Hilft, hilft absolut zuverlässig – wenn du dran glaubst, sagte Aretino, sonst hilft es nicht. Das ist sowieso das Wichtigste in deinem Beruf, glauben, an dich, an dein Können und deine Wirkung. Dann wird daraus etwas Wirkliches, du kannst andere glauben machen, was du willst. Wollen musst du das, was sie brauchen. Dafür zahlen sie. Du kannst Schwächlinge mit eingesunkener Brust in Muskelhelden verwandeln und Dummköpfe in Weise. Einer, dem sein Vater jeden Tag vorhält, was er selbst in dem Alter schon alles erreicht hatte, oder seine Frau, er werde niemals irgendwo der Erste sein, der will sich bei dir als Herkules fühlen. Der Glaube ist das Einzige, was einen schlappen …
Bitte?, sagte die Fedele. Steil aufgerichtet saß sie hinter ihrem Schreibtisch. Meinst du, ich merke nicht, dass du mir die Worte deines großen Lehrmeisters unterschlägst?
… was einen schlappen Schwanz aufrichtet. Tut mir leid.
Ihm sollte es leidtun. Was richtet ihn denn auf, deinen Aretino?
Ich weiß nicht, welche ihm am nächsten ist.
Habe ich wer gefragt?
Was. Das, worauf er stolz ist.
Worauf ist er stolz?
Auf seinen Aufstieg.
Den erkennt man woran?
Aretino hat Macht.
Woher?
Er hatte mir erklärt, dass alles, was an Hintergrundwissen und Geld aus weißderteufelwasfür Kanälen bei ihm einlief, nur dem Briefeschreiben zu verdanken sei, jeden Tag an Gottunddiewelt und über alles. Wer wen besticht und wen wie nahm, er sagte selbstverständlich etwas anderes und freute sich, wenn ich noch immer zusammenzuckte; wer was malt und wie geil oder göttlich, wer sich worüber das Maul zerreißt, wer der große Abzocker sein wird und wen es demnächst über die Kante haut. Der Vorrat an Wörtern und Wendungen müsse ein Keller sein, in dem es alles gibt, Lorbeersirup bis zum Erbrechen und jede Sorte Säure, von delikat bis ätzend.
Ich war gerannt beim Erzählen, aber auf keinem Wort mehr ausgerutscht, das nicht hierhergehörte.
Es ist wie beim Kochen, sagte Aretino, es braucht immer das Spitze und das Stumpfe; wenn eines fehlt, wird es fad. Man muss es können, das Briefeschreiben, was du schreibst, soll den Leuten schmecken wie dir meine Hühnersuppe. Stark und heiß und gut gewürzt soll es sein und hungrig machen auf mehr.
Die Fedele stand auf.
Zu spät, ich wusste es doch, sie schrieb seit Jahrzehnten an Hochadlige, Regierende, Gelehrte, vermutlich Kondolenzbriefe oder Gratulationen, von Macht und Geld keine Spur, zu spät. Sie würde mich hinauswerfen, bevor ich losgeworden war, was ich von ihr wollte. Sie kam nicht auf mich zu, sie blieb einfach stehen und ließ die Arme hängen, als wären sie zu schwer.
Wie viele Leute sind an einem Brief beteiligt?
Zwei. Absender, Empfänger.
Wie kommt es, dass Hunderte im ganzen Land und drüber hinaus Aretinos Briefe kennen?
Er lässt sie abschreiben.
Reicht das?
Vermutlich lässt er die Abschriften verteilen.
An wen?
Er sagt, er sei der Fischer mit dem größten Netz des Abendlands, und dieses Netz sei das dichteste. An jedem Knotenpunkt sitze einer, der sein Freund sein wolle.
Wäre dir das recht, wenn er über dein Liebesleben schreibt, über Spezialitäten, die mit der Todesstrafe geahndet werden? Wie Aretino in einem Brief an Michelangelo, dem er vorwarf, dass er es mit Männern treibt, Männern, die er beim Namen nannte, beim Vornamen, aber jeder wusste, wer es war.
Nein, niemals.
Aber du vertraust diesem Mann?
Die Bücherrücken in den Regalen hinter der alten Fedele und neben ihr sahen mich an wie sie, abwartend.
Ach ja, ich habe bei der Einrichtung und Ausstattung etwas vergessen, Bücher sollten auch vorhanden sein.
Damit der Besucher sie sieht oder damit du sie liest?, fragte die Fedele. Dein verehrter Aretino hat dir viele Verwandlungsmärchen erzählt, die meisten hat Ovid gedichtet, sie sind aber alle viel älter, war auch das von einer jungen Frau namens Caenis dabei?
Caenis war nicht vorgekommen, in bald drei Jahren nicht.
Die Fedele schien das nicht zu erstaunen.
Caenis war jung; ob sie schön war, wissen wir nicht, jung reichte. Allein ging sie am Strand spazieren. Neptun, als Meeresgott in Strandnähe, sah sie und vergewaltigte sie. Als er sie blutend liegen sah, bot er zur Wiedergutmachung an, ihr einen Wunsch zu erfüllen. Caenis wünschte sich nur eins: Mach einen Mann aus mir, damit mir so etwas nie mehr widerfährt. Von da an hieß sie Caeneus.
Personal, sagte ich, das Personal hatte ich vergessen. Die Bestverdienenden leisten sich vier, fünf Leute, aber mindestens drei, eine Frau für Empfang und Bedienung und eine fürs Putzen, und einen athletischen Mann, der sich auch als Rausschmeißer und Leibwache einsetzen lässt.
Wenn du dir den nicht leisten kannst?
Das Vibrieren kam aus dem Bauch von weit unten, wie gestern Abend, als ich ihn davongehen sah. Mit seinem eigenartigen Gang pirschte er durch meine Eingeweide, jeden Schritt spürte ich, wie er abrollte von der Ferse bis zum Ballen.
Was hast du?, fragte die Fedele und stand auf und legte ihre Hand auf meinen Kopf.
Ein ungutes Gefühl, sagte ich.
Die Hand der Fedele kroch über meinen Scheitel wie ein Mauergecko.
Wegen Aretino?
Er wird immer mein Beschützer sein.
Wie der liebe Gott?
Nein, er vergleicht sich nur mit Jesus. Die da oben, sagte er, können jeden im Namen Gottes oder des Gesetzes niedermachen. Aber ich kann wie Jesus dafür sorgen, dass Totgesagte wieder auf die Beine kommen.
Also weshalb dann?
Wegen einem dieser Halbgötter. Ich nannte Lorenzos Namen und sagte, dass er Schriftsteller werden wollte.
Warum redest du nicht mit Aretino darüber?
Als die Fedele alles wusste, nahm sie die Hand von meinem Kopf.
Was weiß dein Vater?
Der war im Glauben, ich würde Aretino beim Briefeabschreiben helfen.
Nichts, sagte ich.
Deine Mutter?
Noch weniger. Menschen, die nicht lügen, lassen sich so leicht anlügen.
Erst beim Hinausgehen stellte sie mir ihre letzte Frage.
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