Thomas Nagel
Letzte Fragen Mortal Questions
Erweiterte Neuausgabe
mit einem Schriftverzeichnis
Herausgegeben
von Michael Gebauer
CEP Europäische Verlagsanstalt
Titel der Originalausgabe: »Mortal Questions«
© 1979 Cambridge University Press
Die erste deutsche Übersetzung erschien 1984 unter dem Titel »Über das Leben, die Seele und den Tod«
Aus dem Amerikanischen von Karl-Ernst Prankel, Ralf Stoecker, Knut Emig, Tatjana Schaaf, Stefan Holler, Hans-Peter Schütt und Michael Gebauer.
Umschlag: Motiv: Thomas Nagel, © New York University
ISBN 978-3-86393-510-8
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Vorwort
Der Tod
Das Absurde
Moralische Kontingenz
Sexuelle Perversion
Massenmord und Krieg
Rücksichtslosigkeit im öffentlichen Leben
Die Strategie der Bevorzugung
Gleichheit
Die Fragmentierung des Guten
Ethik ohne Biologie
Hemisphärentrennung des Hirns und Einheit des Bewußtseins
Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?
Der Panpsychismus
Das Subjektive und das Objektive
Anhang
Das objektive Selbst
Menschenrechte und Öffentlichkeit
Schriften von Thomas Nagel
Biographische Notiz
Ausgewählte Bibliographie zu den Nagelschen Themen
Index
Ausgehend von der Diagnose, dass philosophische Irritationen auf ein grundlegendes Auseinanderfallen von individuellem Erleben und objektiver Realität reagieren, folgt Nagel der Einsicht der besten Vertreter der philosophischen Aufklärung, dass das legitime Streben analytischer Philosophie nach Klarheit und Präzision nicht zu Lasten der Behandlung der wichtigsten Fragen persönlicher Welt- und Selbsterfahrung gehen darf. Da hier Schlüsselfragen des persönlichen Lebens zu zentralen Themen der Philosophie führen, vermag »Letzte Fragen« auch den allgemeinen Leser gefangen zu nehmen.
Die vorliegende Ausgabe wurde gegenüber der amerikanischen Ausgabe, die bereits über 20 Auflagen erfahren hat, um einen längeren Essay über das Ich und einen neu verfassten Aufsatz über die Problematik der Menschenrechte erweitert.
Thomas Nagel,geboren 1937, Philosophieprofessor an der New York University School of Law. Zuvor Lehrtätigkeiten in Princeton und Berkeley, gehört zu den bedeutendsten lebenden Philosophen der Vereinigten Staaten. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes, Ethik und politischen Philosophie.
meinem Vater
WALTER NAGEL
dem Pessimisten und
Skeptiker
Das Menschheitsunternehmen Philosophie umspannt eine schier uferlose Themenvielfalt, doch seit jeher galt seine Aufmerksamkeit zu einem beträchtlichen Teil dem vergänglichen Leben: Wie ist es zu verstehen, wie zu fuhren? Mit dem Leben werden es auch die in diesem Buch gesammelten Essays zu tun haben: seinem Ziel, seinem Sinn, seinem Wert, dem Bewußtsein und der Metaphysik des Bewußtseins. Philosophen analytischer Prägung haben diesen Fragen nur selten Beachtung geschenkt, denn es ist schwierig, klare und präzise Auskunft über sie anzubieten, und aus einem Gemisch von Tatsachen und Gefühlen diejenigen Schwierigkeiten zu destillieren, die abstrakt genug sind, um philosophisch untersucht werden zu können. Probleme dieser Art müssen mit Hilfe einer philosophischen Methode in Angriff genommen werden, die auf ein ebensogut persönliches wie theoretisches Verständnis abzielt und sich bemüht, beide Aspekte durch Einbettung der theoretischen Ergebnisse in ein Ganzes unserer Selbsterkenntnis zusammenzuführen. Ein solches Unternehmen birgt seine eigenen Risiken. Derart allgemeine und tiefe Fragen führen nur allzu leicht zu langatmigen und schwammigen Antworten.
In jeder theoretischen Disziplin kommt es zu einer Spannung zwischen Extravaganz und Borniertheit, Phantasie und argumentativer Strenge, Weitschweifigkeit und Präzision. Nicht selten verfällt man aus Furcht vor Exzessen des einen Extrems den Exzessen des anderen. Und eine Vorliebe für den erhabenen Gestus kann dazu führen, daß man die Forderung nach Strenge ungeduldig beiseite schiebt und das Unverständliche in Kauf nimmt. Doch in der analytischen Philosophie stellte sich dieses Problem in umgekehrter Form – die Schwächen einer Tradition sind meist die Kehrseite ihrer Stärken. Wohl wäre es alles andere als richtig, behaupten zu wollen, die angloamerikanische Philosophie gehe den großen Fragen aus dem Weg, denn zum einen gibt es schlechterdings keine tieferen und bedeutenderen Schwierigkeiten in der Philosophie als die metaphysischen, erkenntnistheoretischen und sprachphilosophischen Probleme, die im Brennpunkt ihrer theoretischen Aufmerksamkeit liegen. Und zum anderen war das Establishment analytischer Philosophen sehr aufgeschlossen für einige in jüngerer Zeit unternommene Versuche, ihm bislang unbekanntes Terrain begehbar zu machen. Gleichwohl hatte die Furcht vor Unsinn hier nach wie vor einen äußerst hemmenden Einfluß auf das Denken. Noch lange nach dem Abdanken des Logischen Positivismus neigte die analytische Philosophie dazu, sich mit übertriebener Vorsicht in dieses Neuland voranzutasten – und dabei mit dem neuesten technischen Rüstzeug zu überladen.
Es ist nur allzu verständlich, daß die Vorliebe für bestimmte Präzisionsmaßstäbe und Methoden zur Konzentration auf Probleme führt, die sich mit diesen Methoden voranbringen lassen. Als forschungsstrategische Entscheidung kann dies völlig rational sein. Aber oft führt die Entscheidung dann die ungesunde Tendenz mit sich, die Legitimität von Fragestellungen im Rückgriff auf die derzeit verfügbaren Lösungswege definieren zu wollen. Und diese Angewohnheit macht sich noch nicht einmal nur in den im engeren Sinne theoretischen Forschungsdisziplinen breit: Wir kennen sie unter Ismen wie »Pragmatismus« oder »Realismus« auch aus Kontroversen über politische und soziale Fragen. Sie gewährleistet zwar stets eine lässige Bequemlichkeit – die Möglichkeit, daß man genuine und wichtige Probleme erst gar nicht in den Blick bekommen könnte, wird ja von vornherein ausgeschlossen –, doch kommt sie in allen Fachgebieten, und insbesondere in der Philosophie, regelrechter Unzurechnungsfähigkeit gleich. Wer sich hingegen noch nicht dem Schwachsinn ausgeliefert hat, wird wissen, daß es nämlich gerade dann wirklich interessant wird, wenn neue Verfahren und zu ihnen passende Maßstäbe geschaffen werden müssen, damit sich auch solche Fragen behandeln lassen, die im Rahmen der bestehenden Untersuchungsmethoden nicht gestellt werden können. Bisweilen läßt sich ein volles Verständnis solcher Fragen erst erreichen, nachdem die entsprechenden Methoden erarbeitet worden sind, und es bleibt sicher wichtig, daß man bestrebt sein sollte, vage, obskure und unbegründete Behauptungen zu meiden und ein hohes Niveau der Rechtfertigung und Argumentation zu wahren. Aber andere Werte sind nicht minder wichtig, und manche von ihnen erschweren es, die Dinge in säuberlicher Ordnung zu halten.
Meine eigenen philosophischen Sympathien und Antipathien lassen sich ohne weiteres in wenigen Sätzen zusammenfassen. Ich glaube, wir sollten eher den Problemen trauen als den Lösungen, eher Intuitionen als Argumenten und eher pluralistischer Dissonanz als der Harmonie eines Systems. Einfachheit und Eleganz können niemals den Glauben an die Wahrheit von etwas begründen, auch nicht an die Wahrheit einer philosophischen Theorie. Normalerweise sollten sie im Gegenteil den Verdacht auf sich ziehen, daß die betreffende Theorie womöglich
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