Bo R. Holmberg - Hexenjunge

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Schweden im 17. Jahrhundert. Johan hat die Gabe, Hexen am Zeichen des Teufels zu erkennen und zieht durchs Land, um Frauen der Hexerei zu bezichtigen. Während ihm diese Fähigkeit viel Geld und Ansehen bei den Obrigkeiten einbringt, zweifelt sein jüngerer Bruder Olof an Johans Begabung und weigert sich, unschuldige Frauen in den sicheren Tod zu schicken. Als sich das Blatt plötzlich wendet und das Gerücht aufkommt, die Hexenjungen seien selber eine Ausgeburt des Teufels, schweben beide in großer Gefahr.-

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Bo R Holmberg

Hexenjunge

Aus dem Schwedischen von

Angelika Kutsch

Saga

1674

Auch behaupteten sie,

dass sie dank eines bestimmten Zeichens

auf dem Gesicht der Leute erkennen

konnten, wer von ihnen Hexe war und

im Bund mit dem Bösen stand.

Sie kamen an einem frühen Morgen durch den Wald. Sie waren Brüder. Der ältere hatte hellere Haare und eine etwas schiefe Nase. Die schiefe Nase hatte ihm ein Mann verpasst, der bei seiner Mutter übernachtet hatte, als der Junge sich weigerte, mehr Bier aus dem Wirtshaus zu holen. Das war in Härnösand gewesen und er war damals klein gewesen.

Johan hieß er. Seine Hosenbeine endeten über den Knien und hinten klaffte ein großes Loch in der Hose. Das Hemd war fleckig, aber auf dem Kopf trug er eine Ledermütze, die er von einem der Pfarrer bekommen hatte, die ihn im Frühling unterrichtet hatten.

»Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagte er zu seinem Bruder.

Der Bruder war einige Jahre jünger und war noch ein kleines Kind gewesen, als ihre Mutter ins Zuchthaus gesteckt wurde. Seine Haut war viel dunkler als die seines Bruders, außerdem hatte er schwarz gelocktes Haar.

»Und man muss nur zeigen?«, fragte er jetzt.

Johan hatte es schon so viele Male getan. Er hatte diese Gabe. Er konnte lange Verse aus der Bibel herunterrasseln, obwohl er nicht lesen konnte. Er wusste, wo verlegte Sachen lagen, und hatte vielen geholfen sie wieder zu finden. Er konnte offenbar alles. Also konnte er auch das flammende Zeichen sehen.

»Ist es wirklich zu sehen?«, fragte Olof.

»Doch, ich sehe es, selbstverständlich sehe ich es. Es ist rot wie Blut, aber manchmal muss man das Stirnhaar der Frau anheben, um es genau zu erkennen. Wie der Teufel es dort angebracht hat, das weiß man nicht genau. Ob er es hineingebissen oder -gebrannt oder -gekratzt hat. Stigma diaboli , ja, so heißt es. Das sagen die Pfarrer. Sie können es nicht sehen. Nur du und ich, wir sehen es. Wir haben die Gabe den Biss oder das Kratzzeichen des Teufels zu sehen.«

»Aber ich habe es noch nie getan«, wandte Olof ein. »Ich weiß nicht, ob ich es genauso gut wie du erkennen kann.«

Er wollte es richtig machen, wollte das können, was sein Bruder konnte. Jetzt, wo sie endlich nach so langer Zeit wieder zusammen waren. Jetzt, wo er nicht mehr allein war. Jetzt, wo er wieder einen großen Bruder neben sich hatte.

»Du wirst es sehen«, behauptete Johan. »Natürlich wirst du es sehen. Es kommt nur darauf an, dass du richtig zeigst. Auf der Stirn ist das Zeichen. Es ist leicht.«

Er blieb stehen, lange. Dann hob er seinen rechten Arm und streckte ihn in seiner ganzen Länge aus.

»Ich sehe das Zeichen des Teufels«, sagte er. »Das musst du sagen.«

»Werde ich es denn wirklich sehen?«

»Ganz deutlich. Du hast auch die Gabe.«

Damit gab Olof sich zufrieden.

Sie setzten ihre Wanderung fort. Alles war einfacher geworden, seit Johan sich um ihn kümmerte. Jetzt konnte er sich satt essen und hatte sogar Geld in der Tasche. Früher hatte er sich auf den Wegen herumgetrieben, hatte gehungert und war von Dorfbewohnern und Hunden gejagt worden. Einsam war er gewesen und gefroren hatte er fast immer. Jede Stunde des Tages war er mit der Suche nach Nahrung oder einer Schlafstelle beschäftigt gewesen. Jetzt war alles anders. Und das nur, weil Johan die Gabe hatte Hexen zu erkennen.

Olof übte leise für sich. Du trägst den Biss des Teufels auf der Stirn, dachte er. Vielleicht war das besser. Doch, das könnte er sagen.

Er probierte es laut:

»Ich sehe das Zeichen des Bösen in deine Stirn eingeritzt.«

Johan lachte auf und klopfte ihm auf die Schulter.

»Das ist gut«, sagte er. »Sag das. Es ist doch gar nicht schwer.«

Nein, er würde es schaffen, dachte er. Er wollte nicht wieder als Betteljunge leben. Jetzt ging es ihm besser. Jetzt sollte alles wie früher werden.

Es war so, als ob die Pfarrer sich vor ihnen verbeugten, als wären sie wichtige Persönlichkeiten. Sie verbeugten sich und ihre Gesichter waren mild und voller Verständnis.

»Ich sehe den Biss des Teufels auf deiner Stirn«, sagte er.

Johan blieb stehen und hielt seinen Bruder zurück.

»Wir sind bald da«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen. Denk daran, dass du etwas Gutes tust. Denk an all die Kinder, die du vor dem Bösen selbst bewahrst. Die, auf die du zeigst, das sind richtige Hexen. Sie fliegen zum Blauen Hügel und nehmen Kinder mit. Sie geben sich dem Satan persönlich hin und gebären Kinder, die sie dann kochen und Salbe daraus bereiten. Darum tragen sie dieses Zeichen.«

»Wenn ich es nur sehe, dann ...«

»Das wirst du.«

Sie waren hoch oben auf dem Berg, von wo sie auf den Fluss schauen konnten, der sich gemächlich dahinschlängelte. In der Nähe des Flusses stand die Kirche mit ihren beiden Türmen.

Johan wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er musterte seinen Bruder noch einmal, rückte seine Mütze zurecht und nahm ihn bei der Hand.

»Jetzt gehen wir«, sagte er. »Oberhalb der Kirche siehst du den Pfarrhof. Pfarrer Peder wartet auf uns. Dorthin gehen wir. Der Pfarrer kennt mich gut. Dort können wir uns satt essen. Dort ist die Engelskammer und dort werden wir die Hexen bezeichnen.«

Er lächelte Olof aufmunternd an.

»Du und ich«, sagte er. »Wir haben die Gabe, wir sehen etwas, was andere nicht sehen. Aber zuerst gehen wir zu dem Haus, in dem wir gewohnt haben.«

Vorsichtig rutschten sie den Abhang hinunter.

Das Haus ist nicht mehr da, dachte Olof, aber er sagte nichts.

In dieser Gegend kannten die Brüder sich aus. Hier hatten sie gelebt. Auf der anderen Seite des Flusses, damals, bevor ihre Mutter fortgebracht worden war, bevor Johan ihn verlassen hatte und bevor das Haus niedergebrannt worden war.

Hindersons Knechte hatten das getan, sie hatten das Haus angezündet, das wusste er.

Daran erinnerte er sich.

Und er erinnerte sich an seine Mutter im Boot, zwischen den Wachen. Er erinnerte sich, wie sie seinen und Johans Namen gerufen hatte. Wie sie ihn lange mit traurigen Augen angeschaut hatte. Und wie einer der Wachmänner sie mit dem Gewehr geschlagen hatte, um sie zum Schweigen zu bringen.

Das Blut in ihrem Gesicht.

Und das Feuermal, das immer da gewesen war.

Sie war den Fluss hinuntergebracht worden. Nach Härnösand, dachte er, das hat er immer geglaubt.

An den Hunger erinnerte er sich, an die Kälte und an die Angst.

Er erinnerte sich auch an seinen Zorn und seine Ohnmacht, die er empfunden hatte, als Johan weggegangen war und ihn allein gelassen hatte.

Vor zwei Jahren hatte Olof am Ufer gestanden und zugesehen, wie die Männer das Boot mit kräftigen Schlägen stromabwärts ruderten, bis es winzig klein geworden war und er es nicht mehr sehen, sich nur noch an das blutige Gesicht seiner Mutter erinnern konnte.

Danach hatte er eine Nacht im Haus geschlafen und in der darauf folgenden war es niedergebrannt worden, als ob das auch zum Urteil über sie gehörte, und er hatte nicht gewusst wohin.

Er war zu Mårtenssons, zu Didrik und Karin gegangen und dort durfte er den Sommer über bleiben.

Und dort war Lisbet.

Er erinnerte sich gut an sie. Sie war in seinem Alter, nur einige Monate jünger, und hatte helle lockige Haare. Er erinnerte sich daran, wie er oft nur dagesessen war und Lisbet betrachtet hatte. Die Sonne hatte geschienen, er war immer mit der Sense vorangegangen und sie mit dem Rechen hinterher. Den Sommer würde er nie vergessen. Aber als der Herbst kam, musste er sie verlassen. Lisbet durfte bleiben, sie war schon lange auf dem Hof, aber er musste zusehen, wie er allein zurechtkam. Bis vor einigen Tagen, als er seinen Bruder wieder traf.

Es war auf dem Marktplatz auf der anderen Seite des Flusses gewesen. Olof hatte dösend hinter einem Wagen gelegen, während der Hunger wie ein Schmerz in ihm mahlte, als er eine Stimme hörte, die er kannte. Er hatte sich aufgerappelt, sich zwischen die Menschen gedrängt, und dort stand er. Sein Bruder. Er hatte sich nicht verändert. Er war von Menschen umgeben, die ihm zuhörten. Er erzählte von den Engelskammern, davon, wie er selbst Engel hervorlocken konnte, die durch den Raum schritten und mit den lieblichsten Stimmen wisperten, die man sich vorstellen konnte.

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