„Kinderloses Ehepaar“, berichtete Pamela. „Der dazugehörige Mann kommt meistens erst spät abends oder überhaupt nicht nach Hause. Vielleicht ist er Reisender. Manchmal ißt er jedenfalls erst um zehn. Sie sitzt dann mit einem Buch neben ihm und liest. Ich kann sie bis hierher vor Langeweile gähnen hören.“
„Du boshafte kleine Person!“ Christian schlug Pamela leicht auf die Schulter. „Na ja, Mädchen, das ist ja soweit ganz interessant, aber ich fürchte, ich muß jetzt endlich weiter. Was wolltest du eigentlich von mir?“
„Ich habe dir das alles gezeigt, weil ich im stillen hoffte, du könntest mich inspirieren.“ Pamela stellte den Feldstecher endlich weg und folgte Christian durch das dunkle Zimmer zu der nur angelehnten Tür. Er stieß sich das Schienbein an irgendeinem Möbelstück und fluchte leise vor sich hin.
„Warum paßt du auch nicht auf?“ erkundigte sich Pamela ungerührt. „Du bist schließlich nicht zum erstenmal hier.“
In der winzigen Diele brannte Licht. Sie blinzelten einander geblendet zu, dann deutete Pamela einladend auf die offene Tür zum Wohnzimmer.
„Geh ’rein und mach’s dir bequem. Ich hole was zum Trinken. Bier oder Schnaps?“
Ihr Besucher wehrte jedoch ab. „Liebes Kind, du weißt, ich habe heute Dienst. Ich muß wirklich ...“
„Moment noch, Chris, bitte! Wie wär’s denn mit einem aufregenden Fall für mich?“ Pamela betrachtete den jungen Mann hoffnungsvoll. „Mir fällt nämlich einfach nichts ein. Du mußt mir helfen. Wer kann denn wen da drüben umbringen?“
„Herrgott, Pamela, was du alles von mir verlangst! Soviel Phantasie habe ich überhaupt nicht. Deine Nachbarn sind alles ganz normale Leute, die bestimmt nie im Leben an so was Gruseliges wie einen Mord denken.“
„Daran denkt jeder mal“, widersprach Pamela sofort. „Wir alle begehen, wenn vielleicht auch nur in Gedanken, bei Gelegenheit jedes nur mögliche Verbrechen. Hat sogar ein ganz berühmter Mann gesagt. War’s nicht Goethe?“
„Schön, dann denk dir eben was aus.“
„Oh, Chris, du bist so schrecklich ungefällig! Erzähl mir einfach was aus deiner Praxis, und ich kombiniere dann ein bißchen.“
„Wenn du mich deswegen herzitiert hast, muß ich dich leider enttäuschen, liebes Kind. Mein Leben hat in letzter Zeit alles andere als Sensationen gebracht. Mit einem Taschendieb oder einem armseligen Heiratsschwindler wird dir kaum gedient sein.“
„Was, du als angehender Kriminalkommissar hast tatsächlich nicht einmal einen anständigen Mord in Bearbeitung?“ erkundigte sie sich ungläubig. „Du enttäuschst mich.“
Christian lächelte flüchtig. „Kleine Illusionistin!“ Er tippte mit dem Zeigefinger freundschaftlich an ihre zierliche Nase. „Mach dich mit dem Gedanken vertraut, daß es für die Polizei viel mehr kleine Delikte gibt als Kapitalverbrechen. Es war meine Aufgabe, mich mit Hochstapelei, Heirats-, Kautionsschwindel und so weiter zu befassen. Kann unter Umständen übrigens auch ganz interessant sein.“
„Nein, das hilft mir nicht weiter“, murmelte sie betrübt. Sie schob die Unterlippe vor. „Zu einem Kriminalroman gehört doch mindestens ein Mord. Gehörst du denn noch immer nicht zur Mordkommission?“
„Seit genau zwei Tagen. Ich habe gerade erst ’reingerochen.“ Er betrachtete sie lächelnd. Sie reichte ihm gerade bis zum Kinn, eine zarte kleine Person mit blauen Augen und einem Pfirsichteint. Ihr hübscher roter Mund forderte geradezu heraus, sie zu küssen, aber ein Blick auf ihr eigenwilliges Kinn hielt ihn dann doch davon ab. Pamela war manchmal ein bißchen unberechenbar. Man wußte nie, wie sie reagierte. „Gehen wir trotzdem mal aus?“
„Habe ich je eine Einladung ausgeschlagen? Eine arme kleine Schriftstellerin muß für alles dankbar sein“, sagte sie mit frommem Augenaufschlag.
„Geht es dir so schlecht?“
Sie seufzte. „Es ist hartes Leben, Chris. Nichts wird einem geschenkt. Mäcenas ist seit langem tot.“
„Vielleicht gibt’s auch nur einfach keinen Horaz mehr“, brummte Chris belustigt.
Pamela warf ihm aus schmalen Augen einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie gefiel sich in der Hoffnung, eines Tages berühmt zu werden.
„Nun, gehen wir erst mal bummeln“, meinte Chris hastig. „Ich habe neulich ein todschickes kleines Restaurant entdeckt mit spécialités françaises.“
„Strip-tease?“ erkundigte sie sich erwartungsvoll.
„Was du gleich wieder denkst! Nein, was zum Essen. Liebling, ich führe dich doch in kein Bumslokal.“
„Du kannst auch nie verbergen, daß du aus einem Provinznest kommst“, tadelte sie. „Was hast du gegen Bumslokale? Eine Schriftstellerin muß alles kennenlernen, auch die anrüchigen Kneipen, die sogar besonders.“
„Du willst also nicht mit mir essen gehen?“
„Wo denkst du hin? Natürlich! Ich bin heilfroh, wenn ich mal nicht zu kochen brauche.“
„Ich rufe dich morgen oder übermorgen an.“
„D’accord, chéri. Ton idée est merveilleuse.“ Die versprochenen französischen Spezialitäten verleiteten Pamela dazu, französisch zu sprechen. „Und wenn du wider Erwarten auf deinem ollen Amt doch mal was hören solltest, du weißt schon, dann denk an mich, ja? Ich brauche ganz dringend einen Mord.“
„Ich werde die Ohren spitzen“, versprach er lachend. „Bis bald! Tschüs, Kleine!“
„Tschüs, Großer!“
Er konnte sich nun doch nicht enthalten, ihr schnell über das blonde weiche Haar zu streichen. Genießerisch und ein bißchen sehnsüchtig schnupperte er den zarten Duft ihres Parfüms, bevor er sich wieder dorthin begab, wo es nach Männern, Bohnerwachs, verstaubten Akten und ungewaschenen Klienten roch, in eine weit weniger erfreuliche Umgebung, als es Pamelas hübsche kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Westend war.
Nachdem Pamela hinter Christian die Tür geschlossen hatte, warf sie einen Blick auf die Uhr und schlenderte dann in die Küche. Im Kühlschrank herrschte, wie sie zu ihrem Leidwesen feststellen mußte, wieder einmal gähnende Leere. Sie entnahm ihrer Handtasche das Portemonnaie, holte aus dem Wandschrank im Flur einen Einkaufsbeutel und verließ damit die Wohnung.
Das Lebensmittelgeschäft, in dem sie ihre Einkäufe zu tätigen pflegte, befand sich schräg gegenüber an der Ecke einer düsteren langen Straße mit alten Mietshäusern. In dem unmodernen kalten kleinen Laden herrschte kurz vor Ladenschluß eine qualvolle Enge. Unter den Kunden befand sich auch jene geschwätzige Frau Richter aus dem Nachbarhaus, die offensichtlich die Zubereitung des Abendessens unterbrochen hatte, um noch einen Einkauf zu tätigen. Pamela, die eine Abneigung gegen neugierige geschwätzige Leute hatte, verzog sich in die andere Ecke des Geschäfts in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden. Aber die blaßblauen flinken Augen erspähten sie schließlich doch, und das knochige rötliche Gesicht der stark blondierten Frau lächelte Pamela zu.
„Lange nicht gesehen.“
„Sie waren verreist, nicht wahr?“ Pamela war es nicht entgangen, daß in der Wohnung der Richters ein paar Wochen lang die Sonnenjalosien geschlossen geblieben waren.
„Ja, wir waren in Oberstdorf. Muß ja auch mal sein, nicht? – Nein, Fräulein, ich nehme nicht den Reis da, sondern Patna, und dann geben Sie mir noch sechs Trinkeier. – Ja, in den Bergen spürt man schon den Herbst. Es war abends immer ziemlich frisch.“
„Der Sommer ist auch hier bald vorbei.“
„Leider.“ Frau Richter zahlte. „Ich muß mich sputen, daß ich heimkomme. Mein Mann ist fällig. Hoffentlich habe ich nicht wieder was vergessen! Wissen Sie, es ist einfach eine Katastrophe, wenn man bei zwei Kindern nicht mal ein Mädchen hat. Wie so manche Leute das machen! Zu unserer Hausbesitzerin, der Junkers, zum Beispiel kommt jeden Tag bis nachmittags eine Frau.“
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