Impressum
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “L'impossibile è un po' più su”
Autor: Jacopo Larcher
Libri Illustrati Rizzoli
© 2019 Mondadori Electa S.p.A., Milano
© 2020 Mondadori Libri S.p.A.
© der deutschsprachigen Ausgabe:
egoth verlag GmbH
Untere Weißgerberstr. 63, A-1030 Wien
ISBN: 978-3-903183-43-8
ISBN E-Book: 978-3-903183-84-1
Übersetzung aus dem Italienischen: Anna Maria Söllner
Lektorat: Dr. Rosemarie Konrad
Grafische Gestaltung und Satz: Dipl. Ing. (FH) Ing. Clemens Toscani
Coverbild: © Jacopo Larcher
Bilder: Archiv Jacopo Larcher, Klaus Dell´Orto, Francois Lebeau, Scott Noy, Richard
Felderer/Courtesy The North Face, Elias Holzknecht/Courtesy The North Face,
DamianoLevati/Storyteller-Labs/Courtesy The North Face
Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Rechteinhabers.
1. Auflage im September 2020
JACOPO LARCHER
Das
Unmögliche
ist etwas
weiter oben
Übersetzt von Maria Anna Söllner
Prolog
1Die Schlüssel zur Kletterhalle
2Das Training
3On the Road
4Die Sicht der anderen
5Zeit für Veränderung
6Schwierige Linien, unmögliche Linien …
7Außen heiß, innen kühl
8Die erste Nacht im Yosemite Valley
9Ich packe meinen Rucksack …
10Des Nachts siehst du …
11Leicht werden
12Poesie des Minivans
13Über die Arbeit und andere Freiheiten
14Tribe
Meine Begehungen
Glossar
”Die einzige Konstante im Leben ist der Wandel.
Buddha
Wenn uns etwas Seltsames passiert, etwas, das anders als gewöhnlich oder sogar außergewöhnlich ist, ist es ganz einfach und geradezu natürlich, davon zu erzählen. Wir erinnern uns an die Details, wir „übersetzen“ unsere Eindrücke in Worte. Doch das, was wir tagtäglich erleben, kann derart zur Gewohnheit werden, dass wir fast nicht mehr darüber reden, dass wir seine Bedeutung beinahe nicht mehr klar erfassen können, sosehr halten wir es für selbstverständlich. Wir halten es beinahe für banal. Und doch besteht genau daraus unser Leben, darin sind im Grunde die wichtigsten Elemente des Lebens enthalten.
Klettern ist mein Leben. Und wenn ich von meiner Form des Kletterns spreche, wird das Gespräch manchmal etwas technisch, was schwierig sein kann; andere Male vereinfache ich jedoch zu sehr, mache es zu kurz: „Das war eine schwierige Passage“, sage ich. „Ich dachte, ich würde es nicht schaffen, doch dann …“ Und damit ende ich, vielleicht auch aus Schüchternheit.
„Schade“, machte mich einmal jemand aufmerksam, „denn auf ‚schwierige Passagen‘ stoßen wir alle im Leben, und es könnte nützlich sein zu hören, wie andere sie bewältigt haben. Du hast gesagt, dass du dachtest, es nicht zu schaffen, doch dann … Was ‚doch dann‘? Was hast du gemacht, was hast du gefühlt? Haben dir frühere Erfahrungen geholfen oder eine plötzliche Eingebung, Hartnäckigkeit oder Weisheit, die Muskeln oder das Herz?“
Genau das ist es: Ich möchte meine Erfahrungen so beschreiben, dass es für alle verständlich ist, ich möchte mich auch an diejenigen richten, die vom Klettern wenig oder gar keine Ahnung haben. Denn manchmal habe ich tatsächlich gedacht, es nicht mehr zu schaffen. Und dann habe ich insistiert, dazugelernt, mich verändert: Ich bin meinem Weg gefolgt.
Diejenigen, die dieses Buch lesen werden, gehen möglicherweise überhaupt nicht klettern, aber vielleicht kommt ihnen der Gedanke: „Wenn er durchgehalten hat, warum sollte ich das nicht auch können?“ Genau davon möchte ich erzählen: dass wir alle unserer Leidenschaft (oder auch mehr als nur einer) folgen können, dass Durchhaltevermögen wichtig ist und man sich verändern kann – es genügt, Lust darauf zu haben, die eigene Komfortzone zu verlassen, das Neue zu suchen, sich weiterzuentwickeln, sich nicht um gesellschaftliche Konventionen zu scheren oder um die Rollen, die die Gesellschaft jedem von uns zugedacht hat.
Du triffst die Wahl. Konsequenz und mentale Öffnung bringst du mit. Der Rest geschieht von selbst, wenn du die Herausforderungen, vor die du dich selbst gestellt hast, in Angriff nimmst, wenn du dich genau dort befindest, wo du ganz bewusst sein willst.
Winzige Leiste links (halber Daumen auf dem Griff, die andere Hälfte auf dem Nagel des Zeigefingers – man muss möglichst fest zudrücken), rechten Fuß in den Riss, linken Fuß entlasten (ohne auf den Friend zu treten), Körperspannung aufbauen und Richtung Wand ziehen; Zwischengriff rechts von der Kante (aufgestellte Finger), das Becken nach links drehen, Aufleger rechts (Fingerkuppe des Zeigefingers auf dem Kristall); den rechten Fuß weiter nach links setzen, mit dem linken Fuß hoch ansteigen (Fuß eindrehen: hier ist Präzision erforderlich), den rechten Fuß lösen und sich gegen die Wand pressen, Zange/Zwei-Finger-Loch links (Konzentration auf die rechte Hand und den linken Fuß!), Rettungsgriff links.
Es ist ganz klar, was ich dort oben tun muss. Doch das kommt erst gegen Ende. Nun geht es darum, hier unten, am Boden, zu beginnen. Der erste Teil, der auch der einfachste ist, besteht aus einer senkrechten Felswand. Die ersten beiden Sicherungen, ein grauer und ein 0,3er Offset Nut, befinden sich fünf Meter über dem Boden, fast auf derselben Höhe. Es folgen weitere fünf oder sechs Meter, die nicht schwierig sind, nur etwas technisch (7a, 7b): Hier sollte man besser nicht stürzen, denn es besteht die Gefahr, bis ganz nach unten, auf den Boden, zu fallen. Endlich bin ich am Felsband angekommen, wo ich ein paar verlässlichere Sicherungen setze, zwei bombensichere Friends. Unterhalb des kleinen Granitdachs befindet sich ein Ruhepunkt, an dem ich meine Hände nicht brauche. Ich schaue mich um, während ich sie mit Magnesia einreibe: Ich sehe die Baumwipfel, das enge Tal, dort unten die Straße nach Cadarese. Wie oft bin ich schon an dieser Stelle gewesen?
Seit nunmehr sechs Jahren geht mir diese Linie, diese wunderschöne, elegante, perfekte, unmögliche Linie (nein, sie ist nicht unmöglich!) nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe sie gereinigt, gebürstet und studiert. Immer, wenn ich einen freien Moment habe, komme ich hierher, um einen Versuch zu machen. „Einen Moment“, das sagt man so dahin: Denn ich bin fast 500 Kilometer von dem Ort, an dem ich wohne, entfernt – auch wenn die Gegend hier für mich inzwischen zu einem zweiten Zuhause geworden ist.
Hier beginnt der schwierige Teil (das Unmögliche ist etwas weiter oben – doch nein, es ist nicht unmöglich! ) mit einem ersten sehr kraftigen Blockierer, der eher pressig ist und mit einem Dyno zu einem abgerundeten Riss enden wird. Es ist anstrengend, doch ich kenne es, ich habe es schon probiert. Das Problem besteht – wenn überhaupt – darin, dass man, wenn man an dieser Stelle stürzt, Gefahr läuft, am Felsen aufzuprallen; und das vielleicht sogar, während man kopfvoran nach unten segelt, falls man mit dem Bein im Seil einfädelt. Auch das habe ich schon ausprobiert … Viel besser ist es, ins Leere zu stürzen, doch das wird, wie bis jetzt fast jedes Mal, erst weiter oben passieren. Auf geht’s, packen wir’s an!
Henkel linke Hand, Ferse rechts vom Friend in den Riss (ohne ihn zu berühren!), drehe die Fußspitze, Schulterleiste rechts, Magnesia, trete links auf Reibung an, gewölbte Zange rechts, weiterer Reibungstritt links, Leiste rechts (presse sie fest zusammen!), zieh die Ferse aus dem Riss und mache einen Trittwechsel, Ferse zum Henkel unterhalb des Felsdachs (zieh so stark, wie du kannst, zieh, zieh!), hebe den linken Daumen an, schere das rechte Bein, um das Gleichgewicht zu halten, pendle mit dem Becken nach rechts, Zange mit rechter Hand auf der Quarzader (presse, so fest du kannst), greife sie gut, indem du den Daumen auf den Kristall legst (das tut weh …), verlagere das Gewicht von der Ferse auf die Fußspitze, setze die linke Hand hoch und drücke ganz fest mit dem Knie gegen die abgerundete Rampe, bringe das Becken nah an die Wand, Untergriff links, bringe den Körper (Spannung aufbauen!) nach oben und suche mit der rechten Hand einen Griff unterhalb des Dachs, Dyno zum abgerundeten Riss, dabei versuche, eine Rotation zu vermeiden (und mit den Fingern nicht gegen die überhängende Wand zu prallen).
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