All diese Studien haben ihren Wert in der Erkenntnis von Gegenwartsphänomenen, in der Erklärung von destabilisierenden Aspekten und im Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Migration. Sie können jedoch – wie bereits erwähnt – keinen Blick auf Migration als zeithistorisches Phänomen schaffen. Publikationen, die aus geschichtlicher Perspektive und mit den Methoden der historischen Disziplin nach Ursachen, Wesen und Veränderung von Migration fragen, stecken noch in den Kinderschuhen. Das seit 2017 abgeschlossene Forschungsprojekt zur Geschichte der (Arbeits-)Migration in Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut, durchgeführt von der Universität Innsbruck (unter der Leitung von Eva Pfanzelter und Dirk Rupnow) in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Bozen in Brixen (dort mit Teil-Projektleiterin Annemarie Augschöll Blasbichler), ist das erste große Projekt, das das Thema Migration aus zeitgeschichtlicher Perspektive beleuchtet. Die vorliegende Arbeit ging aus diesem Projekt hervor; zwei aus dem Projekt hervorgegangene Publikationen 54 fassen außerdem die zentralen Ergebnisse zusammen.
1.2 Migrant*innen und Medien
Befunde und Forschungsstand
Wird die Forschungslandschaft zum Thema Migration und Medien näher betrachtet, lassen sich mehrere Schwerpunkte bzw. Forschungsrichtungen herauskristallisieren: Die Darstellung von Migrant*innen in den Medien, die Mediennutzung von Zugewanderten sowie Rezeptionsstudien, die sich mit der Wirkung der Migrationsberichterstattung auseinandersetzen. Methodisch bzw. methodologisch kann zudem zwischen qualitativen, quantitativen und diskursanalytischen Studien unterschieden werden. Da sich die vorliegende Arbeit mit der Darstellung von Migrant*innen in Medien befasst, beschränkt sich der Forschungsüberblick aufgrund der Vielzahl an Studien vorwiegend auf diesen Schwerpunkt.
Wichtige Überblickswerke zur zum Thema Migration und Medien im deutschsprachigen Raum sind die Sammelbände und Bücher von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges 55 , Georg Ruhrmann 56 , Urs Dahinden 57 , Joachim Trebbe 58 , Rainer Geißler und Horst Pöttker 59 sowie Heinz Bonfadelli 60 . Internationale Beiträge zum Thema Migration und Medien und insbesondere Beiträge zur Konstruktion von Krisen durch Medien versammelt das Buch „Migrations and the Media“ 61 von Kerry Moore, Bernhard Gross und Terry Threadgold. Vergleiche zwischen Europa und den USA und insbesondere die Grenz-Berichterstattung zeichnet das von Giovanna dell’Orto und Vicki L. Birchfield herausgegebene Buch „Reporting at the Southern Borders“ 62 nach. Vorwiegend mit Diskriminierung von Migrant*innen und ethnische Minderheiten in Medien beschäftigen sich zudem die Bücher: „Medien und Fremdenfeindlichkeit“ 63 von Bernd Scheffer und „Feindbild Minderheit“ 64 von Wolf-Dietrich Bukow.
In der US-amerikanischen Forschung kann ebenfalls auf eine lange Tradition an Analysen zurückgegriffen werden. Neuere Studien konzentrieren sich zunehmend auf die Darstellung von asiatischen Minderheiten oder Migrant*innen im Allgemeinen, wie etwa das Buch „Framing Immigrants“ 65 von Chris Haynes, Jennifer Merolla und Karthick Ramakrishnan oder aktuelle Aufsätze in internationalen Zeitschriften. 66 Ältere Untersuchungen hingegen stellen stärker die Repräsentation von African Americans in den Fokus. 67
Medienanalysen, die internationale oder interlinguale Vergleiche zum Thema haben, finden sich im Vergleich zu nationalen und intralingualen Studien seltener. Am häufigsten wird der angloamerikanische Raum zum Vergleich herangezogen. Eine komparative Inhaltsanalyse deutscher und australischer Zeitungen bietet etwa Sigrid Luchtenberg 68 . Rodrigo Zamith 69 hingegen stellt die französische und die amerikanische Presse gegenüber und Ralf Koch 70 vergleicht deutsche und amerikanische Zeitungen. Eine deutsch-französische Gegenüberstellung hat Daniela Wehrstein 71 durchgeführt, indem sie das Thema Islam in deutschen und französischen Pressetexten untersuchte. Vergleiche europäischer Länder finden sich hingegen bei Barbara Laubenthal 72 , die soziale Bewegungen illegal Zugewanderter in der Schweiz, in Frankreich und Spanien untersuchte sowie bei Thomas Niehr und Karin Böke 73 , die deutschsprachige Printmedien in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich nach sprachlichen Prägungen und historischen Entwicklungen durchforsteten. Eine vergleichende Studie zur europäischen Grenzregion Saar-LorLux hat Elena Enda Kreutzer 74 in ihrer Dissertation durchgeführt. Ihre Arbeit betritt mit der Grenzforschung Neuland und mit einem Analysezeitraum von 1990 bis 2010 kann sie als Langzeitstudie eingeordnet werden. Kreutzer wendet jedoch für ihre Untersuchung ein Stichprobenverfahren an, womit die Repräsentativität deutlich geschmälert wird.
Während sich die Forschungsbefunde der Sammelbände und Überblickswerke von Bonfadelli, Butterwegge, Ruhrmann usw. mehrheitlich auf die Situation in Deutschland, Österreich, der Schweiz oder nordischen Ländern beziehen, ist die Forschungsliteratur zum Thema Migration in Italien recht überschaubar. Das liegt auch daran, dass erste empirische Untersuchung in Deutschland bereits in den 1970er-Jahren entstanden, 75 als Italien sich erst langsam zu einem Einwanderungsland entwickelte. Erst in den letzten Jahren haben auch Analysen italienischsprachiger Medien zugenommen. Als ein wichtiges Gesamtwerk kann das 2016 von Marco Binotti, Marco Bruno und Valeria Lai erschiene Buch „Tracciare Confini. L`immigrazione nei media italiani“ 76 genannt werden. Die Autoren setzen sich in diesem Buch kritisch mit der italienischen Forschung zum Thema Migration und Medien auseinander und geben einen Überblick über das gesamte Spektrum der Repräsentation von Migrant*innen in italienischsprachigen Medien. Insbesondere Marco Bruno hat sich auch in unzähligen Aufsätzen und Buchbeiträgen mit dem Migrationsthema befasst. 77 Ebenfalls sind seit 2010 mehrere italienisch- bzw. englischsprachige Aufsätze mit Medienanalysen in Italien veröffentlicht worden. 78
Betrachtet man die Forschungslage zum Thema Medien – und im Besonderen Zeitungsanalyse – in Südtirol, können einzelne Publikationen einen Leitfaden bieten. Die Koordinierungsstelle für Integration hat in ihrem Jahresbericht 2013 „Einwanderung und Südtirol“ 79 beispielsweise eine Medienanalyse zum Ausländerbild durchgeführt. Analysiert wurden insgesamt 217 Artikel der Alto Adige und 199 Artikel der Dolomiten . Das daraus entstandene Kapitel schließt mit dem Fazit, dass „keiner der untersuchten Artikel bewusst rassistische Elemente (enthält), allerdings können auch eine unbewusste bzw. nicht durchdacht und unsensible Wortwahl, wie sie häufig vorkommt, zur Verzerrung und somit zu Vorurteilen bzw. Ängsten bei den Lesern führen“ 80 . Die Analyse kann jedoch keine historische Entwicklung und keine Muster aufzeigen, weshalb sie für die vorliegende Studie wenig aussagekräftig ist.
Im Folgenden werden die wichtigsten Forschungsergebnisse der oben angeführten Literatur grob zusammengefasst sowie kritisch reflektiert:
Es wird überwiegend negativ über Migrant*innen berichtet
Die Erkenntnis, dass Medien Migrant*innen in einer überwiegenden skandalisierenden und diffamierenden Weise präsentieren, ist in unzähligen Standardwerken angeführt. 81 Demzufolge werden nach dem Motto only bad news are good news in den Medien vorwiegend negative und skandalöse Nachrichten verbreitet. Der Schwerpunkt bei der Nachrichtenbeschaffung liegt auf der Aktualität und ist damit durch Punktualität und inhaltliche Reduktion gekennzeichnet. 82 Laut Rainer Geißler hat dieser Negativismus mehrere Facetten: 1) Neu Zugewanderte bedrohen die öffentliche Sicherheit 2) Migrant*innen kosten den Steuerzahler*innen Geld, belasten das soziale Sicherungssystem sowie die öffentlichen Haushalte 3) Migranten sind Problemgruppen, sie machen Probleme und haben selbst viele Probleme. 83 Dazu kommt die quasi natürliche Verbindung mit Schwerpunkten wie Drogenhandel, Gewalt, Prostitution und Kriminalität, womit der Eindruck erweckt werden kann, dass diese Themen selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelt von Migrant*innen sind. 84
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