Vielen Dank, dass Sie WASTELAND eine Chance geben, und ich hoffe, dass Ihnen die erste Episode Schuld und Sühne gefällt.
Russell Blake
2016
Lucas spähte durch sein Fernglas zum fernen Horizont, der durch die brütende Hitze der westtexanischen Sonne verzerrt wurde, und suchte die karge Landschaft ab. Grünlich-braunes Gestrüpp wuchs wie Tumore entlang der Hügel. Der große Hengst unter ihm bewegte sich mit einem trägen Schütteln des Kopfes. Lucas lehnte sich langsam vor, um ihm beruhigend auf den Nacken zu klopfen.
»Ruhig, Tango. Ich weiß, es war ein langer Ritt«, murmelte er.
Das Pferd beruhigte sich und Lucas kehrte zu seinen Beobachtungen zurück. Seine Lippen waren nur zwei dünne Linien zwischen zwei Tage alten Bartstoppeln. Die gerade Krempe seines Cowboyhutes aus braunem Filz überschattete stahlgraue Augen und eine Haut, die von einem Leben im Freien braun wie Bronze war.
Ein heißer Wind kam aus den Bergen zu seiner Linken und brachte den Geruch von Regen mit sich. Ein Band pflaumenfarbener Wolken pulsierte vor Blitzen, dort, wo die Bergspitzen den Himmel berührten. Er schätzte, dass es noch ein gutes Stück weit weg war, mindestens vier oder fünf Stunden. Das erhöhte die Chancen, dass das Gewitter sich austobte, bevor es ihn erreichte.
Nicht, dass er etwas gegen eine regnerische Nacht gehabt hätte. Er hatte sein Zelt und seinen Schlafsack und in seinen Satteltaschen war genug Proviant für Wochen. Es war schwer abzuschätzen, wie lange er brauchen würde, die Herde Wildpferde aufzuspüren, der er auf den Fersen war. Auf Expeditionen wie dieser war er immer auf alles vorbereitet, was Mutter Natur und ihre raue Landschaft ihm in den Weg stellen konnte.
Lucas Aufmerksamkeit wechselte zu einer braunen Staubfahne, die in der Ferne aufstieg. Er nahm das Fernglas herunter und blickte hinauf in den Himmel. In ein paar Stunden würde es dunkel sein. Er warf einen Blick auf den alten Pilotenchronometer an seinem Handgelenk, nicht weil ihm die Uhrzeit etwas genutzt hätte, aber es half ihm beim Abschätzen der Entfernung. Die Staubwolke war etwa fünf Meilen entfernt. Er wollte sein Pferd nicht schon vorher auslaugen, denn er würde sein volles Tempo benötigen, um Tiere der Herde einzufangen. Das hatte Priorität.
Er nickte wie zur Bestätigung. Bei lockerem Trab konnte er die Urheber der Staubwolke bis zur Dämmerung erreicht haben. Lucas rückte das M4A1 Sturmgewehr auf seinem Rücken zurecht und tastete dann automatisch nach dem Schaft seiner 7.62 Remington 700 Police DM in dem Futteral neben seinem Knie.
Nicht, dass er sie heute benötigen würde.
Immer vorausgesetzt, dass die Staubwolke auch von der Herde stammte.
Es gab in diesen staubtrockenen Senken nicht viel zu holen, alle Gebäude waren vor langer Zeit aufgegeben und von allem befreit worden, was noch irgendeinen Wert darstellte. Aber das hielt die Plünderer aus Mexiko nicht auf, sich auf den Weg nach Norden zu machen. Die Situation südlich dessen, was einmal die Grenze gewesen war, war schlimm oder sogar schlimmer als hier. Und nach dem, was er bisher gehört hatte, war ein Menschenleben in den Augen dieser Aasgeier nicht viel wert. Sie lebten mehr recht als schlecht von dem, was sie sich Zusammenstahlen, und würden jedermann auf Sicht töten. Dabei spielte es keine Rolle, ob er ein Gringo oder ein Mexikaner war.
Das war auch einer der Gründe, warum Lucas die verwaisten Highways mied, welche die Gegend durchzogen. Der Asphalt war nicht nur schlecht für Tangos Hufe, sondern es gab dort auch die schauerlichen Überreste jener Fahrzeuge, die zurückgelassen worden waren, als den Leuten der Sprit ausging. Selbst jetzt, fünf Jahre nach dem Tag, von dem jeder gesagt hatte, dass er nie kommen würde, waren die Autobahnen immer noch unsicher. Es gab Gesindel, das dort lauerte, um Reisende zu überfallen – nicht selten verzweifelte Familien, die einen Handwagen mit ihren wenigen Habseligkeiten hinter sich herzogen, auf dem Weg zu einem Ort, von dem sie gehört hatten, dass das Leben dort besser sei. Das Benzin taugte schon lange nichts mehr, selbst der Diesel war rar, was die Überlebenden dazu zwang, auf andere Transportmittel zurückzugreifen – ob Fahrräder oder Lasttiere – es spielte keine Rolle, solange man nur in Bewegung blieb.
»Sinnlos«, stieß Lucas hervor und stutzte, als er hörte, wie gebrochen seine Stimme klang. Mit seinem Pferd zu reden war eine Sache, aber Selbstgespräche waren ein Warnsignal – eines von vielen, auf die er achten musste. Die Angst, durchzudrehen, war für ihn ein ständiger Begleiter, seit alles den Bach runtergegangen war.
Lucas schnalzte mit der Zunge und Tango lief los. Das Pferd trottete unsicher über die lose Erde. Der sanfte Windhauch war das einzige Geräusch neben Tangos Hufschlag und einem gelegentlichen Schnauben. Lucas Sinne sagten ihm, dass er allein war, aber er blieb wachsam. Seine Kleidung ließ ihn mit der Umgebung verschmelzen und er hoffte, dass seine abgewetzte Jeans, sein sandfarbenes Hemd und die Panzerweste in Wüstentarnung ihn zu einem schwierigen Ziel machen würden. Anders als im Film ist es nämlich verdammt schwer, ein bewegliches Ziel aus der Entfernung anzuvisieren, besonders bei stetigem Wind.
Er grunzte, als sie eine besonders schwierige Stelle überwanden und trieb Tango vorwärts, wobei Lucas' Lendenwirbel gegen den rauen Ritt protestierten. Was hätte er jetzt für einen Geländewagen gegeben. Oder wenigstens eine Enduro, ganz zu schweigen von einem Allradfahrzeug wie seinem alten Pick-up. Er hatte diesen großen Chevy geliebt. Der Wagen, genau wie das M4, waren die Vorteile seines Dienstranges gewesen: Einer der jüngsten Texas Ranger in der Geschichte der Truppe, der für die E Division von El Paso aus operiert hatte. Aber der Wagen, genau wie seine Truppe, waren Geschichte. Es war ein trauriger Tag gewesen, als er ihn mitten in der Wüste zurücklassen musste.
Die Sonne war ein Flecken roter Glut, der in einem Wolkenband versank, als er aus einiger Entfernung Gewehrschüsse hörte. Das unverkennbare Rattern automatischer Waffen ertönte aus der Ferne, kaum lauter als gedämpftes Feuerwerk, aber doch unverkennbar. Tango tänzelte auf der Stelle. Lucas Augen wurden schmal, während er sein Pferd beruhigte.
»Offenbar kam der Staub doch nicht von der Herde«, flüsterte er.
Nach ein paar Minuten hörte die Schießerei auf. Er schätzte, dass er noch gut eine Meile entfernt war. Lucas suchte den Horizont wieder mit dem Fernglas ab, konnte aber nichts erkennen. Was immer auch geschehen war, blieb außer Sicht, hinter der nächsten Hügelkette.
Instinktiv wollte er nach dem Rechten sehen – wenn eine Gruppe Bewaffneter in der Gegend war, musste er sich früher oder später Klarheit verschaffen und seine Suche nach den Wildpferden verschieben, bis die Bande die Gegend verlassen hatte. Er wollte die Tiere für Tauschgeschäfte nutzen – die Ranch hatte kaum noch Waren, die man an einem der Außenposten in der Nähe hätte eintauschen können – aber dafür musste er am Leben bleiben. Er konnte seine Spuren nicht verwischen, während er eine Herde wilder Mustangs trieb.
»Nun komm schon, Tango. Zeit, dass du dir deinen Futtersack verdienst.« Lucas führte das Pferd nach links, wollte einen weiten Bogen schlagen, um unbemerkt zu bleiben.
Purpurne und lachsfarbene Wolkenstreifen dominierten den Himmel, als er in der Nähe des Hügels abstieg und Tango an einem verkrüppelten Mesquitebusch anband. Er zog die Remington 700 aus dem Polster und klopfte auf die vier Reservemagazine mit 5.56 mm Vollmantelgeschossen für seine M4, die in seiner ATS Aegis V2 Plattenschutzweste steckten, gleich neben seinem ganzen Stolz an der Hüfte, einer Kimber 1911 Tactical Custom II Kaliber .45. Lucas prüfte, ob die Mündungsfeuerbremse auf dem M4 saß und ob die Waffe gesichert war. Dann hob er den Blick hinauf zu den schwarzen Umrissen der Geier, die über ihm kreisten.
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