»Das tue ich.« Ich nickte. »Aber danke für die Warnung wegen Trudy und Bacon.«
Travis lachte leise. »Es ist alles gut, Charlie. Es geht ihnen gut. Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest, okay? Du hast gerade schon genug um die Ohren.«
Ich lehnte mich vor, nur ein kleines bisschen und drückte ihm meine Lippen auf, als es gerade auf dem Dach klopfte. »Charlie«, rief Ernie. »Du hast Besuch. Da kommt ein Auto.«
»Erwartest du jemanden?«, fragte Travis.
Ich schüttelte den Kopf. Die Farm war zu abgeschieden, als dass irgendjemand aus heiterem Himmel auftauchte. Wenn jemand hier rauskam, dann normalerweise, weil er darum gebeten worden war.
Als ich nach draußen in den Flur ging, wäre ich beinahe mit George zusammengestoßen. Er musste Ernie gehört haben. »Erwartest du jemanden?«, fragte ich ihn.
»Nein. Du?«
»Nein.« Ich nickte in Richtung Schlafzimmer. »Wie geht's Ma?«
»Schläft tief und fest«, sagte er. Dann schenkte er mir ein kleines Lächeln. »Sie wird wieder. Du weißt, wie sie ist.«
Das Geräusch eines sich nähernden Fahrzeugs wurde lauter, also gingen wir nach draußen, um zu sehen, wer es war. Sie fuhren langsam. Also wirklich langsam. Eine unsichere Art von langsam. »Vielleicht verfahren«, schlug ich vor.
»Könnte sein«, sagte George.
Das Auto, ein älterer Subaru, kroch auf das Haus zu und blieb schließlich etwa zwanzig Meter entfernt stehen. Falls sie erwartet hatten, ein leeres Haus vorzufinden, lagen sie falsch. Drei Männer auf dem Dach, eine Frau, die an der Hausseite eine Leiter hielt und drei Männer auf der Veranda hielten inne und starrten.
Niemand stieg aus dem Auto aus.
Travis ging, weil er nun mal Travis war, mit einem einladenden Grinsen die Treppe hinunter und auf das Auto zu. Er stützte sich mit den Händen auf dem Autodach ab und das Fahrerfenster wurde ein paar Zentimeter hinuntergelassen, sodass er hineinsehen konnte.
Reflexartig trat Travis einen Schritt zurück, die Augen ungläubig geweitet und mein Instinkt sagte mir, dass ich zu ihm musste. Ich wusste nicht, was los war, wer in dem Auto saß, oder was die Person getan hatte, um ihn zu erschrecken, aber ich sprang von der Veranda. »Travis?«
Die Autotür öffnete sich langsam und eine Frau stieg aus.
Ich hörte George hinter mir murmeln. »Oh mein Gott.«
Ich drehte mich um und fragte mich, ob irgendetwas mit Ma nicht stimmte, aber er starrte die Frau an. Travis stellte sich mit schnellen Schritten vor mich.
»Was ist los?«, fragte ich. Seine Augen waren voller Sorge. »Woher kennst du sie, Trav?«
»Charlie?«, flüsterte die Fremde, als könnte sie beinahe nicht glauben, was sie sah. Sie legte sich eine Hand aufs Herz. »Es war ein Fehler, hierherzukommen, entschuldige«, sagte sie und öffnete die Autotür, als würde sie gehen wollen.
»Warte!«, rief ich ihr zu und sah um Travis herum, der noch immer vor mir stand, als würde er sich zwischen mich und diese Fremde stellen. Die Frau schien stehen zu bleiben, also sah ich Travis an. »Was hast du gesehen?«
»Dich«, flüsterte er und schluckte schwer. »Ich hab nur ihre Augen gesehen. Sie hat deine Augen. Charlie, ich schwöre, du warst es, der mich angesehen hat.«
Nein. Danke für das Angebot, aber ich habe schon eine.
Peinlich war wahrscheinlich ein gutes Wort, um es zu beschreiben. Andere mochten es unangenehm, schleppend, schmerzhaft oder qualvoll nennen. Um ehrlich zu sein genoss ich es, sie zu beobachten, diese Fremde, die so fehl am Platz und unterlegen aussah, wie es nur möglich war.
Ich hörte sie das Wort Mutter flüstern, als würde es etwas bedeuten. Obwohl sie es gesagt hatte, gab es nicht wirklich einen Grund dafür.
Ich stand vor meinem Haus, sprachlos und verblüfft, während mir Travis' Worte sagten, was ich wahrscheinlich schon wusste. Zumindest hatte George den Anstand, zu ihr zu gehen und sie ins Haus zu bitten.
Es gab keinen Zweifel. Diese Dame, diese irgendwie vertraute Fremde, die George Laura nannte, war die Frau, die mich geboren hatte.
Sie war nicht das, woran ich mich erinnerte.
Nicht, dass ich mich überhaupt viel an sie erinnerte, wenn ich ehrlich sein sollte. Ich sah nur noch braune Haare vor meinem inneren Auge und jetzt hatten Alter und Zeit sogar das verändert. Ihre Haare waren glatt, reichten ihr bis zu den Schultern und ergrauten an den Schläfen. Sie hatte Fältchen um die Augen und Mundwinkel. Sie war gut gekleidet, sah etwas zu schick aus und trug einen Ehering.
Travis hatte die Ähnlichkeit zwischen mir und dieser Laura geschockt, aber ich konnte sie nicht sehen.
Ich saß in der Nähe der Tür auf dem Sofa und Travis lehnte neben mir an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. George hatte den Sessel neben dem Kamin eingenommen und diese uneingeladen aufgetauchte Frau, Laura, saß allein auf dem Dreier-Sofa. Sie sah nervös aus, rang die Hände und schien nicht zu wissen, wo sie hinsehen oder was sie sagen sollte.
George ergriff als Erster das Wort. »Katie hätte dich gern gesehen«, sagte er. »Aber es geht ihr heute nicht gut. Sie schläft gerade.« Es dauerte eine Weile, bis ich mich an Mas richtigen Vornamen erinnerte. Ich hatte ihn seit Jahren nicht gehört. Katie…
Laura runzelte sofort die Stirn. »Oh, ist alles in Ordnung?«
»Ma geht's gut«, antwortete ich schnell. Es gefiel mir nicht, dass sie glaubte, so tun zu können, als würde sie sich Sorgen um meine Ma machen. Und das war sie. Sie war meine Ma. Die Frau, die mich großgezogen hatte. Die einzige Mutter, die ich je gekannt hatte.
Laura lächelte mich angespannt an, ehe sie wieder zu Boden sah und erneut die Hände rang.
»Sie ruht sich einfach ein paar Tage aus, das ist alles«, fügte George hinzu und versuchte wahrscheinlich, die Anspannung im Raum zu lockern.
Laura atmete tief ein und sah sich um. »Dieser Ort ist genauso, wie ich ihn in Erinnerung habe«, sagte sie lächelnd und eher zu sich selbst als zu einem von uns.
Das konnte kaum der Wahrheit entsprechen, denn es hatte sich wirklich sehr viel verändert.
Als ich noch immer nichts sagte, atmete sie erneut nervös ein und in dem Moment bemerkte sie die Kartons auf dem Boden vor sich, wo ich sie hatte stehen lassen. Im ersten Moment bereute ich es, sie nicht weggeräumt zu haben, dass sie vielleicht sehen könnte, was darin war, aber als ich sah, wie sie reagierte, war ich froh, dass sie da waren. Der dämliche Teddy lag oben in dem größeren Karton und ich bemerkte, wie sie ihn wiedererkannte: Sie sah ihn an, dann noch einmal, blinzelte, als wären ihre Erinnerungen nicht wirklich real.
»Oh«, flüsterte sie. Ihr Blick richtete sich verwirrt auf mich.
»Hab die Kartons heute Morgen gefunden«, sagte ich beiläufig. »Ein kleiner Zufall, findest du nicht? Dad muss sie im Dachstuhl versteckt haben.« Sie sah mich lange und suchend an und ich legte lächelnd den Kopf schräg. »Ich erinnere mich überhaupt nicht an den Teddy.«
Dann sah ich zu, wie es Klick machte. Sie verstand es. Es war nicht das dämliche Spielzeug, an das ich mich nicht erinnern konnte.
Es war sie.
Erneut sah sie zu Boden und schien etwas sagen zu wollen, als Nara in der Tür stand. Sie hielt Nugget und seine Flasche. »Tut mir leid«, unterbrach sie uns leise. »Ich versuche es immer wieder, aber er will sie nicht nehmen.«
»Ist in Ordnung«, sagte ich, stand auf und nahm ihn ihr ab. »Ich hab ihn, danke.« Ich setzte mich wieder und schob dem kleinen hungrigen Wombat die Flasche in den Mund und sah gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, dass Laura mich anlächelte.
Travis ächzte neben mir, als hätte er Schwierigkeiten, sich zurückzuhalten. Als ich zu ihm aufsah, hatte er noch immer die Arme verschränkt, hatte aber die Zähne so fest zusammengebissen, dass es aussah, als könnten sie jederzeit abbrechen. »Alles in Ordnung?«, fragte ich ihn und es war mir egal, ob Laura uns hören konnte oder was sie dachte.
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