»Es ist ein vortrefflicher charaktervoller junger Mann«, setzte der Pfarrer hinzu, »so wohlerzogen, so gutmütig. Aber er langweilt sich natürlich etwas hier auf dem Lande.«
»Bringen Sie ihn zu uns, Herr Abbé!« sagte der Baron, »vielleicht können wir ihm etwas Zerstreuung bieten.«
Dann sprach man von anderen Dingen.
Als man im Salon den Kaffee eingenommen hatte, bat der Priester um die Erlaubnis, eine kleine Promenade im Garten machen zu dürfen; er habe die Gewohnheit, sich nach der Mahlzeit etwas Bewegung zu verschaffen. Der Baron begleitete ihn. Sie gingen langsam längs der weißen Facade des Schlosses, kehrten wieder um und begannen ihren Spaziergang aufs Neue.
Ihre Schatten, der eine mager, der andere rund und wie ein flacher Pilz, folgten ihnen bald, bald eilten sie ihnen voraus, je nachdem sie das Mondlicht im Rücken oder vor sich hatten. Der Pfarrer rauchte eine Art Zigarette, die er aus der Tasche gezogen hatte. Er setzte den Nutzen derselben dem Baron in der freien Art der Leute vom Lande auseinander: »Es befördert die Verdauung, da ich oft an starken Blähungen leide«, sagte er.
Dann stand er plötzlich still und sagte, den klaren Sternenhimmel betrachtend:
»Man wird doch niemals müde, das anzuschauen.« Hierauf kehrte er zurück, um sich von den Damen zu verabschieden.
*
Am nächsten Sonntag begaben sich die Baronin und Johanna von einer Art zarter Rücksicht auf den Pfarrer getrieben, zur Messe nach Etouvent.
Nach der Kirche warteten sie auf ihn, um ihn für den nächsten Donnerstag zum Frühstück einzuladen. Er kam Arm in Arm mit einem hochgewachsenen elegant gekleideten jungen Mann, der ihn vertraulich unter den Arm genommen hatte, aus der Sakristei. Sobald er die beiden Damen bemerkte, rief er mit dem Ausdruck freudiger Überraschung:
»Das trifft sich ja herrlich! Gestatten die Damen, Ihnen unsern Nachbar, Herrn Vicomte de Lamare vorzustellen.«
Der Vicomte verbeugte sich höflich und versicherte, dass es schon lange sein Wunsch gewesen sei, die Bekanntschaft der Damen zu machen. Hierauf begann er in geschickter Weise die Unterhaltung und erwies sich dabei als ein Mann, der weiß, was sich gehört. Er hatte jenes angenehme Äussere, von dem die Frauen so gern träumen und dem niemand gram sein kann. Schwarze wohlgepflegte Haare umrahmten seine gebräunte glatte Stirn; dichte Augenbrauen, so regelmässig, als seien sie gemeiselt, überschatteten seine zärtlich blickenden, tiefliegenden dunklen Augen, bei denen das Weiße einen leichten Schimmer von Blau zeigte.
Seine buschigen langen Wimpern verliehen dem Blick jene leidenschaftliche Sprache, die in der Gesellschaft die älteren Damen verwirrt und die Backfische, die noch im kurzen Kleide sind, in die höchste Extase versetzt.
Der sprechende Ausdruck dieses Blickes ließ auf tiefe Gedanken schliessen und verlieh auch gleichgültigeren Worten in seinem Munde eine gewisse Bedeutung.
Der üppige glänzende weiche Schnurrbart verbarg eine etwas zu breite Lippe.
Man trennte sich nach vielen höflichen Redensarten.
Zwei Tage später machte Herr de Lamare seinen ersten Besuch.
Er kam gerade, als man eine Gartenbank besichtigte, die am Morgen unter der großen Platane gegenüber den Fenstern des Salons aufgestellt war. Der Baron meinte, dass man eine ähnliche unter der Linde, der Gleichheit wegen, aufstellen müsse; aber seine Frau, der alle Symmetrie verhasst war, wollte das nicht zugeben. Der Vicomte, um seine Ansicht befragt, stellte sich auf Seite der Baronin.
Hierauf sprach er von der Umgegend, die er sehr »pittoresk« nannte; er habe bei seinen einsamen Spaziergängen schon ganz herrliche »Szenerien« gefunden. Dabei traf sein Blick hin und wieder wie zufällig Johannas Augen, und unwillkürlich fühlte sich diese jedes Mal seltsam bewegt. So kurz auch nur dieser Blick war, so lag doch eine ganze Welt von Bewunderung und hell entfachter Zuneigung in ihm.
Der im vergangenen Jahre verstorbene Vater des Herrn de Lamare hatte zufällig einen intimen Freund des Herrn de Cultaux gekannt, dessen Tochter die Baronin war. Die Entdeckung dieser Tatsache brachte natürlich das Gespräch auf eine Menge von Bekanntschaften, Ereignissen und endlosen Verwandtschafts-Verhältnissen. Die Baronin machte geradezu Gewalt-Märsche auf dem Gebiete der Genealogie; sie zählte den halben Adel Frankreichs in auf- und absteigender Linie auf, ohne jemals den Faden zu verlieren.
»Sagen Sie mir, Vicomte, haben Sie ’mal von den Saunoy de Varfleur gehört? Der älteste Sohn Gontram hatte ein Fräulein de Coursil, von den Coursil-Courville, geheiratet, und der jüngere eine Cousine von mir, ein Fräulein de la Roche-Aubert, welche mit den Crisanges verwandt war. Herr de Crisange war ein intimer Freund meines Vaters und muss auch den Ihrigen gut gekannt haben.«
»Ganz recht, meine Gnädigste! War das nicht der Herr de Crisange, der ausgewandert ist und dessen Sohn sich zu Grunde richtete.«
»Eben der. Er hatte um die Hand meiner Tante nach dem Tode ihres ersten Mannes, des Grafen d’Eretry, angehalten; aber sie wollte ihn nicht nehmen, weil er schnupfte. Bei der Gelegenheit fallen mir die Viloises ein; was mag aus ihnen geworden sein? Sie verliessen die Touraine um das Jahr 1813 in Folge eines Schicksalsschlages. Sie wollten sich in der Auvergne niederlassen; aber ich habe seitdem nie wieder von ihnen gehört.«
»So viel ich weiß, starb der alte Marquis an den Folgen eines Sturzes mit dem Pferde. Von seinen beiden Töchtern heiratete die eine einen Engländer, die andere einen gewissen Bassole, einen Kaufmann, dessen Reichtum sie, wie man sagt, bestochen haben soll.«
So lebten allmählich alle Namen und Erinnerungen aus der Jugendzeit im Laufe der Unterhaltung wieder auf. Und die Heiraten dieser Familien gewannen in ihren Augen eine Bedeutung wie die wichtigsten Ereignisse. Sie sprachen von Leuten, die sie nie gesehen hatten, als wären es alte Bekannte gewesen. Und diese Leute drüben in anderen Gegenden sprachen gewiss von ihnen in derselben Weise. Man fühlte sich aus der Ferne zu einander hingezogen, wie Freunde und Verwandte; und das alles aus dem einen Grunde, weil man demselben Stande, derselben Gesellschaftsklasse angehörte und dasselbe Blut in seinen Adern fühlte.
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