Ich war so glücklich über meine Stimmungsaufhellung, dass ich am liebsten weiter herumgealbert hätte. Aber ich riss mich zusammen. Jetzt ging es um Business.
»Hat diese Frau Berger denn schon verraten, worum es bei ihrem Auftrag geht?«, fragte ich.
Erwin schüttelte den Kopf. »Nicht so richtig. Sie braucht Hilfe, hat sie gesagt, und dass es um jemanden geht, den sie schon lange nicht mehr gesehen hat.«
»Also ist alles möglich: von einem Vater, der kurz nach ihrer Geburt das Weite gesucht hat, bis zum entflogenen Wellensittich«, erwiderte ich.
Dennis stand auf und wandte sich der Tür zu, die ins Callcenter führte. »Ich werde dann mal.« Grinsend hob er beide Daumen. »Toi, toi, toi. Ihr macht das schon.«
Tür auf, Dennis weg.
»Was meinst du – soll ich mal Kaffee machen?«, fragte ich. Erwin zuckte mit den Achseln. »Könnte nicht schaden.«
Wie man sieht: Weder er noch ich hatten auch nur die geringste Vorstellung, wie man sich als Detektiv verhielt, wenn Kundenbesuch anstand. Handbücher zu diesem Thema gab es meines Wissens nicht. Detektiv werden für Dummies – das wäre doch mal eine Idee, oder? In den alten Hollywoodschinken hatte der hartgesottene Privatermittler immer eine Pulle Whisky aus seiner Schreibtischschublade gezaubert, um die obligatorische Dame in Nöten zu beruhigen. Das erschien mir irgendwie nicht angemessen. Außerdem waren wir ja auch nicht in Schwarz-Weiß.
Bereits wenige Minuten später ging die Türglocke. Praktischerweise verfügte dieses Büro über eine Tür zum Parkplatz, und Erwin hatte dort ein glänzendes Schild mit der Aufschrift Detektei Schneider angebracht.
Als ich öffnete, sah ich mich einer Dame von circa Mitte fünfzig gegenüber, die mich von Kopf bis Fuß musterte.
»Bin ich hier richtig? Ich habe einen Termin mit einem Herrn Schneider«, sagte sie.
Ich widerstand dem Impuls, auf das Schild zu zeigen, und bat sie mit einer Geste hinein.
»Frau Berger, nicht wahr? Schönen guten Morgen, Sie sind hier absolut richtig. Herr Schneider erwartet Sie bereits. Mein Name ist Luchs.«
Sie ging an mir vorbei ins Büro, und der zweifelnde Ausdruck in ihrem Gesicht verstärkte sich noch. Ihr Blick flog über den Teppich und die abgewetzten Ledersessel. Erwin tauchte hinter der Grünpflanzenwand auf und streckte die Hand aus.
»Erwin Schneider, guten Morgen.«
»Herr Schneider.« Frau Berger schüttelte ihm beinahe geistesabwesend die Hand und sah an ihm vorbei auf die Glasscheibe, durch die man ins Callcenter und somit auf die eifrig telefonierenden Damen gucken konnte.
Ach du Schande – wir Idioten hatten vergessen, die Jalousie zu schließen!
Mit einem beherzten Schritt war ich am Fenster und stellte die Lamellen auf blickdicht. Dann drehte ich mich zu unserer Besucherin um. »Wie Sie sehen, arbeiten wir Tür an Tür mit einem Dienstleister, an den wir zuweilen Rechercheaufträge weiterreichen. Uns fehlt meist die Zeit, stundenlang am Telefon zu hängen.«
Innerlich dankte ich auf Knien der Tatsache, dass Wände, Fenster und Türen schalldicht waren. Ich wollte mir erst gar nicht Frau Bergers Gesicht vorstellen, wenn sie gewahr wurde, welcher Art die Dienstleistungen der Damen waren, auf die sie einen kurzen Blick erhascht hatte. Ziemlich unwahrscheinlich, dass man bei Recherchetätigkeiten laut stöhnte und versaute Dinge sagte.
Erwin warf mir einen erleichterten Blick zu. »Aber nehmen Sie doch bitte Platz, Frau Berger. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
Zögernd und beinahe widerwillig trennte sie sich von ihrem schützenden Kleidungsstück, das Erwin erst auf einen Bügel – Doris dachte wirklich an alles – und dann an einen der rustikalen Garderobenhaken beförderte.
»Ein Käffchen für Sie?«, fragte er dann.
Sie nickte und ließ sich von Erwin zu einem Sessel geleiten. Ich goss zwei Tassen Kaffee ein – auf dem Tisch stand schon alles bereit. Mir selbst nahm ich ein Glas Wasser.
Dann setzte ich mich zu den beiden und nahm Block und Stift zur Hand. Miss Moneypenny wäre dann so weit.
Kerzengerade saß Frau Berger auf der Sesselkante, die Knie unter ihrem schmalen Kostümrock eng zusammengepresst. Ihre Kleidung war bieder, aber keineswegs billig, ihre bereits ergrauten Haare tadellos frisiert. Schräg oberhalb der linken Braue hatte sie ein kleines, dunkles Muttermal. Es wirkte wie ein verirrter Schönheitsfleck, der vom Wangenknochen aus – wo er eigentlich hingehörte – einfach mal frech auf Wanderschaft gegangen war.
Nervös nippte sie an ihrem Kaffee; Zucker und Milch hatte sie nicht angerührt.
Erwin ließ ihr Zeit, sich zu sammeln, dann fragte er in seinem sanftesten, vertrauenerweckendsten Exbullen-Bariton: »Was führt Sie zu uns, Frau Berger?«
Unsere Besucherin stellte die Tasse mit einem lauten Klirren auf die Untertasse zurück. Sie atmete tief durch, und die Augen hinter der randlosen Brille füllten sich mit Tränen.
»Die Jutta saugt nicht mehr«, sagte sie.
Wenn man denkt, ein Tag könnte nicht mehr schlimmer werden, kommt bestimmt irgendjemand des Wegs und zieht eine Kleinanzeige aus der Tasche
Ich bin nicht stolz darauf, aber in mir brandete unbändiges Gelächter hoch. Rasch ließ ich meinen Stift fallen, damit ich unter den Tisch kriechen und mein zuckendes Gesicht verbergen konnte. Am liebsten hätte ich in den Teppich gebissen.
Ich meine: Die Jutta saugt nicht mehr?
So ein Satz, in dieser Umgebung? Schlagartig waren mir gut zwei Dutzend Knaller-Gags durchs Hirn geschossen, die natürlich samt und sonders vollkommen unangemessen waren. Unter Callcenter-Kolleginnen – okay. Aber vor den Frau Bergers dieser Welt? Niemals.
Miss Moneypenny wusste, was sich gehörte.
Mein Gesicht brannte, als ich endlich wieder so weit war, mich vernünftig hinzusetzen; höchstwahrscheinlich hatte ich eine knallrote Birne.
Erwin schleuderte mir einen warnenden Blickblitz zu, dann fragte er unsere Besucherin: »Wer ist Jutta?«
Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und schnäuzte sich dezent. »Jutta Dengelmann: meine Freundin. Und Nachbarin. Sie wohnt über mir. Und sie saugt jeden Morgen um Punkt neun die Wohnung. Danach konnte ich immer die Uhr stellen. Seit Jahren. Bis vor drei Wochen.« Sie sah erst Erwin, dann mich flehend an. »Bitte, ich mache mir schreckliche Sorgen um Jutta. Können Sie sie finden?«
»Aber vielleicht ist Frau Dengelmann nur verreist?«, sagte Erwin.
Frau Berger schüttelte heftig den Kopf, aber kein einziges Haar ihrer Beton-Frisur geriet in Bewegung, was mich irgendwie faszinierte. »Jutta würde niemals verreisen, ohne mich zu informieren.«
»Hm«, machte Erwin nachdenklich und runzelte die Stirn. »Sie haben also bei Frau Dengelmann geklingelt, und niemand hat geöffnet?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Oh nein, Gerhard war natürlich da.«
»Und Gerhard ist …?«
»Gerhard Dengelmann, Juttas Gatte. Seit drei Monaten im Vorruhestand.«
Gerhard Dengelmann, Ehemann, krakelte ich auf meinen Block.
»Und der Herr Dengelmann – was hat der Ihnen gesagt, wo Jutta sich aufhält?«, fragte Erwin.
Frau Berger sah uns empört an. »Sie hätte ihn verlassen, stellen Sie sich das mal vor. Dieser unverschämte Kerl. Blafft mich an, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, und knallt mir die Tür vor der Nase zu. Als würde die Jutta das Weite suchen, ohne mir Bescheid zu sagen!« Sie zögerte und fuhr fort: »Und selbst wenn, dann hätte sie sich längst bei mir gemeldet. Seit geschlagenen drei Wochen habe ich kein Sterbenswörtchen von ihr gehört. Da muss was passiert sein, ich bin ganz sicher.«
»Aber er hat Ihnen gesagt, sie habe ihn verlassen?«, wollte Erwin wissen.
Frau Berger nickte. »Die Jutta ist mir abgehauen, wenn Sie es genau wissen wollen, hat er gesagt, und jetzt kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck und lassen mich gefälligst in Ruhe! In einem so unverschämten Tonfall, da ist mit glatt die Spucke weggeblieben. Bumm, war die Tür zu. Dann hat er sie noch einmal aufgerissen und mir hinterhergeschrien: Das Gute daran ist, dass ich Sie jetzt nicht mehr sehen muss, Frau Berger!« Sie schnaufte entrüstet. »Das muss man sich mal vorstellen. Gott, war mir das unangenehm. Wenn das jemand von den Nachbarn gehört hätte! Ich wäre vor Scham im Boden versunken. Wir sind ein ordentliches Haus.«
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