»Besten Dank, Sir, aber wer bitte ist Major Gardner?«
»Der Chef von Cockfosters.«
»Und was ist Cockfosters, Mylord?«
Lord Markham zögert kurz: »Eine Art Durchgangsstation für Offiziere Ihrer Waffengattung.« Er erhebt sich: »Sie entschuldigen mich jetzt bitte.«
Er läßt seinen Zwangsgast allein, aber Fabian hat keinen Zweifel, daß er unauffällig bewacht wird und daß er für die vorzüglichen Snacks, die ihm der Butler serviert, irgendwie zu bezahlen hat.
Nach 80 Minuten kommt der Gastgeber zurück, begleitet von einem Offizier, dessen Uniform aus der Saville Row stammen dürfte, Londons feudaler Gasse feiner Herrenschneider. Mehr aber als Einzelheiten der Garderobe – die Major Gardner den Spitznamen Dandy eingebracht haben – fällt Fabian das exzellente Deutsch des R.A.F.-Majors auf.
»Glücklich gelandet, Herr Fabian?« fragt er bei der Begrüßung.
»Unglücklich, Sir.«
»Ihr Pech unser Glück«, versetzt der Major. »Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß ich mich außerordentlich über Ihre Ankunft freue.« Er betrachtet seinen Gefangenen, sieht in das gespannte Gesicht mit der ledrigen Haut: Die Ähnlichkeit dieses Deutschen mit Captain Dunhill ist so umwerfend, daß er sich gewaltsam darauf konzentrieren muß, Fabian nicht mit dem Namen des Engländers anzusprechen. »Wie fühlen Sie sich, Herr Fabian?«
»Den Umständen entsprechend bestens«, erwiderte der PoW und grinst.
»Das ›Puma‹-Geschwader hat heute nach Ihnen noch einen Piloten verloren«, berichtet der Major wie beiläufig: »Feldwebel Frommleben. Er hat nicht einmal eine Schramme abbekommen.«
Fabian hält sich an die Belehrung über Verhalten im Feindesland und schweigt.
»Sein Bezwinger ist übrigens direkt neben ihm auf einer Wiese gelandet«, sagt der Major lachend, »und hat sich von seinem Opfer den Luftsieg gleich schriftlich bestätigen lassen.«
»Nicht sehr diszipliniert«, erwidert Fabian.
»Ihre Tennisschuhe doch wohl auch nicht?« kontert Gardner.
Sie lachen alle drei. Der Butler serviert Drinks. Sie nehmen sie im Stehen, mit dem Anstand und der Distanz dreier Gentlemen, die sich zufällig in einer feudalen Hotelhalle kennengelernt haben.
»Würden Sie bitte mitkommen, Herr Fabian?« beendet der Offizier aus Cockfosters die Cocktailstunde.
»Mir bleibt wohl keine andere Wahl«, entgegnet der abgeschossene Pilot und wendet sich höflich an seinen Gastgeber: »Thanks for your hospitality, Mylord«, sagt er zum Abschied, und Lord Markham wie Major Gardner stellen übereinstimmend fest, daß sich die Sitten bei den Hunnen inzwischen erheblich gebessert haben müssen.
Sie gehen zwanglos nebeneinander her, erreichen den Ausgang. Der Major deutet auf seinen betagten Austin, öffnet den Wagenschlag und bedeutet Fabian, vorne links einzusteigen.
»Keine Handschellen?« fragt der PoW belustigt.
»Sie sind doch kein Dummkopf, Fabian«, erwidert der Major. »Übrigens ist Ihre Tür verriegelt.«
Er will losfahren und sieht in diesem Moment den Butler, der Fabians Pistole bringt.
Der Major wirft sie achtlos in den Fond, startet, bietet seinem Mitfahrer eine Zigarette an.
»Beinahe hätte ich es vergessen«, behauptet er: »Ich soll Ihnen Grüße bestellen von zwei Ihrer Geschwaderkameraden, die sich schon seit längerer Zeit auf der Insel befinden.«
Unbeteiligter, als Hauptmann Fabian zum Fenster hinaussieht, könnte es auch Captain Dunhill nicht tun.
»Ihr Crew-Kamerad Pappenheim trauert immer noch seiner Hochzeit nach«, fährt Gardner fort. »Bei Oberfähnrich Kaudewitz bin ich mir nicht im klaren, ob er mehr für Sie schwärmt oder für Ihre Schwester Sabine, die wirklich sehr reizend sein muß.«
»Das ist sie auch, Herr Major«, erwidert Fabian spöttisch: »Und grüßen Sie bitte die Herren von mir«, erwidert der PoW-Offizier, automatisch in die Rolle eines intelligenten Täters schlüpfend, der weiß, daß das Leugnen bekannter Tatsachen genauso dumm wäre, wie Unbewiesenes zu gestehen: »Ich hoffe, die anderen Pechvögel bald zu sehen.«
»Das wird sich sicher arrangieren lassen«, erwidert Gardner.
»Treiben Sie eigentlich mit jedem deutschen Kriegsgefangenen einen solchen Aufwand?« fragt der Hauptmann.
»Wir geben uns viel Mühe. Wie sagt man bei Ihnen: Andere Länder, andere Sitten.«
»Sind Sie vom Geheimdienst, Herr Major?«
»Seien Sie bitte nicht so melodramatisch, mein Lieber«, versetzt Gardner. »Natürlich vernehmen wir Sie und Ihre Kameraden. Das machen Sie doch mit unseren Leuten auch?«
»Und genauso zwecklos«, antwortet Fabian in originaler Dunhill-Art. »Wohin bringen Sie mich eigentlich?«
»Zunächst in das R.A.F.-Lazarett in London, Abteilung deutsche Kriegsgefangene.«
»Und dann?«
»Sie erhalten eine erstklassige ärztliche Betreuung. Wenn Sie sich erholt haben, wird man Sie sicher vernehmen. Falls ich Zeit finde, werde ich das selbst erledigen. Fighter-Asse interessieren mich immer, selbst feindliche, mit 19 Luftsiegen.«
»20, Sir.«
»Heute?« fragt der Major.
»So ist es. Ich wurde nicht von einer ›Spit‹ erledigt, sondern von der Flak abgeschossen.« Dunhills Double lächelt mit krummen Lippen. »Darauf lege ich besonderen Wert.«
»So oder so«, erwidert der Major: »Jedenfalls ist für Sie jetzt der Krieg aus.«
»Meinen Sie, es bricht mir das Herz?«
»Ich nehme an, daß Sie heute noch Gelegenheit erhalten werden, über das Internationale Rote Kreuz ein Lebenszeichen an Ihre Angehörigen abzusenden.« Er weicht geschickt einem Lastwagen aus und setzt hinzu: »Wir sind keine Unmenschen.«
»Wir meistens auch nicht«, erwidert sein Gefangener. Dann erinnert sich Fabian an den Zusammenstoß mit seinem Kommodore und den Anlaß und hält bis London den Mund.
Craig Gardner trägt schwer an seiner Selbstherrschung. Ausgerechnet er, der als Skeptiker und Pedant gilt, muß sich dagegen wehren, unreife Früchte zu ernten. Er hat sich bisher an den Sandkasten-Spielereien, den Engländer in die Rolle des Deutschen zu stecken, nur am Rande beteiligt – schließlich weiß er, daß man die raffinierteste Giftsuppe nicht ohne Zutaten kochen kann. Nun aber sitzt die Schlüsselfigur neben ihm, Peter Dunhill ähnlich wie ein Zwillingsbruder. Diese phantastische Wendung zwingt den Geheimdienst fast automatisch zum Handeln, wie sie auch dem R.A.F.-Captain keine Chance läßt, sich dem Auftrag – wie immer er aussähe – zu entziehen.
»Wir sind am Ziel«, sagte Gardner zu seinem Gefangenen.
Der Posten am Seiteneingang des riesigen Militär-Hospitals hat den Wagen des Majors erkannt und öffnet das eiserne Tor. Zwei Soldaten nehmen Hauptmann Fabian in Empfang.
»See you later«, verabschiedet sich Gardner. »Ich hoffe, daß Sie sich an unser Klima und an unsere Küche gewöhnen können.«
Er fährt an wie einer, der noch einen langen Weg vor sich hat, aber stellt den Wagen auf der Rückseite des Gebäudes ab, um spezielle Maßnahmen vorzubereiten, die aus dem englischen Captain den deutschen Hauptmann machen sollen.
Er stürmt an das Telefon, läutet Cockfosters an – und seine Hochstimmung kentert von einer Sekunde auf die andere: Dunhill wird vermißt, seit er vor Stunden entgegen ausdrücklichem Befehl mit einer ›Spit‹ gestartet ist, um auf eigene Faust einen Einsatz über London zu fliegen.
Da er nicht aufzufinden ist, muß angenommen werden, daß mit dem Hauptdarsteller auch das geplante Kommando-Unternehmen gestorben ist.
Der britische Geheimdienst hatte das große Los gezogen, aber es ist nicht mehr wert als die Hälfte einer Banknote, so hoch sie auch sein mag. Und dabei hatte sich die ›Operation Doomsday‹, seit den berühmten sechs Tagen von Dünkirchen, beinahe zwangsläufig entwickelt.
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