John und auch Lydia tun das. Sie sind strikte Abtreibungsgegner. Trumps Pro-Life-Haltung war gerade für Lydia ein wesentlicher Grund, ihn zu wählen: »Trump steht fest aufseiten der Pro-Life-Bewegung.« Das war nicht immer so, Trump ist in der Vergangenheit sehr wohl für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch eingetreten. Als Neo-Politiker ist er zum Abtreibungsgegner mutiert und setzt voll auf diese Karte: Im Jänner 2020 ist er der erste amtierende US-Präsident, der am alljährlichen Pro-Life-Marsch auf der Mall in Washington teilnimmt. Es ist schließlich Wahlkampf.
John ist überzeugt, dass sich mit Trump als Präsident das gesellschaftliche Klima in den USA verändert hat und sich noch weiter verändern wird. Er glaubt fest, dass die als »Roe gegen Wade« in die Geschichtsbücher eingegangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1973, die die Abtreibung erlaubt, demnächst noch einmal vor dem Obersten Gerichtshof landen wird. »Seit 1973 hat sich die Wissenschaft weiterentwickelt, ist unser Wissen darüber, wann Leben beginnt und was Leben heißt, ein anderes geworden. Ich glaube, die Argumente der Abtreibungsbefürworter werden nicht mehr durch die Wissenschaft unterstützt.« An Argumenten, die seine Meinung unterstützen, fehlt es John nie – was er immer wieder nicht ohne Stolz und mit schelmischem Lächeln betont.
John ist auch der Prototyp des »Selfmademan«, des erfolgreichen Kleinunternehmers, ein Businessman wie aus dem Bilderbuch. John und seine Familie leben von der Autowerkstatt, die er am Rande der Stadt aufgebaut hat. Sie ist nicht viel mehr als eine Lagerhalle in einer Industriegegend, aber John nennt sie sein Eigen und die Werkstatt läuft gut. Er ist spezialisiert darauf, Zusatzfunktionen in Autos einzubauen. Im langen und bitterkalten Winter hier im Norden sind das vor allem Fernstarter, um Autos vorzuheizen. Hochsaison ist für ihn im Herbst, weil, wie er grinsend sagt, den Leuten erst dann wieder einfällt, dass der Winter vor der Tür steht. Häufig baut er auch Alkohol-Wegfahrsperren ein: Ein längerer Führerscheinentzug für Lenker, die alkoholisiert gestoppt werden, wäre im ländlichen North Dakota unverhältnismäßig hart. Ohne Auto ist es fast unmöglich, seiner Arbeit nachzukommen oder auch nur die Familie zu versorgen. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum oder gar nicht. Daher erlauben die Behörden oft den Einbau einer Wegfahrsperre statt eines Führerscheinentzugs.
Ich besuche ihn in seiner Werkstatt. Bilder an der Wand im kleinen Büro zeigen John mit Donald Trump, John mit dem republikanischen Senator Ted Cruz, Lydia mit Ben Carson. Ein Bild von Bill und Hillary Clinton gibt es auch, es ist auf die Dart-Zielscheibe geheftet, die an der Wand hängt. Und ziemlich durchlöchert.
Lydia kommt am Nachmittag mit den Kindern vorbei, im kleinen Büro ist eine Spielecke eingerichtet. Es ist leicht zu erkennen, warum Johns Werkstatt gut läuft: Das ist keine Hochglanzwerkstatt, aber John bietet persönlichen Service, freundlich, zuvorkommend, am Telefon und mit Kunden, die ihre Autos abholen. Kundenservice, wie man es nur in einem Kleinbetrieb finden kann. In einer Stunde will ein Kunde seinen Wagen abholen, John legt letzte Hand an, um alles fertigzustellen. Sein dreijähriger Sohn James steht daneben, schaut fasziniert zu, hält das Werkzeug bereit und »hilft«. Auch wenn das »Helfen« ein bisschen bremst, John ist ein geduldiger Vater. Dass er seine Kinder liebt, ist augenscheinlich.
Ganz klein hat John angefangen, erzählt er. Mit sehr, sehr wenig Geld hat er nach der Highschool und während seiner College-Jahre seine Autowerkstatt gegründet. Er war in den ersten Monaten nicht sicher, ob er finanziell überleben wird oder den Traum von der Selbstständigkeit wieder aufgeben und sich einen Job suchen muss. »Aber ich habe hart gearbeitet, habe die richtigen Entscheidungen getroffen – und habe im Lauf der Zeit ein Business aufgebaut, mit dem ich meine Familie erhalten kann.« Er zitiert seine Regeln des Erfolgs, die der Ökonom Walter E. Williams aufgestellt hat: die Highschool abschließen, einen Job annehmen, erst Kinder kriegen, wenn man verheiratet ist, und nicht in die Kriminalität abrutschen. An diese Regeln hat er sich gehalten, sagt John stolz.
Johns konservative Welteinstellung hat sich erst im Erwachsenenalter gefestigt. In seinen Highschool-Jahren war er eher liberal, erzählt er mir, das war die überwiegende Stimmung an den Schulen und Universitäten in den 1980er, 1990er Jahren, er wollte nicht gegen den Strom schwimmen. »Wie die meisten jungen Menschen in meinem Umfeld war ich ein bisschen links.« Aber nach und nach hat er seine Meinung geändert, ganz besonders, als er begonnen hat, für die Republikanische Partei zu arbeiten, anfangs nur des Geldes wegen, aber dann immer mehr auch wegen deren Ideologie. »Da gehöre ich hin, zu dieser Überzeugung bin ich gekommen. Das sind die Ideale, an die ich glaube und die ich eigentlich immer schon hatte.«
Weniger Staat, mehr privat, das ist Johns Credo. »Zu viele erwarten, dass der Staat alles für uns tut, uns alles gibt. In den letzten zehn Jahren haben wir begonnen, vieles als unser Recht zu sehen, was gar nicht in der Verfassung steht, was die Gründerväter der Republik gar nicht so wollten.« Es ist ein klarer Seitenhieb auf die Demokraten und »die Linken« mit ihrer Vorsorgementalität, wie er sagt. Eine Regierung, die den Menschen alles gibt, macht sie abhängig, so seine Philosophie: »Großzügige Unterstützungsprogramme halten viele davon ab, Arbeit zu suchen und Eigeninitiative zu ergreifen. Die Machthabenden schaffen sich damit einen großen Wählerblock, der ihnen den Machterhalt garantiert. Selbstlos ist daran gar nichts, im Gegenteil.«
Hart arbeiten, das ist Johns Motto. Business – das ist für ihn die Essenz des amerikanischen Traums. Er bedauert, dass das protestantische Arbeitsethos verlorengegangen sei. »Die Menschen müssen wieder Initiative zeigen, Ambitionen haben, müssen sich mehr im Job engagieren. Sie müssen den Dollar wieder schätzen lernen, harte Arbeit schätzen lernen. Ich glaube, diese Mentalität existiert nicht mehr in Amerika.«
Es sind republikanische Werte, die John hochhält.
Neben seiner Autowerkstatt betreibt John noch ein kleines Zusatzgeschäft, das mehr Hobby ist als Geldbringer. Es ist ein kleines, aber feines Hobby. Er führt mich in eine Halle hinter der Werkstatt: An die 20 amerikanische Schlitten aus den 1960er und 1970er Jahren stehen da, alle liebevoll restauriert. John ist auf Lincolns spezialisiert. »Das ist ein 1978er Lincoln Continental Mark 5, Diamond Jubilee Edition, in lindgrüner Speziallackierung«, erklärt er mir und hebt die Stoffhülle, die das Auto vor Staub schützt. Manche der Autos tragen die Initialen der Erstbesitzer, es sind Spezialanfertigungen, wunderschön, aber für Reisen durch das Land ungeeignet. »Sie sind Benzinfresser, das geht ins Geld«, muss John eingestehen. Er nützt seine Sammlung für Ausflüge mit gleichgesinnten Freunden. »Cruise nights« nennen sie das. Wenn ein Kunde sich in einen seiner Oldtimer verliebt, dann verkauft John sie auch – zwischen 3000 und 10 000 Dollar kosten die meisten Autos, an einer kleinen Tafel in der Werkstatt sind die Kaufpreise angeschrieben. Aus gutem Grund fast versteckt: Am liebsten behält John die Autos selbst.
Kommen wir noch einmal zurück zu Donald Trump. John ist Republikaner, und nicht nur das: Er ist in der Republikanischen Partei in North Dakota engagiert.
»Haben Sie gewusst, dass ich Mister 1237 bin?«, fragt er mich. Als ich ihn fragend anschaue, lächelt er verschmitzt. »Ich war der Delegierte, der Trump 2016 die Nominierung sichergestellt hat«, sagt er stolz und erzählt mir die Geschichte.
Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) wollte wie viele andere amerikanische Medien die erste sein, die ankündigt, dass Trump die für die Nominierung nötige Zahl der Delegierten hinter sich hat. 1237 Delegiertenstimmen musste Trump erreichen, um in den Vorwahlen von keinem anderen republikanischen Kandidaten mehr übertrumpft werden zu können. Also startete die AP Ende Mai 2016 einen Telefon-Rundruf und landete bei John, der gerade mit einem anderen Delegierten auf dem Weg zu einer Veranstaltung war. »Wie viele Stimmen haben sie schon?, habe ich den Reporter gefragt. 1235 war seine Antwort. Fragen Sie doch zuerst Ben Koppleman, er ist mein Beifahrer«, erzählt John. Der AP-Reporter tut es, Koppleman bestätigt: Er wird für Trump stimmen. »Haben Sie jetzt 1236 Stimmen für Trump? Dann fragen Sie mich nochmal! Now I’m your guy!« Johns Stimme war damit die 1237ste für Donald Trump, die Stimme, die ihm auf dem Parteitag die Kür zum Präsidentschaftskandidaten garantiert hat. Für die Medien war John ab diesem Zeitpunkt Mister 1237. Beim Parteikonvent in Cleveland ein paar Monate später, im Sommer 2016, war John dann auch Mitglied der Delegation aus North Dakota – die Delegation aus dem kleinen und eher unwichtigen Bundesstaat hatte einen Ehrenplatz in der Versammlung, weil, wie es im US-Politjargon heißt, »they carried Trump over the top«, sie haben ihm die Nominierung gesichert.
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