Sucht man in der Soziologie nach historischen Vorläufern Luhmanns, stößt man auf Emile Durkheim (1858-1917). Im Gegensatz zur klassischen verstehenden Soziologie Max Webers fragte Durkheim nicht nach den individuellen Erscheinungen, sondern nach den sozialen Wechselbeziehungen, die ihnen zu Grunde liegen. Dieser holistische, aufs Ganze zielende Ansatz entspricht der Systemtheorie, die ebenfalls das Verhalten des Einzelnen aus dem Zusammenhang sozialer Systeme schließt.
Umweltfreundlich
»Jedes selbstreferenzielle System hat nur den Umweltkontakt, den es sich selbst ermöglicht, und keine Umwelt ‚an sich‘.«
(Luhmann, »Soziale Systeme«, 146)
Eine wesentlich direktere Verwandtschaft besteht zu der Systemtheorie von Talcott Parsons (1902-1979). Parsons setzte voll und ganz auf die Strukturen sozialer Systeme: Seine »strukturell-funktionalistische« Systemtheorie untersuchte zunächst die Struktur eines Systems, um dann die Funktionen zu bestimmen, mit denen sie erhalten werden soll. Die Funktion stand bei Parsons ganz im Dienste der Bestandssicherung des Systems.
Im Rahmen einer Fortbildung lernte Niklas Luhmann 1960/61, damals noch Verwaltungsbeamter, Talcott Parsons und dessen Theorie kennen. Und er entdeckte gravierende Defizite: »Ich hatte die Vorstellung, dass Funktion nicht von Strukturen abhängig, sondern ein auswechselbarer Gesichtspunkt ist.« (Auw, 133) Diese »funktionale Äquivalenz« spielt in Luhmanns Theorie eine wichtige Rolle und begünstigte auch die zahlreichen interdisziplinären Schnittstellen. Ausgehend von der Differenz zu Parsons‘ Systemtheorie vollzog Luhmann seit den 1970er-Jahren einen grundlegenden Wandel in der Systemtheorie: die Umstellung auf das neue Paradigma der selbstreferenziell-geschlossenen, umweltoffenen Systeme.
Mit Luhmanns Theorie ist die vorerst letzte Stufe in der Evolution der Allgemeinen Systemtheorie erreicht. Begonnen hatte sie mit der Unterscheidung Teil/Ganzes, auf die sich noch Emile Durkheim berief: Ein System wurde als geschlossene Ganzheit betrachtet, die aus mehreren Teilen zusammengesetzt ist. Es folgte die Unterscheidung System/Umwelt, maßgeblich ins Leben gerufen von dem Wiener Zoologen Ludwig von Bertalanffy (1901-1972), die Talcott Parsons dann strukturfunktionalistisch auslegte.
Luhmann schließlich setzt auf das Primat von Funktion und Selbstreferenz, mit dem Ziel einer fachuniversalen Theorie, die den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie systemtheoretisch beschreibt – und doch hochgradig selbstreferenziell strukturiert ist.
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