Anselm Grün - Macht

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Macht – ein Begriff, der in den meisten Menschen zunächst einmal negative Assoziationen weckt. So zum Beispiel in der Verbindung von Macht und Kirche, obwohl die Kirche selbst ihre autoritäre Stellung meinst gar nicht als solche wahrnimmt. Das gilt jedoch nicht nur für diesen Bereich, sondern ebenso für die Politik oder das persönliche Umfeld: die Familie, der Umgang mit Kollegen oder unsere Beziehungen.
Anselm Grün greift einige wichtige Aspekte von Macht heraus und betrachtet sie unter spirituellen, aber auch tiefenpsychologischen Gesichtspunkten. Er bietet Menschen, denen Macht verliehen ist, Hilfe an, sie zum Wohl aller einzusetzen und damit diese «verführerische Kraft» in ihrem besten Sinn zu nutzen. Denn für ihn besitzt sie eben nicht nur negative Eigenschaften, sondern kann, recht genutzt, der Motor zur Veränderung hin zum Guten sein.
Dieses Buch ist eine Einladung , über die eigene Macht und ihren Gebrauch neu nachzudenken und so zu einem bewussten und behutsamen Umgang mit Einfluss und Geltung zu gelangen.

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Inhalt

Einleitung

Die Macht Gottes

Religionsgeschichte

Bibel und Dogmatik

Die Macht Jesu: exousia, dynamis, energeia

Die Macht des Menschen

Definition von Macht

Die Macht des Menschen als Gabe Gottes

Die verschiedenen Formen, Schauplätze und Instrumente der Macht

Der Missbrauch der Macht

Die Versuchung zum Machtmissbrauch im Lukasevangelium

Die dunkle Seite der Macht

Die verborgene Macht in der Kirche

Machtmissbrauch im politischen Bereich

Machtmissbrauch in Unternehmen

Machtmissbrauch im persönlichen Bereich

Lebensgeschichtliche Gründe für den Machtmissbrauch

Der angemessene Umgang mit Macht

Wege zur Durchsetzung von Zielen

Macht-Gestalter anstatt Macht-Asketen und Macht-Menschen

Macht übernehmen – Voraussetzungen und Bedingungen

Haltungen bei der Machtausübung

Schluss

Literatur

Anselm Grün

MACHT

Eine verführerische Kraft

Macht - изображение 1

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0299-4

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0300-7

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marleme Fritsch

Covergestaltung: Dr. Matthias E. Gahr

www.vier-tuerme-verlag.de

Einleitung

Die Kirche ist durch die Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs in so vielen Fällen und in einem so großen Ausmaß in eine tiefe Krise gestürzt. Die Ursachen dieses Missbrauchs sind vielfältig. Aber eine wesentliche Ursache liegt ganz sicher im Missbrauch der Macht. Dies wurde jedoch vor allem dadurch möglich, weil innerhalb der Kirche bisher keine Theologie der Macht oder eine Theologie der Sexualität entwickelt wurde. Beide hat man ausgeblendet, und weil sie zu wenig bedacht wurden, sind sie zum Problem in der Kirche geworden.

Was nicht bewusst gemacht wird, gerät ins Unbewusste und wirkt sich von dort her destruktiv auf die Menschen aus. Das hat Carl Gustav Jung, der berühmte Schweizer Psychologe und Therapeut, immer wieder aufgezeigt: Was verdrängt wird, gerät in den Schatten. Der Schatten ist für C. G. Jung der Bereich im Unbewussten, in den der Mensch all das, was er bei sich bewusst nicht wahrnehmen will, gleichsam abstellt. Der Schatten ist das Reich des Verdrängten in der menschlichen Seele. Doch durch Verdrängen werden die Leidenschaften und Bedürfnisse des Menschen nicht aufgehoben. Im Gegenteil: Sie zeigen ihre Wirkungen oft entweder in der Projektion auf andere oder im unbewussten Ausleben des Schattens. So wird beispielsweise verdrängte Aggression zur passiven Aggression: Sie macht all jene aggressiv, die mit einem solchen Menschen zu tun haben. Oder die Aggression wird auf andere projiziert, indem ich zum Beispiel den anderen die Aggressionen andichte, die ich bei mir nicht wahrhaben will. Ich werfe dann anderen vor, dass sie aggressiv seien. In Wirklichkeit aber bin ich selbst der aggressive Mensch.

In der Kirche und ihrem Umfeld gibt es jedoch noch eine dritte Variante: Die Aggression wird unter dem Deckmantel der Liebe ausagiert. Wenn etwa ein Pfarrer in der Gemeinderatssitzung bei einem Konflikt sagt: »Wir Christen streiten nicht, wir lieben uns«, dann übt er Macht aus über die Mitglieder des Rates. Denn er vermittelt ihnen ein schlechtes Gewissen, allein dafür, dass sie anderer Ansicht sind.

Aber nicht nur in der Kirche ist Macht ein zentrales Thema. Wir erleben beispielsweise einen Verfall politischer Macht auf der einen Seite, einen Anstieg populistischer Macht auf der anderen Seite. Wir sehen den Missbrauch der Macht in der Wirtschaft, beispielsweise im sogenannten Diesel-Skandal. Wir erleben den Missbrauch der Macht jedoch auch im persönlichen Bereich. Hier spricht ebenfalls niemand von oder über Macht, sie wird aber gerade in Beziehungen, in der Partnerschaft, der Freundschaft, der Ehe unbewusst ausagiert.

Daher habe ich mich entschlossen, über die Macht zu schreiben. Ich bin mir bewusst, dass ich dieses Thema nicht vollständig behandeln kann. Ich möchte nur die Aspekte herausgreifen, die mir wichtig erscheinen.

Mein Ziel ist, mit diesem Buch Menschen, die Macht haben, dabei zu helfen, sie zum Wohl der Menschen auszuüben. Zudem möchte ich alle Leserinnen und Leser – denn jeder Mensch hat eine gewisse Macht – dazu einladen, über ihre Macht und ihren Gebrauch nachzudenken.

Pater Anselm Grün

Die Macht Gottes

Gott wird in allen Religionen als der Mächtige oder gar Allmächtige bezeichnet. Mit Gott ist also immer auch Macht verbunden. Ein Blick in die Religionsgeschichte und die Bibel soll die Beziehung zwischen Gott und Macht sichtbar werden lassen.

Religionsgeschichte

Die Religionsgeschichte zeigt, dass die Erfahrung von Macht ein religiöses Urphänomen ist: »Da werden zum Beispiel Dinge als ›mächtig‹ erfahren: Steine, Metalle, Bäume, Berge, Wasser und Feuer« (Hauser, 99). Diese Erfahrung ist häufig verbunden mit dem Gefühl, etwas Geheimnisvollem begegnet zu sein, etwas, das unbegreiflich und ungreifbar bleibt. Macht ruft immer Staunen, aber zugleich auch Ehrfurcht und oft genug Angst hervor. So hatten die Menschen beispielsweise Angst vor der Macht des Donners und des Blitzes.

In der Magie wird der Fetisch als Machtträger gebraucht. Man nimmt zum Beispiel einen Stab und ist der Überzeugung, er sei voll von göttlicher Energie, daher könne man damit die Gefahr von Donner und Blitz von sich und vom Dorf abhalten. Ein Weg, mit der Macht umzugehen, war und ist auch heute noch häufig das Tabu: »Es bedeutet eine Art Warnung vor versammelter Macht. Als Gegenwehr umgeht man sie schweigend, spricht nicht von ihr. Der König, das Geschlechtsleben, bestimmte Zeiten zum Beispiel sind tabu. Das Numinose ist gefährlich, wer das Tabu verletzt, ist bedroht« (Hauser, 100).

Zu Beginn der Menschheitsgeschichte – und damit auch der Religionsgeschichte – wird die Macht der Dinge oft nur unklar mit der Macht eines großen Geistes oder eines Urvaters, einer Urmutter in Verbindung gebracht. Man kreist mehr um die einzelnen Dinge, ohne zu klären, woher ihre Macht stammt. Erst in den sowohl matriarchal wie auch patriarchal geprägten Kultreligionen werden die Machterfahrungen einer Göttin oder einem Gott zugeschrieben. Alle menschliche Macht, etwa die der Könige, wird in diesen Konzepten direkt von der Göttin oder von Gott stammend vorgestellt. Zudem erscheint die Macht der Göttin oder des Gottes in den Naturphänomenen, an bestimmten Orten, sogenannten Kraftorten, oder in bestimmten Menschen.

Die stoische Philosophie, die etwa um 300 v. Chr. entstand, gibt diesen Götterglauben auf. Sie setzt die »geheimnisvolle Allkraft, die der Grund des Seins aller Erscheinungen ist, mit der Gottheit gleich« (Hauser, 101). Die Stoa spricht also nicht mehr von einem persönlichen Gott, sondern von der Macht des Weltprinzips, das sie mit der Gottheit gleichsetzt. Hauser meint: »Auch diese unpersönlich abstrakten Aussagen geben noch Zeugnis für das Geheimnis der Macht, die der Mensch im Kosmos erfährt und der er nur mit ehrfürchtiger Scheu begegnen kann« (Hauser, 101).

Die Anschauungen früher Religionen wirken auch heute noch weiter. Viele Menschen schreiben Gegenständen – Medaillons, Anhängern, Steinen oder anderen Symbolen – eine bestimmte Macht zu. Christen halten das häufig für Aberglaube, auch wenn zumindest in der katholischen Kirche Reliquien und andere Symbole noch immer eine große Rolle spielen. Offensichtlich hat auch der heutige Mensch Sehnsucht nach einer Macht, die ihn schützt und der er sich anvertrauen kann.

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