Zum Buch
Das größte Weib, das je gelebt hat – so wird Mariedl, geboren 1879, bezeichnet. Bereits in der Pubertät erreicht sie eine Größe von 2,17 m. Eigentlich träumt sie von einer eigenen Familie, doch welcher Mann liebt schon eine Riesin? Das Mädchen hat immer Hunger und kann von ihrer armen Bergbauernfamilie kaum ernährt werden. Doch sie hat Glück, denn eines Tages taucht Melchior Balthusi auf – ein Schaubudenbesitzer, der die sanfte Mariedl in die weite Welt entführt …
Sophie Reyer
Die Riesin von Tirol
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Südtiroler Landesregierung
© Edition Raetia, Bozen 2020
1. Auflage
Grafik Umschlag: Dall’O & Freunde
Foto Umschlag: Sammlung Paul Felizetti
Grafisches Konzept und Druckvorstufe: Typoplus
Lektorat: Verena Zankl
Korrektur: Helene Dorner
ISBN 978-88-7283-739-9
e-ISBN: 978-88-7283-752-8
Der Verlag bedankt sich bei Samantha Schneider und Inga Hosp, die mit ihrem Buch „Die Riesin von Ridnaun. Abnormitäten, Kuriositäten, Schaustellungen“ (Edition Raetia 2001) die Grundlage für diesen Roman geschaffen haben.
Anregungen an info@raetia.com
Unser gesamtes Programm finden Sie unter www.raetia.com.
1.Prolog 1. Prolog Eine Riesin, werden sie später sagen. Und zugegeben: Das hört sich gut an – Mariedl, die Riesin. Die Riesin von Ridnaun! Wohlklingend, nicht wahr? Tritt um die Jahrhundertwende einfach als Schaustellerin, Gauklerin auf – und das als Frau! Und diese großen Hände, die massigen Füße, der Körper, der sich in einem normalen Menschenbett krümmen müsste, kaum zur Ruhe käme! Exotisch, finden Sie nicht, nein? Im Gedächtnis der Menschen wird sie bleiben, diese Mariedl. Die Monsterfrau mit ihren zwei Komma siebenundzwanzig Metern! Ungewöhnlich, wird man sagen. Und so mancher Voyeur erfreut sich an ihren Geschichten. Die Zirkusqueen, die da in Tiroler Tracht auftritt, der Freak mit den großen, langen Armen, die da so herabbaumeln, als wären sie Fremdkörper. Ja, im Wiener Prater wird sie viele Jahre später noch zu finden sein, in Wachs gebannt, diese Dame. Und ist sie auch nicht die größte Frau der Welt: Maria ist zumindest eine Frau von Welt! Wen wundert es da, dass die Erinnerungen an sie noch heute wach sind in dem kleinen Südtiroler Tal? Was heute noch wirklich greifbar ist von ihr, ist zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Werbeannoncen zu verdanken. Aber wie viel davon stimmt wirklich? Und könnten sich die Dinge vielleicht doch ein wenig anders zugetragen haben? Wer war die Riesin von Ridnaun? Und vor allem: Wie? Wie war diese Mariedl, abgesehen von ihrer Größe? Vielleicht gibt es eine Antwort hier in der morgendlich schlafenden Landschaft von Ridnaun, deren Bergriesen friedlich daliegen wie eh und je. Wir müssen auf die Reise gehen: dorthin, wo alles beginnt.
2.Riese Landschaft: Ridnaun
3.Großer Großvater
4.Die erste Schuld
5.Große Pulte für große Mädchen
6.Maria und die Kühe
7.Im Volksblatt
8.Es geht weiter
9.Pfarrer Engl
10.Die Sprache der Musik, die Sprache der Wissenschaft
11.Der gütige Arzt
12.Endlich ein Bett!
13.Maria wird berühmt
14.Die große Stadt
15.Rita und die große Show
16.Mariedl und der erste Auftritt
17.Weiterreisen
18.Eroberungen
19.Alte Liebe
20.Kolossale Freaks
21.Verlorene Lieben
22.Hamburg
23.Eine besondere Show
24.Clive Darril
25.Schlagzeilen
26.Man kommt sich näher
27.Wurstlprater, Fixstarter
28.Riesin Brummbär
29.Seekrank
30.Mariedl und die Musik
31.Das London Hippodrome
32.Kastanien und Kürbisse
33.Der Sturz
34.Der Besitzer wird wütend
35.Ein echter Heiratsantrag
36.Neues Terrain
37.Automobilwerbung
38.Manchester
39.Hull
40.OXO
41.Back home
42.Heimat und weiter
43.Zurück in Berlin
44.Hannover
45.Wer nicht wagt
46.Bremen
47.Mariedls Geschenk
48.Immer noch
49.Altern
Eine Riesin, werden sie später sagen. Und zugegeben: Das hört sich gut an – Mariedl, die Riesin. Die Riesin von Ridnaun! Wohlklingend, nicht wahr? Tritt um die Jahrhundertwende einfach als Schaustellerin, Gauklerin auf – und das als Frau! Und diese großen Hände, die massigen Füße, der Körper, der sich in einem normalen Menschenbett krümmen müsste, kaum zur Ruhe käme! Exotisch, finden Sie nicht, nein? Im Gedächtnis der Menschen wird sie bleiben, diese Mariedl. Die Monsterfrau mit ihren zwei Komma siebenundzwanzig Metern! Ungewöhnlich, wird man sagen.
Und so mancher Voyeur erfreut sich an ihren Geschichten. Die Zirkusqueen, die da in Tiroler Tracht auftritt, der Freak mit den großen, langen Armen, die da so herabbaumeln, als wären sie Fremdkörper. Ja, im Wiener Prater wird sie viele Jahre später noch zu finden sein, in Wachs gebannt, diese Dame. Und ist sie auch nicht die größte Frau der Welt: Maria ist zumindest eine Frau von Welt! Wen wundert es da, dass die Erinnerungen an sie noch heute wach sind in dem kleinen Südtiroler Tal?
Was heute noch wirklich greifbar ist von ihr, ist zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Werbeannoncen zu verdanken. Aber wie viel davon stimmt wirklich? Und könnten sich die Dinge vielleicht doch ein wenig anders zugetragen haben? Wer war die Riesin von Ridnaun? Und vor allem: Wie? Wie war diese Mariedl, abgesehen von ihrer Größe?
Vielleicht gibt es eine Antwort hier in der morgendlich schlafenden Landschaft von Ridnaun, deren Bergriesen friedlich daliegen wie eh und je. Wir müssen auf die Reise gehen: dorthin, wo alles beginnt.
2. Riese Landschaft: Ridnaun
Des Morgens scheint die Landschaft zu schlafen, wenn sich die Schwere des Sommers über sie senkt. Hin und wieder kreuzt ein Vogel mit zackigem Flug das Firmament, es wippen und zittern die Gräser der Weiden und Wiesen im leichten Wind, der sie streichelt, kaum merklich das Gras frisiert: Ridnaun. So liegt es da, das Tal, schlummert in den Morgenstunden vor sich hin, nordwestlich von Sterzing in Südtirol. Hohe, bewaldete Gebirgsketten ragen schroff in den Sommerhimmel hinein, hier und da ist einer der spitzen Gipfel von Schnee und Eis überzuckert. Über achtzehn Kilometer erstreckt sich die Region, umfasst mehrere Dörfer. Da wird es später über Gasteig weiter nach Stange, Mareit, Ridnaun und Maiern gehen – und würde man die nördliche Seite des Schachts betreten, so würde man in Telfes ankommen. Jetzt aber liegt der Riese Landschaft, der stetig anwächst, bloß schlafend da und begrüßt den Morgen.
Wir schreiben das Jahr 1879, und Ridnaun ist eine kleine Gemeinde im hintersten Teil des Tales. Der kleine Ort neben Maiern erwacht gerade zum Leben. Und siehe: Bald schon krähen die ersten Hähne, sickert der Tau in den Boden, beginnt die Sonne, noch ein orangeroter Ball, immer höher zu steigen. Kostbar sind diese Morgenstunden, so wissen die Bewohner des Dörfchens: Die Arbeit ruft! Die Landschaft will beackert, das Vieh auf die Weide getrieben werden!
Man lebt hier von der Landwirtschaft, Viehzucht, Milchwirtschaft – und hin und wieder verliert sich der eine oder andere Arbeiter auch im Bergwerk am Schneeberg, wo, so munkelt man, angeblich die Zwerge leben! Ehrlich! Und darum habe man dort, so erzählen die Bewohner des Dorfes, vom 13. bis zum 15. Jahrhundert sogar Silber abgebaut.
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