Der Bericht einer Zeitung klang wie ein Poster für einen Film aus den 1940ern:
Sie kommen aus dem Nichts, töten, sterben oder verschwinden – und kehren in ihre Verstecke zurück. Sind diese Gefolgsleute der dunklen Nazizeit ihren Gräbern entstiegen, um sich an ihren einstigen Bezwingern zu rächen? Bislang wurde der Großteil des städtischen Terrorismus durch linksgerichtete Ideologien motiviert. Die selbsternannte und effiziente NSAA hebt ihn auf ein neues und äußerst verstörendes Level.
Doch in den Schatten jener verborgenen und geheimen Welt der Geheimdienste und Sicherheitskomitees fingen die Leute an, unruhig zu werden, als würden sie aus einem Albtraum erwachen, nur um festzustellen, dass dieser Albtraum wahr geworden war. Es begann mit dem Austauschen von Meinungen und dann, vorsichtig, Informationen. Schließlich arbeiteten sie sich zu einer seltsamen und nie da gewesenen Allianz vor.

EINE VORLIEBE FÜR
BLONDINEN
Schon lange bevor er dem Secret Service beigetreten war, hatte James Bond ein spezielles System der Gedächtniskunst verwendet, um sich Telefonnummern zu merken. Nun hatte er in seinem Gedächtniscomputer die Nummern Tausender Leute gespeichert und konnte sie bei Bedarf jederzeit abrufen. Die meisten dieser Nummern waren beruflicher Natur, weshalb man sie ohnehin besser nicht aufschrieb.
Paula Vacker hatte nichts mit seinem Beruf zu tun. Paula diente einzig und allein dem Vergnügen.
In seinem Zimmer im Inter-Continental Hotel am nördlichen Ende von Helsinkis großer Hauptstraße Mannerheimintie wählte Bond die Telefonnummer. Es tutete zwei Mal, dann meldete sich eine Frau auf Finnisch.
Bond sprach in höflichem Englisch: »Paula Vacker, bitte.«
Die finnische Telefonistin wechselte problemlos in Bonds Muttersprache. »Wen soll ich als Anrufer nennen?«
»Mein Name ist Bond. James Bond.«
»Einen Augenblick, Mr Bond. Ich werde nachsehen, ob Ms Vacker zur Verfügung steht.«
Stille. Dann ein Klicken und die Stimme, die er so gut kannte. »James? James, wo bist du?« Der Akzent wies nur einen leichten Hauch des Singsangs auf, der für die Skandinavier so typisch war.
Bond erwiderte, er sei im Inter-Continental.
»Hier? Hier in Helsinki?« Sie versuchte gar nicht erst, ihre Freude zu verbergen.
»Ja«, bestätigte Bond, »hier in Helsinki. Sofern Finnair keinen Fehler gemacht hat.«
»Finnair ist wie eine Brieftaube«, sagte sie lachend. »Die machen nur selten Fehler. Aber was für eine Überraschung. Warum hast du mir nicht mitgeteilt, dass du kommst?«
»Ich wusste es selbst nicht«, log Bond. »Eine unerwartete Planänderung.« Das stimmte zumindest teilweise. »Ich musste über Helsinki reisen, also dachte ich, ich mache einen kleinen Zwischenstopp. Eine Art spontane Entscheidung.«
»Spontane Entscheidung?«
»Eine Laune. Eine plötzliche Idee. Wie könnte ich denn bitte durch Helsinki reisen, ohne mich mit Paula Schön zu treffen?«
Sie lachte von Herzen. Bond stellte sich vor, wie sie den Kopf zurückwarf und den Mund öffnete, sodass die hübschen Zähne sowie die zierliche rosa Zunge zum Vorschein kamen. Paula Vackers Name deutete darauf hin, dass sie schwedische Vorfahren hatte. Eine direkte Übersetzung ihres Namens aus dem Schwedischen würde sie zu Paula Schön machen. Der Name passte zu ihr.
»Hast du heute Abend Zeit?« Falls sie nicht zur Verfügung stand, würde es ein langweiliger Abend werden.
Erneut ließ sie ihr besonderes Lachen vernehmen, voller Humor und ohne die Schärfe, die manche Karrierefrauen entwickelten. »Für dich habe ich immer Zeit, James. Aber ich bin nicht leicht zu haben.« Es war ein alter Scherz, den Bond einmal gemacht hatte. Zu dem Zeitpunkt war er mehr als treffend gewesen.
Sie kannten einander inzwischen seit etwa fünf Jahren. Ihre erste Begegnung hatte in London stattgefunden.
Es war im Frühling gewesen, die Art von Londoner Frühling, die die weiblichen Büroangestellten so wirken lässt, als würden sie gerne zur Arbeit gehen, und die Parks in gelbe Teppiche aus Osterglocken verwandelt.
Die Tage hatten gerade angefangen, länger zu werden, und es gab ein Gelage im Außenministerium, um die Zahnräder des internationalen Handels zu schmieren. Bond war geschäftlich dort – um auf verdächtige Personen zu achten. Tatsächlich war im Vorfeld heftig darüber diskutiert worden, da die innere Sicherheit eine Aufgabe des MI5 und keine von Bonds Abteilung war. Doch am Ende hatte das Außenministerium, unter dessen Schirmherrschaft die Feier abgehalten wurde, die Oberhand gewonnen. Widerwillig hatte der MI5 einem Kompromiss zugestimmt, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie ebenfalls ein paar Männer vor Ort haben würden.
Aus professioneller Sicht war die Feier ein Reinfall. Paula war hingegen eine ganz andere Geschichte.
Sie war Bond selbst in dem überfüllten Raum sofort ins Auge gefallen, man konnte sie einfach nicht übersehen. Es war, als wären keine anderen Frauen eingeladen worden, und das gefiel den anderen Frauen ganz und gar nicht – besonders den älteren und den femmes fatales des diplomatischen Dienstes, die derartige Feierlichkeiten immer heimsuchten.
Paula trug Weiß. Ihre Haut besaß eine natürliche Bräune, die nicht mit künstlichen Hilfsmitteln aufgebessert werden musste, eine Gesichtshaut, die, wenn sie ansteckend gewesen wäre, sämtliche Make-up-Firmen in den Ruin getrieben hätte, und dichtes blondes Haar, das so schwer war, dass die Frisur wohl selbst einem Sturm der Windstärke zehn problemlos standgehalten hätte. Und als wenn das alles noch nicht genug gewesen wäre, war sie auch noch schlank, attraktiv, hatte große von grauen Flecken durchzogene Augen sowie Lippen, die zu einem einzigen Zweck geformt worden waren.
Bonds erste Gedanken waren vollkommen professionell. Sie würde einen guten Lockvogel abgeben, entschied er, und er wusste, dass man in Finnland Probleme hatte, gute Lockvögel zu bekommen. Er hielt sich eine ganze Weile lang von ihr fern und vergewisserte sich, dass sie ohne Begleitung gekommen war. Dann ging er auf sie zu und stellte sich vor. Er sagte, der Minister habe ihn gebeten, sich um sie zu kümmern. Zwei Jahre später, in Rom, erzählte Paula ihm, der Minister habe es recht früh am Abend selbst bei ihr versucht – bevor seine Gattin eingetroffen sei.
Sie war für eine Woche in London. An jenem ersten Abend führte Bond sie zu einem späten Abendessen ins Ritz aus, was sie »altmodisch« fand. Vor ihrem Hotel erteilte Paula ihm eine sanfte, aber sehr deutliche Abfuhr.
Bond setzte zur Belagerung an. Zuerst versuchte er, sie zu beeindrucken, doch ihr gefielen weder das Connaught noch das Inn on the Park, das Tiberio’s, das Dorchester, das Savoy oder das Royal Garden Roof, während sie Tee im Brown’s lediglich »amüsant« fand. Er war kurz davor gewesen, sie mit ins Tramp’s oder ins Annabel’s zu nehmen, als sie selbst das Au Savarin in der Charlotte Street entdeckte. Es war genau ihr Ding und der patron kam gegen Ende der Mahlzeiten und setzte sich zu ihnen an den Tisch, damit sie schlüpfrige Geschichten austauschen konnten. Bond war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte.
Sie wurden sehr schnell enge Freunde und entdeckten gemeinsame Interessen – Segeln, Jazz sowie die Werke von Eric Ambler. Außerdem gab es eine weitere Sportart, der sie sich am vierten Abend endlich widmeten. Bond, dessen Ansprüche bekanntermaßen hoch waren, gestand ein, dass sie eine Goldmedaille mit Eichenlaub verdiente. Im Gegenzug verlieh sie ihm das Eichenlaub. In diesem Fall war er sich ebenfalls nicht sicher, was er davon halten sollte.
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