Nele Sickel - Nachbarn

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Die Erde im Jahr 2320. Giftige Luft und verheerende Stürme haben die Menschheit unter gläserne Kuppeln getrieben. Im Gedränge der Stadt sucht die siebzehnjährige Bren ihre Schwester Cay. Dabei hört sie Gerüchte von Entführungen, einem mysteriösen Club und uralten Legenden. Bren schenkt ihnen keine Beachtung. Doch dann taucht Cay wieder auf – und sie ist nicht mehr dieselbe.

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Nele Sickel

Nachbarn

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erschienen im Talawah Verlag 1 Auflage 2020 Talawah Verlag Text Nele Sickel - фото 1

erschienen im Talawah Verlag

1. Auflage 2020

© Talawah Verlag

Text: Nele Sickel

Umschlaggestaltung: Jaqueline Kropmanns

https://www.jaqueline-kropmanns.de/ -

Lektorat & Korrektorat: Jessica Weber

Satz: Svenja Hawkins

unter Verwendung von:

© Depositphotos

ISBN: 978-3-947550-562

Für meine Schwestern

Lilja, Dora und Kaja

Als sie das Wummern hörte richtete Bren sich auf und sah zur Seite Neben ihr - фото 2

Als sie das Wummern hörte, richtete Bren sich auf und sah zur Seite. Neben ihr grub sich silberglänzender Stahl in die schwarze Erde. Viel zu schnell bewegte sich der Pflug in ihre Richtung. Wer zur Hölle hatte … Bren brachte nicht einmal den Gedanken zu Ende. Ehe sie sich’s versah, war sie auf den Beinen und sprintete los. Aufgewirbelter Staub machte ihren Hals trocken und brannte in ihren Augen. Erdbrocken streiften ihre Glieder. Am Rande ihres Sichtfelds funkelte bereits das Silber. Sie kniff die Augen zusammen, gefasst auf Blut und Schmerz, und machte gleichzeitig einen Hechtsprung nach vorn. Für eine Sekunde war da nichts, nur Luft. Dann prallte der Boden gegen ihren Brustkorb, Arme und Beine.

Kurz harrte Bren so aus, der Länge nach hingestreckt, jede Faser ihres Körpers angespannt, aber sie blieb heil. Eine Sekunde, dann zwei. Immer noch Krach, kein Schmerz. Die mörderischen Klingen mussten an ihr vorbeigezogen sein.

Da öffnete sie die Augen und kam wieder auf die Füße. In der Nähe lagen und standen andere Arbeiter, die genau wie sie die Flucht ergriffen hatten. Und der voll automatisierte Pflug wummerte immer noch ohne Ziel und ohne Fahrer über das Kartoffelfeld.

Bren richtete ihren Blick auf die gläserne Kuppelwand, die sich am anderen Ende des Feldes gen Himmel streckte und so die Erde, die Pflanzen und vor allem die Menschen vor der tödlichen Marsatmosphäre schützte. Wenn der Pflug nicht anhielt, würde er dagegen prallen, und Bren bezweifelte, dass das Glas das aushalten würde. Sie mussten etwas tun. Um sie herum starrten Menschen fassungslos auf das eigensinnige Fahrzeug. Niemand war in Bewegung, anscheinend erkannte niemand, was geschehen würde.

Also rannte Bren los. Für ein so schweres Arbeitsgerät hatte der Pflug ein beachtliches Tempo drauf. Die aufgewühlte Erde brach immer wieder unter ihren Füßen weg. Ihre Knöchel bogen sich. Die Staubwolke wurde dichter. Stimmen. Hinter ihr begann jemand zu schreien. Bren strauchelte, raffte sich auf, warf sich weiter vorwärts. Sie hustete heftig, aber sie holte auf.

Der Pflug musste schon zwei Drittel seiner Strecke bis zur Kuppel zurückgelegt haben, da erreichte sie ihn endlich. Sie presste die Zähne zusammen und stürzte sich ein letztes Mal nach vorn. Mit beiden Händen packte sie die Fahrzeugverstrebung. Sie riss die Arme an ihre Brust, zog sich hoch. Ihre Füße fanden Halt auf den Stufen vor der Fahrertür. Dort klammerte Bren sich fest. Mit dem Unterarm rieb sie sich hektisch den Staub aus den Augen, dann blickte sie durch die Scheibe in der Tür ins Fahrzeuginnere.

Der Knopf für die Bremse war der blaue ganz links. Sie musste herankommen. Nur wie? Bren rüttelte an der Tür, fand sie aber wie erwartet verschlossen. Und eine Zugangsberechtigung hatte sie als Pflanzarbeiterin nicht. Ein Blick nach vorn bestätigte ihr, was das stete Rattern der Räder und die lauter werdenden Schreie in ihrem Rücken längst verraten hatten: Keine Zeit mehr für einen Plan B.

Kurzentschlossen löste Bren eine ihrer Hände von der Fahrzeugverstrebung. Sie winkelte den Ellenbogen an und stieß ihn kräftig gegen die Scheibe. Es knackte. Stechender Schmerz fuhr ihren Oberarm hinauf bis in die Schulter. Ihr wurde schwindlig, aber das Glas blieb heil. Also kniff sie Augen und Lippen zusammen und stieß erneut zu. Der Schmerz kehrte umso heftiger zurück und diesmal klirrte es.

Eilig riss Bren die Augen wieder auf, lehnte sich nach vorn, streckte den Arm in die von Scherben gerahmte Öffnung und angelte nach dem blauen Knopf. Sie hatte ihn fast, rutschte ab, streckte sich noch einmal. Dann presste sie mit aller Kraft dagegen.

Der Pflug schnaufte laut. Er zitterte. Seine Räder schrien. Das Wummern erstarb. Ein kräftiger Ruck ging durch das gesamte Fahrzeug. Seine Wucht warf Bren über Bord und zum zweiten Mal an diesem Tage knallte sie der Länge nach auf den Boden.

Stille.

Bren spürte ihren Arm ziehen und pochen, spürte den dumpfen Schmerz, der ankündigte, dass sie sich bei ihrer Landung etliche blaue Flecken zugezogen hatte, spürte die Nässe der Erde in ihrem Gesicht. Sie rollte sich auf die Seite und hörte sich selbst stöhnen, ehe sie ihre Augen wieder aufzwang. Keine zwei Meter von ihr fing sich Scheinwerferlicht in der Oberfläche der Glaskuppel. Sie war so nah, dass Bren die Linien und Muster im roten Sand dahinter ausmachen konnte.

In der Kuppel selbst gab es keine Linien oder Muster zu entdecken. Keine Risse. Sie war heil geblieben.

Das kann nicht dein Ernst sein Ich muss arbeiten Rik Bren stand im Büro - фото 3

»Das kann nicht dein Ernst sein. Ich muss arbeiten, Rik!« Bren stand im Büro ihres Supervisors, hielt den professionell verbundenen rechten Arm an ihren Oberkörper gepresst und funkelte ihr Gegenüber auf seinem protzigen Drehstuhl entgeistert an.

»Vergiss es!« Rik schüttelte den Kopf und fuhr sich mit einer Hand durch sein dünnes, blondes Haar. »Der Bruch und die Schnittwunden heilen auch so. Ich genehmige keine teure Operation, um zu richten, was von allein abheilt.«

»So kann ich aber nicht arbeiten.«

»Da sind wir einer Meinung.« Er beugte sich nach vorn und über sein Personal-Pad. Damit rief er einige Daten ab, ehe er wieder zu Bren aufsah. »Du bist drei Monate und zwei Tage hier. Deine Schicht endet ohnehin in einem Monat. Diesmal nimmst du dir einfach ein paar Wochen mehr Urlaub und kehrst dann frisch und erholt zu uns zurück.« Er lächelte. Es war weder aufrichtig noch unfreundlich.

Bren stöhnte frustriert. »Scheiß auf den Urlaub, Rik! Ich komme hier gut klar. Besser als manch anderer und das weißt du. Wir stünden überhaupt nicht hier, wenn nicht irgendein Vollidiot den Pflug falsch abgestellt hätte. Ich habe mir den Arm nicht gebrochen, weil ich dumm oder tollpatschig wäre. Ich habe da unter der Glasglocke einer Menge Leute den Arsch gerettet!«

Rik nickte. »Und wir alle sind dir sehr dankbar dafür. Wolltest du das hören?«

»Nein, verdammt! Ich will die OP. Ich kann nicht auf die Erde zurück, ich brauche das Geld.«

»Du verdienst in der nächsten Schicht wieder welches. Das hier ist kein Rauswurf, du musst nur erst fit werden.« Er lächelte und diesmal glaubte Bren, dass es väterlich aussehen sollte.

»Ihr schuldet mir was«, knurrte sie. »Ich hab das für alle getan, ihr schuldet mir was!«

Darauf änderte sich Riks Miene. Die geduldige Herablassung verschwand und machte einem Anflug von Ärger Platz. Rik richtete sich in seinem Stuhl zu voller Größe auf. Er straffte seine Schultern, legte beide Handflächen vor sich auf der Tischplatte ab und sah Bren direkt in die Augen.

»Du vergisst wohl, dass wir dich genau dafür bezahlen. Der Weltraum ist gefährlich, Liebes, und deshalb muss jeder, ich wiederhole: jeder, der hier oben arbeitet, auch ganz besondere Risiken eingehen. Für nichts anderes verdient ihr euch hier eine goldene Nase, von der jeder Erntehelfer unten in der guten alten Heimat nicht einmal zu träumen wagt. Wir schulden dir gar nichts, Bren. Du hast getan, wofür du bezahlt wirst. Gut gemacht! Jetzt geh nach Hause und komm zurück, wenn du wieder arbeiten kannst.«

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