In der Vorbereitungsphase hatte ich mehrfach lautstark verkündet, nicht mehr als 17 Kilogramm tragen zu wollen. Alles darüber hinaus bedeute Strapazen und Mühsal.
Am 29. April startete ich jedoch mit 20 Kilo am Buckel, die Spiegelreflex-Kamera über der linken Schulter nicht mitgezählt. 20 plus 90 plus Kamera sind klar über 100 Kilo Lebendgewicht, das ich fortan zu bewegen hatte. Die frisch rasierte Haarpracht, die jetzt im Biokübel in meiner Wohnung lag, fiel da nicht weiter ins Gewicht.
Ich startete zu Mittag vom Frohnleitner Hauptplatz. Mit von der Partie waren Eva und Bongili, eine zweijährige Rhodesian-Ridgeback-Hündin. Dazu eine riesengroße Portion Gottvertrauen, dass alles gut gehen würde. Eva wollte mich bis zur Gmoaalm begleiten und dann wieder umkehren, Bongili sollte, so der Plan, bis ans Meer meine Gefährtin bleiben.
Schon nach 500 Metern die erste Panne: Ich musste zurück auf Start, da ich in der Aufbruchsnervosität meine Fleecejacke vergessen hatte. Ich ließ Eva mit Bongili an einer Bank auf mich warten, trotz Evas latenter Hundephobie. Als ich zurückkam, saßen beide immer noch friedlich nebeneinander, vermieden es aber, sich anzusehen. Immerhin, die erste Hundeprüfung war geschafft.
Mit Fleecejacke hatte ich nun 20,3 Kilo zu tragen.
War es aufgrund dieser Tatsache oder hatte es einen anderen Grund, jedenfalls brauchten wir für diese erste Wegstrecke rund ein Drittel länger als geplant, wobei wir das erste Gipfelkreuz, den Haneggkogel, diesen Frohnleitner Hausberg mit seinem überaus sportlichen Schlussanstieg, sogar noch ausgelassen hatten.
Eva trug eine komplette Spaghettiausrüstung plus eine Flasche italienischen Rotwein für unseren letzten gemeinsamen Abend mit sich, Bongili Satteltaschen mit ihrem Spezialfutter. Ihr machte das Zusatzgewicht offensichtlich nicht zu schaffen, denn sie jagte – einmal kurz nicht an der Leine – kreuz und quer durch den Wald, wobei sie sich, ihrer tatsächlichen Breite nicht bewusst, zwischen zwei Bäumen eine ihrer Satteltaschen zerriss. Panne Nummer 2 war damit auch absolviert. Wir kamen voran …
Angekommen auf der Gmoaalm, schien noch einmal kurz die Sonne und ich machte mich daran, die Spaghetti zu kochen und Bongilis Satteltaschen zu reparieren.
Anschließend genossen wir zu dritt das letzte Abendmahl und zu zweit einen hervorragenden Südtiroler Lagrein.
Die Stimmung am nächsten Morgen war gedrückt und alles Hinauszögern konnte nicht verhindern, dass Bongili und ich nun unseren Weg allein fortsetzen mussten, weiter Richtung Westen.
Kurz vor der Fensteralm stießen wir auf den 05er-Weg, den österreichischen Nord-Süd-Weitwanderweg, der von Nebelstein im Waldviertel bis nach Eibiswald an der steirisch-slowenischen Grenze führt. Diesem wollte ich von nun an für eine Weile folgen. Ein schöner und einsamer Weg, der überwiegend auf den Kämmen und somit meist auf einer Höhe von über 1000 Metern bleibt.
Mein Navigationssystem war mir hier das erste Mal eine große Hilfe, ohne das Gerät hätte ich mich auf der Gleinalpe sicher verirrt. Bongili hingegen war mir absolut keine Hilfe, sie hatte ständig eine Spur in der Nase und zog an der Leine. Bergauf war dies zwar nicht unangenehm, aber bergab stolperte ich des Öfteren im knietiefen Schnee und lag auf der Nase, nur um sie nicht loszulassen.
Ich kannte Bongili schon seit ihrem dritten Lebensmonat, aber dieser ausgeprägte Jagdtrieb war eine Facette in ihrem Wesen, die ich unterschätzt hatte. Ohne Leine war sie zu 100 Prozent auf der Pirsch und ich hatte Angst, dass ein eifriger Jäger ihren Jagdtrieb mit einem einzigen Schuss kurieren würde oder dass sie ohne Satteltaschen zurückkommen könnte. Mit Sicherheit konnte Bongili nicht vom Ertrag ihrer Zähne leben, denn erwischt hat sie bei allen ihren Jagausflügen rein gar nichts.
Vorbereitung der ersten Zeltnacht auf der Gmoaalm. Bongili würde lieber weiterjagen …
Durch diesen Hund-Umstand konnte ich keine Stöcke verwenden, wodurch sich das Bergabgehen mit Zusatzgewicht sehr bald in meinen Kniegelenken bemerkbar machte. Einmal hatte ich versucht, die Leine am Hüftgurt meines Rucksackes zu befestigen, um die Hände beim Gehen frei zu haben, mit dem Ergebnis, dass ich mit dieser Methode noch schneller am Bauch landete als zuvor.
Bongili, der Zughund, nimmt mich am ersten Speikkogel an die Leine .
Die ersten drei Tage herrschte schönes Wetter, das war gut für das Gemüt, denn die ersten Tage sind immer die schwierigsten, egal ob es um das Wandern oder ums Fasten, Lernen oder Sonstiges geht. Umstellungen der Lebensgewohnheiten sind immer mühsam, trotzdem freue ich mich immer wieder auf einen Aufbruch ins Neue, weil ich weiß, dass nach zwei bis drei Tagen frischer Wind aufkommt und die Lebensfreude Fahrt aufnimmt.
Rückblickend haben diese ersten schönen Tage doppelt so hohen Stellenwert, aber damals konnte ich ja noch nicht ahnen, was für ein nasser, kalter und unwirtlicher Mai mich erwarten sollte.
Da nicht damit zu rechnen war, dass sich Bongilis Jagdeifer legte, selbst wenn ich ihr meinen Rucksack aufsatteln würde, entschied ich schweren Herzens, sie zurückzuschicken und meine Reise allein fortzusetzen. Ich organisierte, dass Maria (Bongilis Frauchen und meine Ex-Freundin) zum Gleinalmschutzhaus kam, um sie dort abzuholen. Es wurde ein schwerer Abschied. Traurig und nun richtig allein schritt ich mit Stöcken im tiefen Schnee weiter, bergan dem Rossbachkogel entgegen. Der mühsame, kraftraubende Schnee und meine neue Einsamkeit ließen mich an meinem Projekt zweifeln.
Einsam auf der Gleinalpe
Das erste Mal kamen mir Wanderer entgegen, das kurze Gespräch mit ihnen verhalf mir wieder auf den Weg zurück: „Wohin mit dem großen Rucksack?“
„Nach Nizza.“
Manchmal muss man seine Ziele nur aussprechen und der nächste Schritt ist getan.
Mit Bongili verließ mich aber auch das gute Wetter. In meiner ersten Zeltnacht ohne sie wurde ich unerwartet mitten in der Nacht von einem Regentropfen geweckt, der mir mitten ins Gesicht fiel. Und dann noch einer und noch einer … Nach ausführlicher Recherche im Licht meiner Stirnlampe stellte sich heraus, dass mein Zelt leckte, und das nicht nur an einer Stelle, sondern überall dort, wo sich Nähte befanden – und derer gab es viele!
Ich lauschte dem Regen, er fiel laut und dicht. Dieses Prasseln auf die Zeltplane ließ mich nicht schlafen und ich fürchtete schon den nächsten Tag, der wieder nass und feucht und kalt sein würde. Die Tropffrequenz auf mein Gesicht erhöhte sich und ich stellte mir zum zweiten Mal die Sinnfrage: Was tu ich überhaupt hier?
Nachdem das Prasseln gegen Morgen nachließ und an Schlaf sowieso nicht mehr zu denken war, packte ich noch im Morgengrauen zusammen und machte mich auf feuchten Socken Richtung Gaberl. Mit ein bisserl Glück würde es dort ein offenes Gasthaus und eine warme Suppe geben. Der Weg dorthin war sehr abwechslungsreich, einmal durch den Wald und dann wieder bergan durch offenes Gelände, dazwischen versteckten sich mächtige Restschneefelder, garniert mit den Nadeln der Bäume. Immer wieder lockerten altehrwürdige Grenzbäume das Gelände auf. Leider machte sich der übergewichtige Freund auf meinem Rücken abermals unangenehm bemerkbar, ich versank oft mit einem Fuß hüfttief, auch wenn die Schneedecke zuvor zehn Schritte lang meine Last getragen hatte. Nun waren die Stöcke eine große Hilfe, ich zog mich an ihnen aus dem Trittloch, um wie auf rohen Eiern weiterzutappen.
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