1 ...8 9 10 12 13 14 ...27 Wir gingen weiter und kamen an einer Tür vorbei.
»Das ist mein Arbeitszimmer«, sagte er. »Das gehört nicht zu Ihren Aufgaben.«
Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich mir umgehend vornahm, bei nächster sich bietender Gelegenheit meine neugierige Nase in die verbotene Zone zu stecken. Nicht mein Aufgabenbereich – tss. Das hatte gewiss nicht Gerhard Dengelmann zu entscheiden, was ich als meinen Aufgabenbereich betrachtete.
Wir kehrten zurück ins Wohnzimmer, und er ging zu einem der Fenster, um die Gardinen zurückzuschieben. Dahinter kam eine Balkontür zum Vorschein.
»Hier ist der Balkon«, erklärte er das Offensichtliche. »Zu dieser Jahreszeit nutze ich ihn natürlich nicht.«
Ich spähte an ihm vorbei und entdeckte eine halb überdachte Loggia von der Größe einer handelsüblichen Zweizimmerwohnung. Tja, damit wäre dann auch erklärt, wofür einige der vielen Quadratmeter dieser Wohnung verplempert worden waren: Bad und Balkon.
Mit einer Handbewegung bat er mich zurück in den Sessel, dann schenkte er noch einmal Tee ein.
»Sind Sie eigentlich zeitlich flexibel?«, fragte er.
Ich nickte. »Absolut.«
»Ich würde Sie gern noch etwas fragen«, sagte er, als er mir den kleinen Becher anreichte.
»Nur zu.«
»Warum müssen Sie putzen gehen?«
Okay, das war reichlich neugierig. Das ging ihn mal so gar nichts an. Aber ich wollte ja einen guten Eindruck machen und mich nicht gleich bei der ersten Begegnung als sperrig präsentieren.
»Meine finanzielle Situation ist ein wenig angespannt«, erwiderte ich also. »Dieser Job würde mich deutlich ruhiger schlafen lassen.«
Er nickte wissend, und ich wusste, was er dachte: Die lebt von Hartz IV und will ein paar Kröten nebenher machen, möglichst schwarz.
»Ich werde Ihre Tätigkeit bei mir ordnungsgemäß anmelden, das ist Ihnen hoffentlich klar«, sagte er.
»Selbstverständlich. Davon gehe ich aus. Alles muss seine Ordnung haben.«
Damit hatte er nicht gerechnet, und seine Brauen hoben sich überrascht. »Sie leben nicht vom Staat?«
Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Wie kommen Sie darauf?«
Ich wusste, wie er darauf kam: Ich war zeitlich flexibel, also arbeitslos, und ich brauchte Geld.
»Äh … Ich dachte, weil Sie zeitlich flexibel sind, können Sie ja sonst nicht … äh … arbeiten gehen, oder?«, eierte er peinlich berührt vor sich hin.
»Ich bin Freiberuflerin«, sagte ich.
»Ach wirklich? Darf ich fragen, was Sie machen?«
Herrgott, warum hatte ich ihn nicht einfach glauben lassen, dass ich von Hartz IV lebte? Welcher Teufel hatte mich denn jetzt schon wieder geritten? Jetzt musste ich mir irgendeinen Blödsinn ausdenken, der tunlichst auch noch überzeugend klingen sollte. Aber hätte ich auf die Hartz-IV-Story abgenickt, hätte es wahrscheinlich die Beamtenseele in ihm umgetrieben, ob ich meine Tätigkeit bei ihm auch schön brav beim Jobcenter anmeldete. Ich musste mir schnell etwas ausdenken, womit plausibel war, dass ich zwar nicht arbeitslos war, aber trotzdem frei über meine Zeit verfügen konnte.
Also haute ich das Erstbeste raus, das mir einfiel: »Ich bin Lektorin.«
»Ach, tatsächlich? Interessant. Was macht man als Lektorin denn so?«
Verflucht! Um Zeit zu gewinnen, nippte ich meinen Tee, während ich hastig mein Gehirn nach dem durchforstete, was ich von meiner Freundin Isolde, die ja Schriftstellerin war, über Lektoratstätigkeit wusste. Sie hatte mit solchen Existenzen zu tun, die ihre Texte durchforsteten, damit auch alles gut lesbar und stimmig war, bevor die Druckerschwärze Fakten schaffte. Erst neulich hatte sie mir vom Spleen ihrer Lektorin erzählt, die den Namen Erik notorisch nicht leiden konnte und eine ihrer Figuren in Isoldes neuestem Manuskript unbedingt umbenennen wollte. Viel wusste ich nicht gerade, aber unter den Blinden war der Einäugige stets König. Und wenn er gar keine Ahnung davon hatte, konnte ich mich mit meinem Halbwissen hoffentlich aus der Affäre ziehen.
»Ich bearbeite die Texte von Autoren und Journalisten. Sprachlich, meine ich. Deshalb kann ich meinen Tag frei einteilen.«
»Aha. Hm, hm. Wirklich interessant. Und das reicht nicht zum Leben?«, bohrte er weiter.
Innerlich verdrehte ich die Augen. Verdammt – was wusste ich denn, ob das reichte oder nicht?
»Der Markt ist umkämpft. Es gibt viele freie Lektoren, die ihre Arbeit zu Dumpingpreisen anbieten«, fabulierte ich munter drauflos. »Ich weiß nie, wann ich den nächsten Auftrag ergattere – also weiß ich nie, wie lange ich mit meinem Geld, das ich verdient habe, auskommen muss.«
Tja, dachte ich, als ich sein entgeistertes Gesicht sah, von so etwas hast du als satter Beamter keine Ahnung, richtig? Selbst im Ruhestand kommt monatlich der dicke Batzen aufs Konto geflogen, und du musst dir um deine nächste Miete ganz bestimmt keine Sorgen machen. Ich dagegen … halt, stopp. Reiß dich zusammen, Loretta.
Offenbar steigerte ich mich gerade etwas zu sehr in meine Rolle hinein. Aber einen wollte ich noch drauflegen.
Ich seufzte dramatisch und fuhr fort: »Als wäre das nicht schon nervenaufreibend genug, hat man als Freiberufler ständig das Finanzamt im Nacken. Und ich muss mich selbst krankenversichern, das ist kein Pappenstiel. Ich kämpfe permanent um meine Existenz. Wenn ich bei Ihnen monatlich 450 Euro dazuverdienen könnte, würde mir das schon sehr helfen.«
»Äh, ja … natürlich. Da zählt sicherlich jeder Euro. Dann versuchen wir es miteinander?«
Ich lächelte strahlend. »Von mir aus gern. Aber jetzt hätte ich noch eine Frage.« Auf sein Nicken hin fuhr ich fort: »Leben Sie allein hier?«
»Warum wollen Sie das wissen?« Er musterte mich entschieden misstrauisch.
»Weil es für mich durchaus wichtig ist, wie viele Personen in der Wohnung leben, die ich putze. Eine Person macht weniger Schmutz als mehrere, nicht wahr? Zum Beispiel wird weniger Geschirr benutzt. Ich möchte kalkulieren, wie viel Zeit ich für die einzelnen anfallenden Aufgaben benötige. Vielleicht handelt es sich nur um wenige Minuten mehr oder weniger, aber aufs große Ganze gerechnet, macht es für mich durchaus einen Unterschied.«
»Ich lebe allein hier«, sagte er. »Dies ist ein Einpersonenhaushalt.«
»Und der Keller?«
»Wieso der Keller?«
»Haben Sie nicht regelmäßig Kellerdienst? Der muss doch auch gereinigt werden.«
»Das erledigt ein Unternehmen. Im Keller haben Sie nichts …«, er stockte und räusperte sich. »In den Keller müssen Sie nicht. Ihr Bereich ist ausschließlich diese Wohnung.«
Damit war alles geklärt.
Wir verabredeten uns für den übernächsten Tag um acht Uhr.
Ab Mittwoch war ich also die neue Putzfrau von Gerhard Dengelmann.
»Nirgendwo habe ich Anzeichen dafür gesehen, dass er bis vor Kurzem nicht alleine gewohnt hat«, erzählte ich eine Stunde später Erwin und Dennis, die atemlos lauschten, was ich zu berichten hatte. »Also, zumindest rein äußerlich. Kein Foto von ihr, nichts. Kein Damenmantel an der Garderobe, keine zweite Zahnbürste im Bad, keine Pantoffeln vor dem Bett, das im Übrigen auch nur für eine Person bezogen war. Noch konnte ich natürlich nicht in den Kleiderschrank gucken. Ach so, auf dem Schminktisch im Schlafzimmer lag auch nichts.«
»Und sonst?«, fragte Dennis. »Wie ist er so? Traust du ihm einen Mord zu?«
»Dennis, bleib locker«, erwiderte ich. »Noch haben wir nichts weiter als Frau Bergers Verdächtigungen. Vielleicht hat Jutta ihn ja tatsächlich verlassen, und er hat einfach nur alles aus der Wohnung geräumt, was ihn an sie erinnerte. Oder er hat irgendwo einen versteckten Schrein errichtet. Zum Beispiel in seinem Arbeitszimmer, in das ich bei der Wohnungsbegehung keinen Blick werfen durfte – im Gegensatz zu allen anderen Räumen. Das Arbeitszimmer gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich, wenn ich zitieren darf. Das gilt übrigens auch für den Keller. Hat die Berger nicht erzählt, dass er stundenlang im Keller verschwindet?«
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