Ein Gurgeln kam von einem der Körper, die er noch nicht untersucht hatte. Er wirbelte in der Hocke herum, das M4 im Anschlag. Der Mann, dessen Iro kanariengelb gefärbt war, war wie die anderen Raider mit einer dreckigen schwarzer Jeans und einem fleckigen T-Shirt gekleidet. Lucas lief zu ihm hinüber, jederzeit bereit zu schießen, aber der Mann war bereits am Ende. Blut aus einer Kopfwunde verkrustete ihm Stirn und Augenlider. Lucas zog die Glock aus seinem Hosenbund und schob die AK mit dem Fuß beiseite, bevor er sich vorsichtig neben ihm hinkniete.
Die Augen des Mannes öffneten sich und er starrte Lucas mit leerem Blick an. Er versuchte zu sprechen, aber alles, was aus seinem Mund kam, war ein Schwall Blut. Dann rollte sein Kopf zur Seite. Sein Todesröcheln dauerte beinahe fünf Sekunden.
Lucas ging seine Sachen durch und fand in der Gesäßtasche des Mannes ein Klappmesser. Es war von guter Qualität und versprach einen guten Handel. Die Glock und ihre zwei Reservemagazine würden ebenfalls ein gutes Geschäft werden, auch wenn er persönlich nicht viel von einer 9mm hielt. Lucas' Philosophie war immer gewesen, dass die momentane Taubheit, die einen Schuss aus seiner Kimber begleitete, durch ihre hohe Durchschlagskraft mehr als aufgewogen wurde.
Nachdem er sich alle Waffen angesehen hatte, traf er eine schnelle Entscheidung und trug die wertvollsten zu Tango hinüber. Lucas belud die Satteltaschen bis zum Bersten mit Waffen und Munition und war enttäuscht, doch wenig überrascht, dass er zwei AK-47 und ein paar Pfund Munition zurücklassen musste.
Entferntes Donnergrollen hallte von den Wänden der Schlucht wider und Lucas wandte sich dem aufziehenden Sturm zu. Er erstarrte, als er eine Gestalt bemerkte, unmittelbar neben einem Felsvorsprung, deren Brust sich hob und senkte und die offensichtlich am Leben war. Er hatte diese Person vorher nicht bemerkt. Wer immer es auch war, hatte sich gut verborgen. Er schnellte hoch und lief im Zickzack auf den gefallenen Schützen zu. Die M4 hielt er im Laufen auf die Gestalt gerichtet.
Als er den Vorsprung erreichte, blieb er verblüfft stehen.
Es war eine Frau.
Bewusstlos und schwer atmend, eine AR-15 war direkt neben ihr zu Boden gefallen.
Aber sie war am Leben, auch wenn sie um jeden Atemzug kämpfte. Ihre Bluse und ihre Hose waren von Blut durchtränkt.
Lucas senkte langsam die Waffe, als er sich der Frau näherte und ihren Zustand einschätzte. Sie war in den Oberschenkel und in den oberen Brustkorb getroffen worden. Ihre leichte Schutzweste hatte nicht ausgereicht, um sie gegen die Gewehrkugeln zu schützen. Er kauerte sich neben sie und blickte in ihre bleichen Züge: Ihr Ausdruck wechselte zwischen Agonie und Bewusstlosigkeit.
Er filzte sie und fand einen kurzen .38er Revolver in ihrem Hosenbund. Er warf die Waffe beiseite und blickte hinauf zum Himmel. Er machte sich Sorgen, dass es bald zu dunkel sein würde. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu und zog ihr vorsichtig die Schutzweste aus. Danach waren seine Finger schlüpfrig von ihrem Blut. Eilig suchte er in seiner Flakweste nach der wiederaufladbaren LED-Taschenlampe.
Lucas schaltete die kleine Taschenlampe ein und ließ den Lichtkegel zu den Wunden der Frau wandern. Das Bein sah nicht allzu schlimm aus, die Wunde in ihrer Brust schon – der Blässe ihrer Haut nach hatte sie bereits eine Menge Blut verloren und es bestand die Gefahr, in einen Schockzustand zu verfallen, wenn das nicht längst geschehen war. Immer mehr Blut kam aus der Eintrittswunde. Lucas musste eine schnelle Entscheidung treffen. Und er brauchte das Licht der Stablampe, auch wenn es die bösen Jungs anlocken konnte. Ansonsten würde die Frau sterben.
Er folgte seinen Spuren zurück zu Tango und holte das Erste-Hilfe-Set aus der Satteltasche. Das Pferd schien seine Aufregung zu spüren und wieherte leise.
»Keine Sorge, mein Großer. Wir hauen hier so bald wie möglich ab«, murmelte Lucas, bevor er zu der Frau zurückging.
Nachdem er die Taschenlampe wieder eingeschaltet hatte, holte er eine Plastikflasche heraus und drehte den Verschluss ab. Der Geruch von hochprozentigem Alkohol stieg ihm in die Nase. Dreifach gebrannt von seinem Großvater, aus Getreide, das auf seiner eigenen Ranch wuchs, brachte den ›White Lightning‹ auf über 70 Volumenprozent. Abgesehen davon, dass er ein heißbegehrter Tauschartikel war, machte ihn das auch zu einem vorzüglichen Desinfektionsmittel, obwohl diese Verwendung seinem Grandpa nicht gefallen hätte. Für ihn war das nur eine Verschwendung von gutem Schnaps.
Lucas nahm eine Plastikplane aus der Verpackung und breitete das Feldbesteck darauf aus. Nachdem er die Wunde in der Brust noch einmal untersucht hatte, sterilisierte er eine langstielige Wundzange. Als er sicher sein konnte, dass das Instrument keimfrei war und keine Infektion auslösen würde, nahm er sich zunächst die Beinwunde vor. Er stellte fest, dass es sich um einen sauberen Durchschuss handelte. Da hatte sie Glück gehabt, doch bei ihrer Brustwunde sah es anders aus. Die Kugel hatte zwar ihre Lunge verfehlt, aber es gab keine Austrittswunde und er war nicht darauf vorbereitet, im Freien und nur im Licht einer kleinen Taschenlampe einen chirurgischen Eingriff durchzuführen.
Er stocherte vorsichtig in der Eintrittswunde herum und versuchte dabei, das Projektil zu ertasten, gab aber nach ein paar fruchtlosen Minuten auf. Das Beste, was er tun konnte, war, die Wunde mit dem Alkohol zu sterilisieren und einen Druckverband anzulegen. Wenn sie die Nacht überstand, konnte er versuchen, sie zum nächsten Handelsposten zu transportieren, wo es qualifiziertere Hände gab. Lucas war mit dem Anblick von Blut vertraut und hatte seit dem Kollaps schon ein paar Wunden versorgt, aber noch keine, die so ernst war. Obwohl er ein Army-Handbuch zur Notversorgung durchgeackert hatte, war er hier überfordert.
Der Blutverlust war vermutlich riskanter als die Möglichkeit, dass die Kugel wanderte und so mehr Schaden anrichtete. Dem Blutfluss nach waren keine größeren Blutgefäße verletzt, aber ganz sicher war er nicht. Er suchte nach auffälligen arteriellen Blutungen, doch als er nur schwächere Einblutungen sah, holte er eine Phiole Morphin aus dem Notfallset, das er nach dem Kollaps aus einem Krankenhaus hatte mitgehen lassen. Er hatte die Droge bisher nie einsetzen müssen und hoffte um der Frau willen, dass die karamelfarbene Flüssigkeit noch ihren Kick hatte, obwohl sie schon lange abgelaufen war. Lucas goss Alkohol über ihre Armbeuge und spritzte ihr Dreiviertel der kleinen Ampulle in die Vene. Danach tauchte er die Nadel in Alkohol, wobei er den Verschluss als Behälter nutzte. Nach dreißig Sekunden Desinfektion nahm er die Nadel heraus und verstaute sie wieder im Notfallset.
Die Atmung der Frau wurde ruhiger und regelmäßiger. Lucas nahm seinen Hut ab und legte ein Ohr auf ihren Brustkorb, um lauschen zu können, ob ihre Lunge sich mit Flüssigkeit füllte, aber viel hörte er nicht. Ihre Atemwege schienen frei, aber das war im Augenblick reines Wunschdenken. Selbst wenn sie gerade in ihrem eigenen Blut ertrank, konnte er doch nicht mehr tun als zu beten und ihr den Rest Morphium zu spritzen.
Lucas lehnte sich zurück und griff nach dem Alkohol, widerstand aber dem Wunsch, einen Schluck zu nehmen, um seine Nerven zu beruhigen. Er goss ihn stattdessen über ihre Beinwunde und wusch dabei das getrocknete Blut weg. Sie rührte sich kaum. Bevor er sich um die Schusswunde in der Brust kümmerte, nahm er aus einer versiegelten Packung Wundverbände und platzierte zwei davon auf ihrem Oberschenkel, die er mit einem Verband fixierte, nachdem er das Ganze großzügig mit Braunol betupft hatte.
Besser als nichts, dachte er und kümmerte sich um die Wunde in ihrer Brust. Hier reagierte sie auf den Alkohol mit einem Zucken und schmerzvollem Stöhnen, doch die Augen der Frau öffneten sich nicht. Wieder desinfizierte er die Stelle und träufelte etwas Alkohol direkt in die Wundöffnung, nur um sicherzugehen. Danach improvisierte er einen Druckverband, um die Blutung zu stillen.
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