Starkes Motorengeräusch und gedämpftes Kettengeklirr verraten, dass russische Panzer durch die Straßen fahren. Dann und wann kracht es, kurze Feuerstöße aus russischen Maschinengewehren lassen darauf schließen, dass noch nicht alle Deutschen auf und davon sind.
Sepp Lechner lässt den in Gruppen dahinschleichenden Zug aufschließen.
„Hört her, Kameraden. Wir versuchen, im Panzergraben um die Stadt herumzukommen. Russische Infanterie scheint nicht da zu sein. Mit den Panzern werden wir zur Not fertig. – Los jetzt. Mir nach! Seid leise!“
Lechner springt in den etwa fünf Meter tiefen Panzergraben, der um die ganze Stadt läuft und an verschiedenen Stellen überbrückt ist.
Schnee liegt im Graben und dämpft die Schritte. Die Dunkelheit ist günstig.
Im Gänsemarsch bewegt sich der Pionierzug vorwärts. Als eine Brücke auftaucht, bleibt der vorausgehende Feldwebel stehen und horcht. Dann winkt er zum Weitergehen.
Die erste Brücke liegt hinter ihnen.
Rechts brummt etwas. Ketten klirren.
„Panzer!“, flüstert Lechner seinem Hintermann zu.
„Panzer …“, geht es leise von Mund zu Mund.
Der russische Panzer brummt heran, kommt an den Rand des Grabens.
„Hinlegen …“, zischt Lechner.
Der Pionierzug sinkt in den knietiefen Schnee und presst sich an die vereiste, grifflose und schräg aufsteigende Grabenwand. Sie halten den Atem an.
Der russische Panzer steht irgendwo in der Nähe. Man hört das Leerlaufen des Motors. Dann ertönen Stimmen. Die Besatzung unterhält sich.
Plötzlich grellt ein Scheinwerfer auf und leuchtet in den eine sanfte Biegung vollführenden Panzergraben.
Die Pioniere rühren sich nicht. Sie pressen sich in den Schnee, an die linke Grabenseite, um dem Lichtarm zu entgehen.
Es geschieht nichts. Der Schweinwerfer verlöscht wieder, die Russen fahren weiter.
„Junge, Junge“, flüstert Emmes, der dicht vor Willi das MG 42 schleppt, „wenn die uns g’spannt hätt’n!“
„Hör auf, Emmes – der Dreizehnte ist ja schon um.“
„Erst wenn wir von hier weg sind“, flüstert Emmes. Der Zug bleibt noch ein paar Augenblicke liegen.
„Wir müssen uns beeilen“, sagt Lechner zu Lehmann. „Sobald es hell wird, müssen wir von hier weg sein, sonst fangen sie uns.“
„Meinst du nicht, dass es besser wäre, wir lösten uns auf, Sepp?“
„Wie meinst du das?“, fragt Lechner.
„Gruppenweise weitergehen. So ein großer Haufen fällt leichter auf als ein paar Mann. Fünf MG, fünf Gruppen.“
„Nee, Kurt – gefällt mir nicht. Wir verlieren, wenn wir irgendwo mit dem Russen zusammenrasseln, an Feuerkraft.“
„… Und marschieren womöglich alle achtunddreißig in Gefangenschaft … wenn nicht Schlimmeres.“
Lechner überlegt.
„Gut“, sagt er schließlich, „dann also getrennt weiter. Ich nehme mir zehn Mann mit und gehe voraus. An jeder Brücke halte ich und peile die Lage; dann schicke ich dir einen Mann zurück, der euch nachholt … und so weiter, bis wir drüben sind.“
Damit ist auch Lehmann einverstanden. Er teilt den Entschluss dem Zug mit. Die Soldaten nicken, ein paar murmeln: „Nicht schlecht.“
Zehn Mann melden sich freiwillig und wollen mit Sepp Lechner die Vorhut bilden, den Rest teilt Lechner in kleine Gruppen ein.
Emmerich Sailer und Willi Röttger gehören zur letzten Gruppe; sie zählt acht Mann und verfügt über ein MG. Emmerich Sailer übernimmt die Führung des Haufens.
Noch ein paar Instruktionen, dann löst sich Feldwebel Lechner mit seinen Leuten vom Zug und schleicht sich im Panzergraben weiter. Die anderen warten.
Es klappt alles. Man kommt gut voran. Schon hat man den Südteil Rawas erreicht, als Lechners Gruppe plötzlich einen Russenpanzer auf der Südbrücke stehen sieht.
Es ist bereits dämmerig geworden. Die Russen auf dem Panzer unterhalten sich laut und lassen eine Flasche kreisen, als plötzlich einer schreit und aufgeregt in den Panzergraben zeigt.
In den nächsten Sekunden ist die scheinbare Ruhe dieses frühen Morgens dahin. Der Panzer schwenkt seine Kanone und feuert ein paar Mal rasch hintereinander in den Graben. Die Granaten krachen. Splitter zischen durch die Luft, schlagen in die schrägen Wände und heulen als Querschläger davon.
Lechner hat noch so viel Geistesgegenwart, zurückzuspringen. Die Leute prallen aufeinander. Ein Knäuel entsteht, das sich nicht schnell genug zur Flucht wenden kann.
Da fetzt eine Granate in den Haufen Soldaten. Todesschreie gellen durch den Graben. Wer noch laufen kann, lässt alles fallen und stolpert zurück. Einige versuchen, an den vereisten, schrägen Betonwänden des Grabens hochzukommen, doch es gelingt ihnen nicht. Sie sind in einer Falle. Sie müssen den Weg zurück, den sie gekommen sind.
Und der Panzer schießt weiter, feuert mit MG in den Graben und alarmiert die anderen Panzer.
Deutsche im Panzergraben!
Von allen Seiten rollen die Sowjetpanzer heran, während sich in der Todesfalle ein Drama entwickelt.
Von den zehn Mann aus Lechners Gruppe sind vier tot, zwei leicht und zwei schwer verwundet. Der Rest stürzt im Graben zurück und stößt auf Lehmanns Gruppe, die den Lärm gehört hat und nun ihrerseits versucht, zurückzulaufen oder rechts weg aus dem verfluchten Graben zu kommen.
„Da vorn ist was passiert“, sagt Emmes zu seinen Leuten. Er ist mit seiner Gruppe noch am weitesten zurück.
„Nichts wie raus hier!“, keucht Willi und wetzt bis zum nächsten Ausstieg, der hundert Meter weiter zurückliegt.
Emmes, mit dem MG auf der Schulter, rennt hinter ihm her, die anderen ebenfalls.
Da kracht es wieder von links oben herab. Ein Panzer feuert in den Graben.
Zum Glück laufen die acht Mann im toten Winkel. Die Splitter der Panzergranate fauchen in den Beton, die MG-Garben prasseln und zischen hinter den Flüchtenden her.
Endlich haben sie den Ausstieg erreicht.
„Wohin jetzt, Emmes?“, keucht Willi.
„In die Stadt rein!“
„In die Stadt …?“ Willi zögert.
„Los – mach schon … renn, sonst ist alles aus!“, keucht Emmes und springt voran.
Willi bleibt Emmes auf den Fersen. Der taucht jetzt zwischen den zu Ruinen zerschossenen Häusern unter, läuft geduckt durch eine mit Schutt und Trümmern halb versperrte Gasse und hält schließlich in einem finsteren Torbogen, aus dem Brandgeruch weht. Willi stolpert heran und lässt sich niedersinken, wischt sich über das Gesicht und horcht.
Am Stadtrand krachen noch immer Panzerkanonen und heulen schwere Motoren. Dazwischen kleckert MG-Feuer. Jetzt rattert ein MG 42. Dann kracht es so laut, dass den beiden im Torbogen Hockenden Putz und Mörtel ins Genick fallen. Ein matter Blitz zuckt durch die Gasse.
„Jetzt haben s’ aan erledigt“, sagt Emmes.
Die beiden sind allein. Weiß Gott, wo die anderen sechs herumlaufen.
Es ist jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Jeder muss sehen, wie er seine Haut retten kann.
Der hastige Atem der beiden verflacht.
„Pass auf, Willi“, sagt Emmes, „wir schaun jetzt, dass wir durchkommen. Zu zweit haben wir da mehr Chancen als mit dem ganzen Haufen.“
„Mensch“, flüstert Willi, „den müssen sie ganz schön durcheinander gebracht haben.“
„Ja, ganz schön“, murmelt Emmes und lehnt das MG an die Mauer, nimmt den Stahlhelm ab und setzt ihn daneben. „Wen wird’s alles erwischt haben?“
Sie schweigen.
Das Geschieße verstummt plötzlich, man hört mahlende Panzergeräusche.
Sowjetpanzer ziehen sich gewöhnlich dann zurück, wenn sie merken, dass der Gegner panzerbrechende Waffen besitzt. Das rumpelnde Geräusch verebbt. Nur noch der ferne Artilleriedonner hält an.
„Was jetzt, Emmes?“, fragt Willi ratlos.
„Na – was schon, Willi? Zu zweit werden wir tigern … wie die Füchs, immer schön die Ohren spitz halten. Irgendwo finden wir schon ein Loch, wo wir durchkommen.“
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