Alice Frontzek
Der Abt vom Petersberg
Historischer Kriminalroman
Es hat sich nichts geändert … Erfurt 1451. Auf dem Höhepunkt der Reformbewegung besucht Kardinal Nikolaus von Kues das Benediktinerkloster auf dem Erfurter Petersberg. Lange schon schwelt der Kampf zwischen den Ratsherren, den reformtreuen und den abtrünnigen Geistlichen, um Unzucht und Missstände in Stadt und Kirche. Das Laster aufzudecken, macht sich der aufstrebende Erfurter Mönch Günther von Nordhausen zur Aufgabe, der durch seinen Bruder Martin, Mitglied des städtischen Rates, unterstützt wird. Dabei bedient er sich nicht ganz fairer Mittel und unterschätzt das Gespür des jungen Mönches Werner aus dem Kloster Bursfelde, der seinerseits ein gefährliches Geheimnis hütet – die einvernehmliche Liebe zu einer Frau. Gelingt ihm trotzdem der Aufstieg? Der »Abt vom Petersberg« ist ein Sittengemälde der Gepflogenheiten und Zustände einer mittelalterlichen Handels- und Universitätsstadt. Glaubenssätze und Religiosität werden genauso beleuchtet wie das weltliche Leben, Liebe und dunkle Machenschaften.
Die Autorin Alice Frontzek, geboren 1966 in Berlin, wuchs in der Nähe der niedersächsischen Stadt Hildesheim auf. Nach einem Wirtschafts- und Übersetzerstudium und einigen Jahren Berufserfahrung als Schulungsleiterin einer großen amerikanischen Fluggesellschaft zog sie mit ihrem Mann ins thüringische Erfurt, wo sie freiberuflich als Englisch- und Deutschdozentin, Stadtführerin und Übersetzerin arbeitet. 2009 begann sie, ihre Stadtrundgänge zu veröffentlichen, schrieb als freie Autorin über Thüringer Spezialitäten und veröffentlichte ihren ersten historischen Roman. Als Mutter von vier Kindern und Oma einer Enkeltochter ist sie mittlerweile in Thüringen verwurzelt und widmet sich der Regionalliteratur.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Susanne Tachlinski
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung der Bilder von: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rogier_van_der_Weyden_017b.jpg
und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erfurt-1740-Glaesser.jpg
ISBN 978-3-8392-6716-5
Ich bedanke mich bei meinen »Probelesern« Helma von Kieseritzky und Renate Stoff für ihre hilfreichen Kommentare und ganz besonders bei Werner Anisch, auf dessen Initiative dieses Buch überhaupt erst entstanden ist!
1437
Nikolaus von Kues empfahl sich, tupfte sich mit einer weißen Stoffserviette die Mundwinkel und verließ den großen Speiseraum ihrer Unterkunft. Die vier anderen Gesandten sahen ihm hinterher, blieben aber und diskutierten weiter über die bevorstehende Schiffsreise, die Wetterprophezeiungen und mögliche Widrigkeiten auf dem Weg und versuchten sich in Prognosen ihres Delegationserfolgs. Die Reise ging von Venedig nach Konstantinopel. Ihr Auftrag lautete, die byzantinische Kirche mit der römischen Kirche gegen die Osmanen zu vereinen. Papst Eugen IV. hatte sich wirklich um ihn bemüht, das musste Nikolaus zugeben. Er war auf dem Konzil von Basel, der Versammlung von Bischöfen und anderen hohen Geistlichen zum Zweck der Erörterung und Entscheidung theologischer und kirchlicher Fragen, im vergangenen Jahr sicher einer der Hauptredner zum Nachteil der päpstlichen Autorität gewesen und somit auch das Zünglein an der Waage gegen Eugens Interessen. Sein Standpunkt war es deshalb nicht, der ihn zum Gesandten machte, sondern seine Redekunst und Überzeugungskraft, auf die es nun an ihrem Reiseziel ankam. Eugen setzte auf ihn, den Deutschen, auf seine italienischen Kardinäle Giuliano Cesarini und Tommaso Parentucelli und die Griechen Erzbischof Basilius Bessarion und Georgius Gemistos, genannt Plethon, der seine Jugend in Konstantinopel verbracht hatte und sich gut an ihrem Reiseziel auskannte.
Nikolaus war müde. Es war schon lange dunkel. Erst heute hatten sie das große steinerne Haus im Hafen Venedigs erreicht, das eigens für ihre Delegation vorbereitet worden war. Der Weg von Rom nach Venedig verlief über gepflasterte Straßen, aber das Geschaukel der Kutschen, die für Anfang Mai ungewöhnliche Wärme und das Gefühl, ständig eine Unterhaltung führen zu müssen, hatten ihn angestrengt. Er wollte sich schlafen legen, seine Glieder strecken und seine Argumente noch einmal im Kopf hin und her bewegen. Er stieg die breite Steintreppe hinauf. Die Stufen waren flach und bequem zu nehmen. Er holte den großen eisernen Schlüssel hervor, den ihm der Hausverwalter gegeben hatte, steckte ihn in das verzierte gusseiserne Schloss und betrat das Zimmer zum ersten Mal. Seine lederbezogene Holzkiste mit der Kleidung, ein paar Büchern, einem Fernrohr, einer Schreibschatulle und seinem Essbesteck stand bereits neben dem Tisch am Fenster. Rechts davon befand sich ein großes, gemütlich aussehendes Bett mit grünem Leinenbezug und einem gleichfarbigen Bettvorhang. Er ging zum Fenster und zog den samtenen Stoff zurück. Draußen war nicht mehr viel zu sehen außer den Lichtern der Talglaternen an den Stegen des Hafens, an den Schiffen und am Leuchtturm in der Ferne. Er sah auf die Straße vor seinem Fenster, auf der vereinzelte Personen liefen und über die gerade eine Katze vor einem bellenden Hund flüchtete. In seinem Zimmer befand sich an einem Haken eine kleine Laterne, in der eine Kerze brannte. Es klopfte.
»Ja!«, sagte Nikolaus mit seiner tiefen Stimme.
Die Tür wurde geöffnet. Ein Diener des Hauses erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei und er noch etwas brauche.
»Nein, danke. Doch, halt!« Kues machte eine nachdenkliche Geste, indem er seinen Daumen und den Zeigefinger an sein Kinn legte. »Eine Karaffe vom roten Muskateller bringe Er mir noch und etwas warmes Wasser in einer Wasserkanne samt Waschschüssel.« Er wollte sich vor der Reise auf dem Meer vom heutigen Straßen- und Pferdestaub befreien. Als er wieder für sich war, kleidete er sich aus und betrachtete sich im Spiegel auf dem Tisch. Er war nicht mehr ganz jung mit seinen 36 Jahren, aber groß und kräftig, hatte nur einen kleinen Speckansatz am Bauch, sonst dominierten Muskeln seinen Körper. Er las, betete und studierte nicht nur, er ritt und übte sich auch im Fechten. Hin und wieder, wenn niemand in der Nähe war, verfiel er auf seinen Spaziergängen durch Wald und Flur oder auf Fußwegen durchaus auch einmal in einen Laufschritt, den er mit schnellem Rennen abschloss. Morgens und abends machte er gymnastische Körperübungen, benutzte auch jedes Mal einen gefüllten Bier- oder Weinkrug als Gewicht, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Nun nahm er sich Zeit zum Meditieren. Wie immer setzte er sich dazu in den Schneidersitz auf ein himmelblaues Tuch, das er dafür aus seinem Koffer nahm und auf den Boden legte, schloss seine Augen, faltete die Hände zum Gebet und atmete ruhig ein und aus. Dabei konzentrierte er sich auf den Raum in seinem Körper, auf den Raum, den sein Körper im Raum einnahm und auf den Raum im unendlichen Raum. Er befahl sich, zu einem reinen Gedanken zu werden in der Schwärze des Universums. Eins mit Gott. Denn am Anfang war das Wort. In der Thora hieß es sogar noch klarer: Am Anfang war der Gedanke. Und immer wenn sich ihm ein Gedanke aufdrängte, ließ er ihn vorbeiziehen. So verweilte er mindestens eine halbe Stunde. Das Läuten des Kampanile zu jeder Viertelstunde nahm er wahr und beschränkte seine Zeit, auch wenn er gewöhnlich viel länger im Nichts verweilen konnte.
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