Christian Schuldtarbeitet als Autor, Referent und Redakteur beim Zukunftsinstitut. Zuvor war er rund 15 Jahre in leitenden Positionen im digitalen Mediengeschäft tätig. In seinen Publikationen beleuchtet der Experte für Systemtheorie den Kultur- und Medienwandel und die neuen Gesetzmäßigkeiten der vernetzten Gesellschaft.
Christian Schuldt
Systemtheorie
Theorie für die vernetzte Gesellschaft
CEP Europäische Verlagsanstalt
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© der ebook-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2017
Umschlaggestaltung und Satz: Susanne Schmidt, Leipzig
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ISBN 978-3-86393-541-2
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1. Wer hat Angst vor Niklas Luhmann?
Alles oder nichts: Allround-Anspruch mit System • Contra Luhmann: Systemtheorie als Störenfried • Pro Luhmann:
Systemtheorie als Passion • Eine Brücke zum Theoriepalast
2. Das Wunderland der Selbstreferenz
»Explosivstoff Selbstreferenz« • Aller Anfang ist Differenz
3. Systemtheorie: Grundriss des Labyrinths
Soziale Systeme: »Inseln geringerer Komplexität« • Interaktion, Organisation, Gesellschaft • Autopoiesis • Selbstorganisation • Sinn-voll: Soziale und psychische Systeme • Psychische Systeme • Strukturelle Kopplung • Gesellschaftliche Evolution • Funktionssysteme
4. Kommunikation: Baustein der Gesellschaft
Information, Mitteilung, Verstehen • Camouflage der Kommunikation • Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien
5. Beobachtung: Ich sehe was, was du nicht siehst
Die zwei Seiten der Unterscheidung • Beobachtung erster und zweiter Ordnung
6. Kontrahenten und Verbündete
Habermas vs. Luhmann • Böse Vorurteile, gute Entkräftungen • Konstruktivismus, Postmoderne, Dekonstruktion
7. Niklas Luhmann: Der Kopf hinter der Theorie
Mönch, Klapperschlange, Workaholic • Vom Beamten der Verwaltung zum Beobachter der Gesellschaft • Zufallsgenerator und Kommunikationspartner
8. Praktisch: Eine Theorie für alle Fälle
Wie alltagstauglich ist die Theorie? • Liebe: Von Passion zu Problemen zu Pragmatik • Kunst: Andere Welten • Massenmedien: Realität als Funktion
9. Systemtheorie der Netzwerkgesellschaft
Intransparente Kommunikation • Überschusssinn und Verbreitungsmedien • Netzwerk-Komplexität
10. Ausblick: Eine Theorie für das dritte Jahrtausend
Literatur: Lohnenswerte Anschlusslektüren
1. Wer hat Angst vor Niklas Luhmann? Inhalt 1. Wer hat Angst vor Niklas Luhmann? Alles oder nichts: Allround-Anspruch mit System • Contra Luhmann: Systemtheorie als Störenfried • Pro Luhmann: Systemtheorie als Passion • Eine Brücke zum Theoriepalast 2. Das Wunderland der Selbstreferenz »Explosivstoff Selbstreferenz« • Aller Anfang ist Differenz 3. Systemtheorie: Grundriss des Labyrinths Soziale Systeme: »Inseln geringerer Komplexität« • Interaktion, Organisation, Gesellschaft • Autopoiesis • Selbstorganisation • Sinn-voll: Soziale und psychische Systeme • Psychische Systeme • Strukturelle Kopplung • Gesellschaftliche Evolution • Funktionssysteme 4. Kommunikation: Baustein der Gesellschaft Information, Mitteilung, Verstehen • Camouflage der Kommunikation • Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien 5. Beobachtung: Ich sehe was, was du nicht siehst Die zwei Seiten der Unterscheidung • Beobachtung erster und zweiter Ordnung 6. Kontrahenten und Verbündete Habermas vs. Luhmann • Böse Vorurteile, gute Entkräftungen • Konstruktivismus, Postmoderne, Dekonstruktion 7. Niklas Luhmann: Der Kopf hinter der Theorie Mönch, Klapperschlange, Workaholic • Vom Beamten der Verwaltung zum Beobachter der Gesellschaft • Zufallsgenerator und Kommunikationspartner 8. Praktisch: Eine Theorie für alle Fälle Wie alltagstauglich ist die Theorie? • Liebe: Von Passion zu Problemen zu Pragmatik • Kunst: Andere Welten • Massenmedien: Realität als Funktion 9. Systemtheorie der Netzwerkgesellschaft Intransparente Kommunikation • Überschusssinn und Verbreitungsmedien • Netzwerk-Komplexität 10. Ausblick: Eine Theorie für das dritte Jahrtausend Literatur: Lohnenswerte Anschlusslektüren
»Mein Projekt lautete damals und seitdem: Theorie der Gesellschaft; Laufzeit: 30 Jahre; Kosten: keine.« Mit ironischem Pathos eröffnete Niklas Luhmann 1997 sein Opus Magnum »Die Gesellschaft der Gesellschaft«. Kosten trägt seitdem eher die Soziologie, denn mit Luhmann starb knapp ein Jahr später, am 6. November 1998, ihr wohl einflussreichster und brillantester Theoretiker. Sein Werk wirkt jedoch weiter. Und gerade die komplexen Gesetzmäßigkeiten der vernetzten Gesellschaft lassen sich mit der Systemtheorie adäquat beobachten und beschreiben.
Alles oder nichts: Allround-Anspruch mit System
Niklas Luhmanns Lebenswerk ist gekennzeichnet von einer fast schon unheimlichen Produktivität. Den Grundriss seines imposanten Theorietempels zeichnete Luhmann erst 1984, im Alter von 57 Jahren, in seinem ersten Hauptwerk »Soziale Systeme«: 680 Seiten Basisarbeit in Sachen Systemtheorie, die er später als »Einleitung« bezeichnete. Daneben existieren sechs Bände mit Aufsätzen zum Thema »Soziologische Aufklärung«, vier Bände zum Komplex »Gesellschaftsstruktur und Semantik«, rund 50 Monografien sowie mehrere hundert Aufsätze. Noch kurz vor seinem Tod soll Luhmann zwanzig weitere Bücher in Planung gehabt haben – wahrlich eine »Theorie als Passion«, wie eine Anthologie zu seinem 60. Geburtstag betitelt war.
Gegen den Strom
»Die gängigen wissenschaftstheoretischen Vorschriften, die festlegen, wie man denken muss, sind für mich schwer zu akzeptieren.«
(Luhmann, »Archimedes und wir«, 150)
Erst spät und über Umwege fand der Verwaltungsjurist Niklas Luhmann zur Soziologie. Dann aber dissertierte und habilitierte er nach nur einem Semester Studium und entwickelte seine funktional-strukturalistische Systemtheorie quasi im Alleingang zur fachuniversalen Metatheorie, unter Einbeziehung von Erkenntnissen aus Biologie, Evolutionstheorie, Kybernetik, Maschinentheorie, Informatik und Neurobiologie sowie einer abenteuerlichen Fülle historischer, literarischer und wissenschaftlicher Verweise.
Luhmann ist zur Gilde jener Theorie-Titanen zu zählen, die mit ihrem explosiven Gedankengut vieles vor ihnen Gedachte zum Einfall brachten. Keiner der historischen Großsoziologen, von Max Weber bis Talcott Parsons, entwickelte ein Denksystem, das in Sachen Komplexität und Stringenz an Luhmanns Theorie sozialer Systeme heranreicht. Eher ließe sich Luhmanns Werk mit dem eines Hegel oder Nietzsche vergleichen. Wie Hegel fand Luhmann für seine Zeit ein Weltbild, das er in schillernde Begriffe fasste; wie Nietzsche praktizierte er eine Art »fröhliche Wissenschaft« mit anarchischem Potenzial.
Denn Luhmann ging es nicht um eine Auseinandersetzung mit der soziologischen Tradition, sondern um die Konstruktion eines eigenen Begriffssystems. Mit seiner Systemtheorie schuf er eine universale Theorie, einen Beobachtungsapparat, mit dem alles Soziale erfasst werden kann. Dieser Allround-Ansatz mündet jedoch nicht in einen imperialistischen Anspruch auf Absolutheit. Die Systemtheorie behauptet also nicht, die »einzig wahre« Theorie zu sein. Aber das Abzielen auf eine umfassende Weltbeschreibung schafft eine Autonomie, die der Theorie hohe Flexibilität und große Originalitätsgewinne garantiert.
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