt.
Von Dir, Professorin, habe ich noch nicht genug. Wir sind uns ganz nah, wollen einander.
Ich hoffe, Du findest bald wieder Zeit für uns, für unsere Gemeinsamkeiten, unseren Akt auf der Mauer. Zur Erinnerung: Es ist warm und windig, wir sind wild entschlossen. Unsere Körper sind sich einig, wir schauen uns an. Wenn Blicke nicht erregen können …
Dein Doktor Adam
Ja, Doc,
unsere Leidenschaft, ich hoffe, ich habe sie nicht unterbrochen! Ist das in unserem bebenden Zustand überhaupt möglich? Ich glaube kaum. Ein kurzer Gedanken an Dich und schon bin ich Feuer und Flamme. Mein Herz zieht sich zusammen, die Leitung zum Unterleib bekommt einen Stromstoß und angenehme Wärme durchströmt meinen ganzen Körper. Schon gibt es für mich nur noch einen Gedanken: wir beide, unsere Körper, ganz nah, unsere Hände überall. Ich möchte nie und nimmer aufhören. Jeden Moment will ich auskosten, immer mehr haben und weiter gehen. Die Wanderung Deiner Finger lässt mich vor Lust vergehen. Mit Dir ist es etwas ganz Besonderes. Vielleicht sollten wir die Spannung erhöhen, die Gier steigern und immer wieder von vorne anfangen …
Wenn Du mich jetzt sehen könntest! Ich liege auf meinem Himmelbett, während ich Dir schreibe. Mein Kopf ist voller wilder Gedanken.
Deine ergebene Professorin
Die Professorin gefällt Dir also.
Wo steht Dein Himmelbett, was trägst Du und in welcher Haltung liegst Du darauf? Was machst Du, während Du auf meine Antwort wartest?
Dein Doc A.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.