Sepp nickt ein paar Mal, murmelt zwischendurch „jawohl“ und legt dann wieder auf.
„Alarm, Herr Feldwebel?“, fragt einer der Pioniere.
„Ja, meine Herren. Raus aus den Decken, ran an die Spritzen. Der böse Feind naht!“
„Det Jeschäft is richtig“, lässt sich der Berliner vernehmen. „Dann man auf, Sportfreunde! Jetzt müss’n ma unsern Wehrsold abarbeiten.“
Ein paar Lacher werden laut, dann begibt sich jeder auf seinen Posten.
Im Bunker Berta ist ebenfalls alles an den Waffen. Unteroffizier Kurt Lehmann geht noch einmal hinaus und schaut nach, ob die Kameraden von der Pak gefechtsbereit sind.
Emmes und Willi haben den linken MG-Tisch besetzt. Durch die breite Schießscharte kann man das Gelände in einem begrenzten Ausschnitt übersehen.
Alfons Brandl, der MG-Schütze Nr. 2, klirrt mit den MG-Gurten. Emmes probiert die Gleitfähigkeit des Schlosses und legt dann den ersten Munitionsgurt ein.
Am linken MG-Tisch wird ebenfalls an der Waffe herumgemurkst.
Schweigen herrscht.
Draußen wummern die Einschläge. Mal nah, mal weiter weg steigen die Explosionspilze auf und beschmutzen den Schnee mit hässlichen, dunklen Flecken.
„Wenn sie kommen, dann schicken sie erst Panzer vor“, sagt Willi.
Die Worte zerreißen das Schweigen, klingen hohl wie in einer Gruft.
„Wir haben ja Pak da“, antwortet Emmes und schaut probeweise über die Zieleinrichtung des Maschinengewehres, schwenkt es hin und her, setzt es wieder ab und wendet sich an Willi: „Rück’ a Zigarettl raus, Spezi.“
Willi sucht in den Manteltaschen nach der Packung und verteilt zwei Stäbchen. Emmes gibt das Feuer dazu.
Als Willi seine Zigarette anbrennt, sieht er, dass Emmes’ Hand zittert.
„Bammel?“, fragt er grinsend.
„Net direkt“, murmelt Emmes, „nur ums Krawattl ist mir ’n bissl eng.“
Auch Brandl raucht an und stößt den Rauch zischend durch die Zähne.
„Das wird ’n ganz schönen Rabatz geben“, sagt er. „Bin neugierig, wann er losgeht.“
„Wir können’s erwarten“, sagt Emmes.
Drüben, am zweiten MG-Tisch, unterhält man sich halblaut über Warschau.
„’s ist nimmer so kalt wie heut früh“, sagt Emmes. Er redet nur, um etwas zu reden und sich von dem abzulenken, was man alle Augenblicke erwartet.
„Vielleicht kriegen wir wieder Schnee“, sagt Willi und späht durch die Schießscharte.
Das Gelände ist leer. Die Sonne ist verschwunden, der Himmel ist grau. Weit drüben steht der verschneite Wald.
„Ja“, murmelt Willi, „ich riech’s direkt, dass es Schnee gibt.“
„Das wär mies“, sagt Emmes, „dann sehn wir nix, und der Russ’ hat’s leicht mit dem Rankommen.“
„Der kommt auch so ran“, sagt Brandl, an der Zigarette saugend. „Oder denkt ihr, dass wir ihn aufhalten und bis Moskau zurückjagen können?“
„Der Traum ist wohl aus“, erwidert Emmes und geht in die Bunkerecke, kramt im Tornister und holt eine kleine, bauchige Flasche hervor.
„Mensch! Du hast noch was?“, schmunzelt Willi. „Du bist ja wie eine Eichkatz, die hat auch immer was versteckt.“
„Mein letztes Flascherl“, sagt Emmes traurig und schraubt den kleinen Aluminiumbecher ab. „Danziger Goldwasser“ – aus der Steiermark. „Trinken wir’s aus, denn wer weiß, ob wir noch dazu kommen. – Prost, Muatterl!“, murmelt er und trinkt einen kleinen Schluck.
Willi und Brandl bekommen auch einen Schluck ab.
„Mensch – nu guckt mal!“, ruft einer vom 2. MG herüber, „die saufen Schnaps! – Los, her mit dem Zeug … her damit!“
Das kleine Fläschchen Danziger Goldwasser von Mutter Sailer macht die Runde und ist schnell leer. Mit dem süßen Geschmack des Getränkes auf der Zunge lässt es sich besser reden.
„’n paar Witze!“, ruft jemand. „Los, wer weiß ’n Witz?“
Als Unteroffizier Lehmann hereinkommt, werden Witze erzählt.
„Warum kann ’n Schwein nicht Rad fahr’n, Kameraden?“
„Wie doof! – Weil’s ’n Schwein ist, Knallkopp!“
„Nee – weil’s keinen Daumen hat zum Klingeln!“
„Hahahaaaa …“
Aus dem Bunker Berta ertönt Gelächter.
Dann wird gesungen. „Es ist so schön Soldat zu sein, Roosemarie …“
Der Wald drüben entlässt noch immer nicht den Feind. Die schmale Straße bleibt leer.
„Ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein …“, singen sie jetzt.
Der Uhrzeiger macht seine Runden, ohne dass etwas geschieht. Nur das feindliche Artilleriefeuer orgelt weiter.
Huuiiiii … wumm … rrrreng …
„Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzt ich auf sein …“
„Aus! So’n Trauermarsch wird jetzt nicht gesungen! Was anderes!“
„Dann ,Heimat deine Sterne‘!“
„Ooooch traurig.“
„Ich weiß eins! – ,Kennen Sie Lamberts Nachtlokal, dort ist’s wirklich kolossal …‘“
Emmes hat seine Mundharmonika hervorgeholt und spielt darauf. Er spielt gut. Sein Zungenschlag ist virtuos.
Im Bunker Berta singt man auch noch, als es dunkel wird und leiser Schneefall einsetzt. Die Essenholer gehen davon und kommen lachend wieder.
„Menschenskinder – Sondermeldung!“, rufen sie schon von weitem.
„Was denn? Ist der Krieg aus?“
„Nee! Schnaps-Sonderzuteilung! Pro Gruppe ’ne Flasche Dreistern!“
Gejohle bricht an. Der Krieg und der anrückende Russe sind vergessen. Der Bataillonskommandeur hat Schnaps verteilen lassen. Schnaps stärkt das Durchhaltevermögen.
„Opa soll leben!“, grölen die Soldaten und schwenken die Trinkbecher. „Hoch soll er leben, hoch soll er leben …“
In den Bunkern wird es immer lustiger. Derweil schneit es draußen so dicht, dass man kaum die Hand vor den Augen sehen kann. Und langsam läuft die Schicksalsuhr ab.
Die Zug- und Gruppenführer haben Posten aufgestellt, die horchen sollen. Aber es passiert nichts.
„Krieg fällt aus wegen Schneegestöber“, lachen die Soldaten. „Krieg findet im Saale statt! Prost!“
Der Feind greift ganz anders an als erwartet. Er nimmt sich gar nicht die Mühe, die Bunker auf den Hügeln vor Rawa frontal anzugehen – er schlägt einen Bogen und packt Rawa im Zangengriff. Beim Bataillonsstab taucht plötzlich ein fremder Offizier auf und überbringt einen Divisions-Befehl: „Feind ist bereits durchgebrochen. Kompanien zurückziehen!“
Noch ehe man an den fremden Offizier Fragen richten kann, ist er weg. War es ein als Offizier getarnter Russe? Ein Agent? Eine Rückfrage beim Regiment bleibt unbeantwortet. Die Verbindung ist plötzlich unterbrochen.
„Ja, Panzergeräusche südlich und nördlich von Rawa!“, heißt es jetzt.
„Panzer!“, gellt es von Mund zu Mund. „Panzer!“
Der Bataillonskommandeur räumt seinen Gefechtsstand. „Kompanien zurückziehen!“, befiehlt er noch.
In Rawa rattern Maschinengewehre, krachen Handgranaten, klirren Panzerketten. Und es schneit noch immer, es schneit, als bräche der Himmel ein. Der Kampflärm erstickt in dem niedersinkenden weißen Vorhang.
Der Pionierzug hat sich müde gesungen. Weil kein Feind zu hören und zu sehen, legt man sich schlafen. Der Krieg findet eben erst morgen statt.
Lechner kann nicht schlafen. Er muss an viele Dinge denken – an die elf Jahre Dienstzeit, an die siegreichen Feldzüge und an den spinnenden Zinnenberg. Tatbericht! So ’n Quatsch! Warum bloß alles so still ist? Nicht einmal das Telefon rasselt. Ob man mal bei der Kompanie anfragen soll?
Lechner nimmt den Hörer vom Apparat und kurbelt. Lange meldet sich niemand. Dann eine lallende Stimme:
„Huber … Metzgerei Huber.“
Lechner stutzt. „Wer ist dort?“
Der Teilnehmer schnauft hörbar, und dann lallt er kaum verständlich und wie aus dem Schlaf geweckt: „Emil Huber … Metzgermeister … München … Fachingerstraß’n.“ Dann bleibt es still. Der besoffene Sprecher hat wohl aufgelegt.
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