„Dös hast du gut gemacht, Prinzessin, bischt a tapferes Maidli.“ Urs wandte sich zur Kellertüre im Schwimmbad. Diese führte ins Innere des Hauses. Mit der Dienstwaffe im Anschlag stieg er vorsichtig die Treppe empor, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Ruhig und gelassen öffnete er die Türe, die zur Diele führte. Da hörte er den Krach, der aus seinem Dienstzimmer kam. Geduckt schlich er zur halb offenen Tür des Raumes und sah die schwarze Kapuzengestalt, die ihm den Rücken zukehrte, in gebückter Haltung an seinem Büroschrank stehen. Urs pirschte sich leise heran und drückte dem Fremden den Revolver in den Rücken. Der wollte sich noch herumwerfen, aber der Leutnant war schneller und mit seiner 1,90 Meter großen und 80 Kilogramm schweren Gestalt außerdem im Nahkampf ausgebildet. Da er die Uniform anhatte, waren in seiner Jacke auch Handschellen. Diese legte er dem Gangster an. „So Bürschel, du kommst mir nicht raus.“ Er riss ihn zu sich herum und schaute in sein vermummtes Gesicht, in dem nur die Augen zu sehen waren. Urs drückte ihn auf den Lehnstuhl nieder und fesselte ihn zusätzlich mit Stricken an den Sessel. Er vergaß auch nicht die Füße des Eindringlings. Eilig nahm er sein Funktelefon aus der Jackentasche und rief nach Klaus Andermatten. Der Kollege war im Garten und trat daraufhin ins Haus ein. Urs hatte ihn mit einem Geheimcode angefunkt, der hieß Alarmstufe drei. Andermatten stürmte ins Allerheiligste seines Chefs und sah den Verbrecher festgebunden auf dem Bürosessel sitzend, während der Leutnant ihn in Schach hielt.
„Herr Leutnant, haben Sie ihn gefragt, was er gesucht hat?“ Den Satz sprach er natürlich in Schwyzerdütsch, damit der Gefangene ihn nicht verstand.
Urs erwiderte die Frage seines Adjutanten mit Nein, da der Einbrecher keinen Laut von sich gab. „Hello! Mr Nobody! What are you doing here? Who are you, Mister?“, fragte Klaus. Statt einer Antwort spuckte der Mann aus. Da nahm der Leutnant sein Funkgerät und sprach: „Delta zero, zero seventyseven one two zero XXDelta four zero, zero two une deux trois. Roger. Coming, please.”
„Here roger! Lütt uff Poschiavo han lueget uff di Berg. Urs, se san uffs Hüttli ganget, roger, over“, ertönte auf Schwyzerdütsch der Geheimcode II von seinen Soldaten. Ein paar Minuten später hörte man den Heli kommen. Uerli, der Pilot, klopfte an die Türe der Berghütte. Der Helikopter stand auf dem Plateau hinter dem Jagdhaus. Leutnant Sutter erschien mit seinem Adjutanten im Türrahmen, zwischen sich schleiften sie den Verbrecher an den Fesseln zum Hubschrauber. Auf dem Weg zum Heli ging Uerli hinter den dreien her. Doch plötzlich wollte der Gangster, der mittlerweile wieder auf die Füße gekommen war, zur Seite springen, als er den Abhang sah. Doch der Pilot, der in Karate ausgebildet war, konnte dies verhindern. Ein Schlag – blitzschnell geführt – da stürzte der Kapuzenmann zu Boden. Die drei Männer packten den Einbrecher und verfrachteten ihn in den Hubschrauber. Im Heli wurde er an Händen und Füßen zusätzlich gefesselt, damit er im Innern der Maschine nichts anstellen konnte. Andermatten setzte sich neben ihn und schnallte sich und den Gefangenen an. Uerli drückte den Startknopf des Heli und die Rotorblätter setzten sich in Bewegung. Der Pilot stieg direkt höher und drehte eine Kurve, nahm Kurs auf St. Moritz, um weiter zur Air Base nach Chur Calanda zu fliegen. Nun meldete sich Uerli über den Bordfunk: „This is Delta 00 77, we are approaching for landing on runway, roger.“
„This is the control tower of Chur Calanda: What’s your mission? Roger.“
„This is 00 77, we are flying to our Air Base transporting a prisoner. This man is a criminal.“
„This is the tower of Chur Calanda; you can land on the helicopter landing field, roger, over.“
„Thank you tower, we will land within ten minutes, roger, over.“
In der Zeit des Anfluges waren die Spezialisten des Schweizer Bundesheeres mit Maschinenpistolen im Anschlag am Heli-Landeplatz eingetroffen. Uerli setzte den Helikopter akkurat in dem vorgeschriebenen Rondell auf. Oberst Zurbriggen öffnete die Türe und nahm den Verbrecher mit seinen Soldaten in Empfang. Dann wurde er in ein bereitstehendes Panzerfahrzeug gesetzt und ab ging die Fahrt nach Bern. Klaus Andermatten und Uerli hatten ihren Dienst zu Ende geführt und starteten erneut.
Uerli funkte abermals und bekam die Erlaubnis, wieder zur Bergstation zurückzufliegen. Unterwegs meldete er sich noch einmal bei der Air Base in Pontresina und bekam grünes Licht für die Landung im Oberengadin.
*
Ferientage auf der Berghütte
Nach diesem schrecklichen Ereignis atmeten die Baronin, die Gräfin und die beiden jungen Leute endlich auf. Wie der Einbrecher ins Haus gekommen war, das wusste niemand. Sie wollten es auch gar nicht erfahren. Der Schrecken ob dieses Geschehens war nun verflogen und sie wollten nur noch ihre Ruhe haben. Marie-Theres umarmte schweigend ihre Freundin Fee, Ulli und Diether. Letztere konnten sie verstehen: Es hätte schlimmer ausgehen können.
„Also, Mariele, wir haben Hunger! Was hast du zum Essen da?“, fragte Ursula ihre Patentante.
„Ulli, wir haben noch eine Schüssel mit Kartoffelsalat im Kühlschrank. Den habe ich für Urs, dich und Diether aus Bern mitgebracht. Frau Sutter hatte dazu Canapés hergerichtet, die waren, da Urs noch nicht kam, für euch beide bestimmt. Ich hoffe nur, dass die kleinen Häppchen noch schmecken? Diese Leckereien waren die ganze Zeit über im Kühlfach“, berichtete ihre Patentante.
„Dann werden wir sie für einige Minuten in die Backröhre stellen, sonst sind sie zu kalt zum Servieren“, meinte Ulli dazu.
„Du hast recht, chèrie, kalt schmecken die wirklich nicht“, antwortete Fee. Diether machte sich nützlich und deckte in der Zwischenzeit den Tisch im Esszimmer.
„Oh mon dieu, ein Kavalier“, freute sich die Gräfin. Nach fünf Minuten klingelte die Küchenuhr am kleinen Backofen und Uschi entnahm die Schnittchen, sortierte sie auf eine Platte, trug sie ins Wohnzimmer und stellte alles auf den Tisch. Man setzte sich an die Tafel.
„Mariele, kommt Urs nicht zum Essen?“, fragte Ursula besorgt.
„Der wird noch auf der Bergstation sein. Urs Kompanie vermutet ja, dass zwei Kapuzenmännern die Flucht gelungen ist. Der eine ist hier eingebrochen und der andere ist, wie wir wissen, in die Berge geflüchtet“, antwortete Diether statt der Baronin. Diese warf ihm einen dankbaren Blick zu.
„Aber ich denke, wenn die Angelegenheit mit dieser Bande geklärt ist, wird er wohl zur Jagdhütte zurückkehren“, erwiderte die Baronin.
„Dies ist auch meine Meinung, Mariele“, sagte Uschi bedächtig.
„Da kannst recht haben, Dirndl“, ertönte da Urs Stimme. „Die Geschichte ist zunächst vorbei und alles ist aufgeklärt, wir können jetzt in Frieden unsere Ferien auf der Hütten verbringen.“ Marie-Theres und die Gräfin waren erleichtert, Diether und Ulli ebenso.
Diether meinte schmunzelnd: „Ich habe gedacht, ich müsste Uschi auf die Rigi entführen.“
„Dös hätt was geben, Madl, a Geschrei von deinem Mütterlein. Ja, verflixt, dös wär a Gaudi gewesen, glaubt mir’s“, dröhnte da Urs mit seinem Bass dazwischen.
In diesem Moment klingelte das Telefon bei Urs im Arbeitszimmer. Eilig ging er hinüber, weil er dachte, es sei der Oberst Zurbriggen. Darum meldete er sich auch mit seinem Dienstgrad: „Hier Leutnant Sutter.“
„Urs, ich bin’s Pia, ist zufällig die Ulli in Ihrer Nähe?“
„Hallo, Frau Baronin von Giebel, dös ist ja eine Überraschung, mei, was wird die Ulli a Freid haben? A Momenterl bitt’ schön. Prinzessin, kimm amoal her, deine Anwesenheit ist gefragt“, rief Urs.
„Ich soll ans Telefon?“, sprach Uschi ganz erstaunt zu Diether. Sie ging zögernd zu Urs ins Büro und nahm den Hörer in die Hand: „Ja, hier ist Ursula von Giebel, bitt’ schön, wer ist da?“
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