Adine Gemberg
Morphium
Nach dem Tode
Doctor Cäcilie
Covergestaltung: Gunter Pirntke
Digitalisierung: Gunter Pirntke
2017 andersseitig.de
ISBN
9783961182954 (ePub)
9783961182961 (mobi)
andersseitig Verlag
Dresden
www.andersseitig.de
info@new-ebooks.de
(mehr unter Impressum-Kontakt)
Inhalt
Impressum Impressum Covergestaltung: Gunter Pirntke Digitalisierung: Gunter Pirntke 2017 andersseitig.de ISBN 9783961182954 (ePub) 9783961182961 (mobi) andersseitig Verlag Dresden www.andersseitig.de info@new-ebooks.de (mehr unter Impressum-Kontakt)
Morphium
I.
II.
III.
Nach dem Tode
Doctor Cäcilie
I.
II.
III.
In einer Ecke des städtischen Kirchhofes war großer Kehraus. Zusammengetürmt lagen dort welke Kränze und Palmen, alle gleichmäßig graubraun, als wären sie nie bunt und farbenprächtig gewesen. Hie und da sah das schmutzige Ende einer Atlasschleife oder eine schwarz gewordene Goldfranze aus dem Gewirr hervor. Alte Weiber mit braunen, welken Armen und hässlichen, gleichgültigen Gesichtern stachen mit Mistgabeln hinein in den Haufen ehemaliger Gaben der Pietät, oder vielleicht auch nur der Konvenienz. Gedankenlos schleuderten sie die Kränze auf einen Karren, und ein altes, blindes Pferd humpelte mühsam damit fort, um die Abfälle des Friedhofes dahin zu bringen, wo aller Müll und Schutt aus der Stadt abgeladen wurde.
Mariä Himmelfahrt stand vor der Tür; deshalb war es notwendig, den Kirchhof frei und sauber zu machen für die Aufnahme neuer Liebesgaben, neuer Kränze, neuer Palmen.
»Gelobt sei'st du Maria,« sagte eines der alten Weiber und riss die braune Girlande von dem Steinbilde der Heiligen Jungfrau los, um sie zu den übrigen Kränzen zu werfen.
»Und gebenedeite in Ewigkeit, Amen,« fügte die andere Alte hinzu.
Dann grüßten sie beide ehrerbietig und traten zur Seite, um zwei Nonnen Platz zu machen, die mit Blumen und Kerzen erschienen, das Bild der Himmelskönigin zum Feste zu schmücken.
Die Schwestern beugten die Knie vor der roh gearbeiteten Statue und begannen darauf, sie so freundlich und farbig wie möglich heraus zu putzen.
Eine schlanke, bleiche Dame in eleganter Sommertoilette betrat den Kirchhof. Sie grüßte das Marienbild und dann die Schwestern. »Zünden Sie auch für mich eine Kerze an,« sagte sie näher tretend und drückte ein Geldstück in die Hand einer der Nonnen. Darauf nickte sie den Schwestern zu und ging langsam nach der Reihe der Erbbegräbnisse.
Neugierig näherten sich die beiden alten Arbeiterinnen dem Gnadenbilde. »Was mag denn die Frau Geheimrätin für Kummer haben, dass sie eine Kerze opfert,« begann die Eine.
»Wer weiß denn, ob es wegen einer Fürbitte ist; so reiche Leute haben der Allerheiligsten nur zu danken und können nicht genug danken, wenn sie auch alle Tage zehn Kerzen opfern wollten,« meinte die Andere.
»Es ist wohl nur eine Festgabe zu morgen, die Geheimrätin Bremer ist eine liebe, gläubige Seele,« sagte die ältere der beiden Schwestern.
»Nicht einmal Kränze hat sie mitgebracht für die Gräber ihrer Eltern,« bemerkte wieder die Alte, der die freundliche Äußerung der frommen Schwester durchaus nicht zu gefallen schien.
Ja, die reichen Leute haben so ihre besonderen Moden,« stimmte die andere Alte ihr bei, »fromm nennt man sie doch, wenn sie auch viel weniger thun als Andere, denen es sauer genug wird.«
»Die Fürsprache der Heiligen ist mehr wert als Gaben und Opfer,« verwies die jüngere der beiden Nonnen in strengem Tone. Darauf verließ sie mit ihrer Gefährtin den Kirchhof.
Die alten Weiber rafften mit ihren Mistgabeln eine zweite Karre voller Kränze zusammen; die Geheimrätin Bremer ging an ihnen vorbei und ließ sich müde und langsam auf einer kleinen Bank nieder, die zur Seite von zwei, mit schwarzen Granitplatten gedeckten Gräbern aufgestellt war.
»Das Andenken der Gerechten bleibt im Segen.« – Mit Goldbuchstaben war dieser Spruch in die glänzend schwarze Steinplatte eingemeißelt. Als unbesoldeter Stadtrat hatte der Mann, dessen Leib hier ruht, gewirkt. In uneigennütziger Weise hatte der umsichtige Leiter eines großen industriellen Unternehmens seine Arbeitskraft in die Dienste seiner Mitbürger gestellt, nachdem er die eigenen Geschäfte in die Hände seines Sohnes gelegt hatte. Als er dann heimging, um an der Seite seiner vorangegangenen Gattin von den Werken des Lebens auszuruhen, erfuhr man, dass er in seinem Testamente fast alle wohltätigen Anstalten seiner Vaterstadt mit Legaten bedacht hatte. Nun hatten ihm die dankbaren Mitbürger den Denkstein gesetzt, auf dessen flimmernder Schrift die Blicke der einzigen Tochter sinnend ruhten. Die untergehende Sonne warf einen rötlichen Schein über ihr durchsichtig blasses Gesicht. Langsam hob sie die breiten dunklen Lider, die Augen entschleierten sich nur zum Teil, halb blieben die Lider über den unnatürlich weiten Pupillen liegen, was dem ganzen Gesichte etwas unbeschreiblich müdes, krankes gab. Sie richtete dann ihre Blicke gerade auf den untergehenden glutroten Sonnenball, aber trotz des scharf einfallenden Lichtes zogen sich die Iris nicht zusammen, sondern blieben weit und dunkel geöffnet, wie bei manchen Blinden.
Langsam stellte sie die Füße auf den Rand von ihres Vaters Grab, lehnte sich zurück in der bequem geschweiften Bank und atmete mit Genuss die von Blütenduft durchtränkte Luft des Sommerabends.
Eine himmlische Ruhe war um sie her. Duft, Wärme, Licht und Frieden. Wohin das Auge sah, waren herrlich gepflegte Blumen, freundlich schimmernde Steine mit Goldschrift und Kränzen bedeckt. Die Vögel zwitscherten in den Kronen der alten Bäume, es war so schön und so still an der Stätte des Todes, wie es selten da ist, wo das Leben mit all seinen Rechten noch herrscht.
Wie ein Gebet ging der Hauch des Windes durch Blumen und Blätter. Die scheidende Sonne verklärte den Garten des Herrn. Alle Inschriften flammten und leuchteten auf, auch die auf dem Grabe des alten Stadtrates: »Das Andenken der Gerechten bleibt im Segen.«
Mit nervöser Hast sah die junge Frau um sich her. Sie war allein, ganz allein mit den Toten. Ein befriedigtes Lächeln zeigte sich einen Augenblick auf ihrem Gesicht. Das gab ihren traurigen müden Zügen eine eigenartige Schönheit.
Sie hatte aus der Tasche ihres Kleides ein kleines schwarzes Etui und ein fest verkorktes Fläschchen genommen. Mit stiller, tief innerlicher Befriedigung sah sie auf den Inhalt des Fläschchens, der wasserhell und ganz unschuldig aussah. Nur einige kleine weiße Crystalle, die nicht ganz aufgelöst darin schwammen, zeigten, dass es eine starke Morphiumlösung war. Dieser kleine, so schwer zu erlangende Vorrat bildete einen überaus kostbaren Besitz für die junge Frau, an dessen Anblick sie sich erfreute und berauschte, ehe sie sich entschloss, das Fläschchen zu öffnen.
Langsam füllte sie die kleine Spritze – fünf Strich, – sechs Strich – nein, es war nicht möglich zu widerstehen, sie zog, bis die Glasröhre voll war. Dann verkorkte sie erst sehr sorgfältig das Fläschchen und überzeugte sich, dass der Verschluss wasserdicht war. Ein verlorener Tropfen war ja unersetzlich.
Vorsichtig schob sie das Kleinod in die Tasche des Kleides zurück. Erst als es da in Sicherheit war, steckte sie mit energischem Druck die Nadel auf das kleine Instrument. Ihre Hände zitterten dabei, teils in der Vorfreude des zu erwartenden Genusses, teils in der Schwäche, in der das Bedürfnisse nach diesem Genuss beruht.
Sie schob den Ärmel ihres Kleides vom Handgelenk zurück. Ein Leinwandstreifen wurde sichtbar. Sie riss ihn rasch los. Der kleine Verband bedeckte eine breite, wenn auch nicht tiefe Wunde, die durch den Morphiumgebrauch entstanden war. Seit Jahren bedurften die kranken Nerven des anregenden Mittels, und um die Schönheit ihrer Arme nicht zu opfern, hatte sie diese eine Stelle ganz preisgegeben. Der misshandelte Körperteil wehrte sich zwar durch Schmerzen und anhaltende Eiterung gegen das ihm aufgezwungene Gift, aber schließlich wurde die Stelle doch ziemlich unempfindlich.
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