Stärker als angenommen bestimmten politische Akteur*innen die Darstellung und die Wahrnehmung von Migrantinnen und Migranten in den Medien mittels direkter oder indirekter Rede. Die Aufmerksamkeit der italienischsprachigen Tageszeitung galt hierbei vorwiegend italienischsprachigen Politiker*innen, während sich die deutschsprachige Zeitung mehr der deutschsprachigen Politik widmete. Lediglich die Südtiroler Volkspartei war in beiden Tageszeitungen eindeutig überrepräsentiert und kann somit als die meinungsbildende Partei eingestuft werden.
Mithilfe der Tageszeitungen konnten Akteur*innen gezielt Inhalte verbreiten, die die Stimmung in der Bevölkerung lenken sollten. Ging es darum, (politische) Maßnahmen zu legitimieren, die die Zuwanderung von Menschen mit ausländischem Pass einschränkten, war die Darstellung der Migrant*innen als Gefahr eine logische Konsequenz. Wenn es aber galt, Zustimmung für die eigene Partei zu gewinnen, waren Argumente, die die einheimische Bevölkerung in den Vordergrund stellten, eine wirksame Maßnahme. Der politische Nutzen von Zugewanderten wurde wiederum hervorgehoben, wenn es darum ging, einen Vorteil für die eigene Sprachgruppe zu erkämpfen. Für jede Situation gab es wirksame Argumente, mit denen für oder gegen bestimmte Maßnahmen plädiert, mit denen kritisiert oder pauschalisiert, Ängste verstärkt oder Ängste vermindert wurden. Zudem können gewisse Trends im Sprechen über Migration und Flucht nachgezeichnet werden. Denn es waren stets dieselben Argumentationen, die Generation für Generation den Migrationsdiskurs begleiteten.
Darüber hinaus ist in beiden Tageszeitungen seit den 2000er-Jahren eine Radikalisierung im Reden über Migration im Sinne eines deutlichen Anstiegs des Gefahrendiskurses zu erkennen. Gleichzeitig konnte auch festgestellt werden, dass etwa die Caritas, jener Wohlfahrtsverband, der sich stets mit der Beratung, Unterstützung und Unterbringung von Flüchtlingen auseinandersetzte, in den Tageszeitungen nach und nach an Aufmerksamkeit einbüßte, während rechtspopulistische Parteien und ihre fremdenfeindliche Weltanschauung deutlich an Präsenz gewannen. All dies trägt dazu bei, dass Menschen sich ablehnender zum Thema Migration positionieren.
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1Fremde Gäste für die Gastwirtschaft, in: Dolomiten , 10.01.1996.
2Rainer Girardi / Eva Pfanzelter, Migration in Zahlen: Ein- und Auswanderung in Südtirol in den amtlichen Statistiken, in: Eva Pfanzelter / Dirk Rupnow (Hrsg.), einheimisch – zweiheimisch – mehrheimisch, Bozen 2017, 43–67, 44.
3Rainer Girardi, Geschichtlicher Abriss und demographische Daten zur Migration in Südtirol, in: Roberta Medda-Windischer / Gerhard Hetfleisch / Maren Meyer (Hrsg.), Migration in Südtirol und Tirol. Analysen und multidisziplinäre Perspektiven, Bozen 2011, 77–95, 81.
4ASTAT, [ https://astat.provinz.bz.it/de/bevoelkerung.asp], eingesehen am 29.12.2018.
5Girardi / Pfanzelter, Migration in Zahlen, 48.
6Medien sind Teil des schriftlichen Nachlasses der Menschheit und gehören somit zum kulturellen Gedächtnis, vgl. dazu: Aleida Assmann / Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten / Siegfried J. Schmidt / Siegfried Weischenberg (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, 114–140.
7Hans Karl Peterlini, Between Stigma and Self-Assertion: Difference and Belonging in the Contested Area of Migration and Ethnicity, in: Georg Grote / Hannes Obermair (Hrsg.), A Land on the Threshold. South Tyrolean Transformations 1915-2015, Bern 2017, 341–360.
8Günther Pallaver, Transformationsmodelle der Südtiroler Autonomie 1972-2012. Konfliktlösungsmodell, Konkordanzdemokratie, Parteien, in: Günther Pallaver (Hrsg.), Politika 12 (=Jahrbuch für Politik), Bozen 2012, 205–241, 206.
9Der „ethnische Proporz“ bezeichnet das Recht der drei Sprachgruppen (Deutsche, Ladiner und Italiener), im Verhältnis zu ihrer zahlenmäßigen Stärke berücksichtigt zu werden. Geregelt werden dabei die Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst, die Zusammensetzung der Organe der örtlichen Körperschaften sowie die Verteilung der Haushaltsmittel des Landes. Abgedruckt in: Südtiroler Landesregierung – Bozen (Hrsg.), Südtirols Autonomie. Beschreibung der autonomen Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit des Landes Südtirol, Bozen o.J., 91.
10Peterlini, Between Stigma and Self-Assertion, 345.
11Roberta Medda-Windischer, Diversity Management „neuer“ Minderheiten in Alto Adige/Südtirol, in: Medda-Windischer / Hetfleisch / Meyer (Hrsg.), Migration in Südtirol und Tirol, 19–33, 20.
12Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Südtirol und im Trentino. Überblick über Land und Geschichte, Recht und Politik, Bozen-Trient 22000, 167 f; Medda-Windischer, Diversity Management, 20.
13Eike Pokriefke, Abschlusstagung „Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft“, in: [ http://www.apollis.it/download/19dextBwIFTX.pdf], eingesehen am 18.05.2018.
141991 wurde zu den drei bekannten Sprachgruppen eine vierte Kategorie („andere“) hinzugefügt, die für EU-Bürger*innen und Drittstaatangehörige eine Möglichkeit bietet, wenn sie die Erklärung für Wohngeld oder für andere Dienstleistungen brauchen. Abgedruckt in: Medda-Windischer, Diversity Management, 20.
15Markus Costa, Integrationspolitik in Südtirol. Kritische Analyse der Integrationspolitik unter den Aspekten der Assimilationstheorie und des Multikulturalismus in einer ethnisch fragmentierten Gesellschaft, Diplomarbeit, Innsbruck 2012, 71–72.
16Emil Juen (Hrsg.), Tiroler Almanach / Almanacco Tirolese, Innsbruck 1991.
17Renzo Gubert, Die neuen Völkerwanderungen und die alpinen Volksgruppen, in: Juen (Hrsg.), Tiroler Almanach, 10–14, 10.
18Gubert, Die neuen Völkerwanderungen, 10.
19Siegfried Jäger, BrandSätze. Rassismus im Alltag, Diusburg 1992.
20Martin Wengeler, Topos und Diskurs: Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960-1985), Tübingen 2003.
Teil 1
1. Forschungsstand und theoretischer Rahmen
1.1 (Historische) Migrationsforschung
Migration ist in einigen Disziplinen ein gut erforschtes Feld. Der wissenschaftliche Zugang erfolgt jedoch zumeist aus geographischer, politikwissenschaftlicher, ethnologischer, pädagogischer oder soziologischer Perspektive. Solche Arbeiten erforschen das Thema Migration mittels utilitaristischer Ansätze, sie suchen Antworten auf Fragen, die Integration, kulturelle Differenzen oder soziale Unzufriedenheit umfassen sowie Handlungsmöglichkeiten für die Politik aufzeigen. Sie erforschen Migration als gegenwärtiges Phänomen, häufig ohne historische Entwicklungen zu berücksichtigen.
Obwohl die historische Migrationsforschung anderen Disziplinen hinterherhinkte, hat sich seit den 1990er-Jahren doch einiges getan. Mittlerweile ist sie zu einem anerkannten Zweig in der Geschichtswissenschaft geworden. 21 Diese Entwicklung zeigt sich in der Entstehung von Überblickswerken, Handbüchern oder Enzyklopädien. In diesem Zusammenhang zu nennen sind die Werke von Klaus J. Bade 22 , die Enzyklopädie von Jochen Oltmer 23 , Dirk Hoerders globale Geschichte der Migration 24 oder das Buch „Migration. Globale Entwicklungen seit 1850“ 25 , herausgegeben von Albert Kraler, Karl Husa, Veronika Bilger und Irene Stracher. Diese migrationshistorischen Arbeiten auf der Makroebene zielen darauf ab, Migration als Normalität und nicht als Sonderfall der Geschichte zu begreifen. Sie verbreiten die Auffassung, dass die Geschichtsschreibung gerade wegen Wanderungsbewegungen über nationale Grenzen hinausgehen müsse. 26 Gerade das Verhältnis von Mobilität und Sesshaftigkeit war eine der ersten intensiv diskutierten Fragen der historischen Migrationsforschung, wenn auch die erste Generation von Historiker*innen noch sehr von „sozialwissenschaftlichen Modernisierungstheorien“ beeinflusst war und eine Idee der „immobilen Vormoderne“ bei der traditionelle Gesellschaften immobil gewesen seien, verbreitete. 27 Ein Beispiel dafür ist Wilbur Zelinsky’s 28 Artikel „The Hypothesis of the Mobility Transition“ aus dem Jahr 1971. Klaus. J. Bade und dem von ihm geleiteten Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS) 29 ist es jedoch zu verdanken, dass sich der Stellenwert und das Ausmaß der historischen Migrationsforschung in den 1990er-Jahren deutlich verbesserten. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Erforschung der Migrationsgeschichte auch heute noch ein Randphänomen darstellt. 30
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