Elisabeth Langgässer - Das unauslöschliche Siegel

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Das Hauptwerk Elisabeth Langgässers, an dem sie heimlich während der NS-Zeit arbeitete: Sie beschreibt in diesem Roman das fiktionalisierte Schicksal ihres jüdischen Vaters, der sich katholisch taufen ließ. Der «Kampf zwischen Gott und Satan» steht im Mittelpunkt der Erzählung. -

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Elisabeth Langgässer

Das unauslöschliche Siegel

Saga

Das unauslöschliche Siegel Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1946, 2020 Elisabeth Langgässer und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726487718

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

PROSZENIUM

Wir befinden uns vor dem Eingang eines großen Auktionsgebäudes mit außerordentlich unechten Säulen aus einer Stuckmasse, die den Eindruck carrarischen Marmors macht.

Der ideale Leser und der vollkommene Kritiker treten auf. Der ideale Leser ist ein rüstiger Mann von unbestimmbarem Alter, der eine Brille, aber als Ausgleich zu seinem allzu geistigen Wesen einen Spazierstock mit eiserner Zwinge und genagelte Schuhe trägt. Der vollkommene Kritiker zeichnet sich nicht, wie man etwa erwarten möchte, durch besondere Kennzeichen aus, sondern gleicht mit hochgebürstetem Bärtchen und strengem, aber jovialem Ausdruck einem Generalstäbler in Zivil. Er ist mit einem Fernrohr bewaffnet, das er gleichzeitig in die Zukunft richten und mit dessen anderem Ende er den Mikrokosmos zu seinen Füßen restlos durchdringen kann.

Der Leser ‹ aufgeregt gestikulierend›

Ich kann verlangen – ich kann verlangen, daß mir beim Einkauf eines so dicken und komplizierten Buches – –

Der Kritiker ‹beruhigend›

Selbstverständlich können Sie, lieber Leser, eine Art Führer verlangen; einen Waschzettel, ein Personenverzeichnis, eine Inhaltsangabe, die Sie berechtigt, den Eintrittspreis, wenn das Ganze Ihnen nicht zusagt, von dem Autor zurückzuerhalten.

Der Leser ‹abwinkend›

Von dem Autor! Ich bitte Sie – von dem Autor. Von dem Autor kann man gar nichts verlangen. Ich bin selber ein Autor. Ich meine: ich war es. Jeder Deutsche, der lesen kann, hat schon geschrieben. Irgend etwas. Er hat es drucken lassen. Natürlich auf eigene Kosten. Was bedeutet es übrigens, wenn Sie . . . von einem ,Eintrittspreis‘ sprechen? Meinen Sie damit etwa – –

Der Kritiker

Genau das meine ich. Kommen Sie mit mir! Begeben wir uns jetzt unverzüglich in das Gebäude hinein!

Der Leser

Unmöglich! Ganz ausgeschlossen, mein Lieber! Man würde uns mit den Menschen verwechseln, die nun durch die Pforte strömen. Schließlich sind wir doch beide real und gehören nicht in das Inhaltsverzeichnis der handelnden Personen.

Der Kritiker

Hm. Aber trotzdem, mein lieber Leser, wird uns nichts anderes übrigbleiben. Ich sehe das voraus. Es ist natürlich ein Risiko –.

Der Leser

Ein Risiko?

Der Kritiker

Ganz wie Sie eben sagten. Wir könnten mit den Figuren verwechselt, wir könnten sogar – verwandelt werden. Kein angenehmes Gefühl.

Der Leser ‹ entschlossen stehenbleibend›

Ich gehe nicht weiter. Nicht einen Schritt. Die Sache fängt bereits jetzt schon an, mir ungemütlich zu werden. Können Sie nicht begreifen, mein Herr, daß ich schließlich und endlich, bevor ich riskiere, mich ganz einfach verwandeln zu lassen, wissen möchte, in welche Gestalt, und wem es da eigentlich einfällt, mich wie Kalif Storch zu verwandeln, wenn ich dreimal ,mutabor‘ sage?

Der Kritiker ‹ an seinem Fernrohr drehend›

Einen Augenblick, bitte . . . Ich sehe nach. Meine Linse ist unübertrefflich und läßt mich niemals im Stich . . . Merkwürdig . . .

Der Leser

Nun – was sehen Sie? Sprechen Sie ungeniert.

Der Kritiker

Ich glaube, das Okular ist beschlagen. Die Bilder sind getrübt.

Der Leser

Natürlich. So geht es immer, wenn man sich, statt auf die Inspiration, auf die Technik verläßt, mein Herr. Hören Sie auf. Ich bin Manns genug, der Gefahr ins Auge zu sehen. Übrigens wäre es unfair, einen Kollegen, [ich meine den Autor] pleite gehen zu lassen, weil man nicht mitmachen will.

Der Kritiker

Halt, halt doch! Nun sehe ich etwas schärfer. Obwohl –.

Der Leser

Obwohl –?

Der Kritiker

Obwohl ich mir nicht recht vorstellen kann – –

Der Leser ‹gespannt›

Was sehen Sie? Einen Frosch? Einen Drachen? Ein imaginäres Wesen? Eine olympische Gottheit auf hoch erhabenem Thron?

Der Kritiker

Nichts von all dem. ‹ Er läßt das Fernrohr sinken.› Es ist mir peinlich zu sagen: ich sehe Sie vollkommen nackt.

Der Leser ‹an seinen Vollbart fahrend›

Oh! Aber schließlich, was ist dabei? Ich habe nichts zu verbergen, ich kann mich sehen lassen. Nacktkultur, richtig verstanden – –

Der Kritiker

Ich fürchte, wir werden am Ende des Buches diesen Ausdruck nicht nur richtig verstehen, ich meine: rundherum richtig verstehen, sondern ihn auch praktizieren bis auf das Feigenblatt.

Der Leser

Kein Wunder, wenn das Ganze schon jetzt mit einer Auktion beginnt. Ein vielversprechender Anfang, wie? Um so mehr, als das Haus hier »Mundus« heißt, sein Besitzer »Hermes«, der Auktionar »Chronos« – –

Der Kritiker

Hermes, der Totenführer. Sehr viel Mythologie auf einmal. Sie werden Ihre gesamte Bildung, ich meine die humanistische, zusammennehmen müssen, um alles zu verstehen.

Der Leser

Ich habe ein griechisches Wörterbuch bei mir, ein lateinisches Diktionär, einen kurzen Abriß der Weltgeschichte, der Kirchengeschichte, die Propädeutik der abendländischen Philosophie – –

Der Kritiker

Um Gottes willen, halten Sie ein und werfen Sie auf der Stelle Ihre Schulbücher auf den Mist! Oder besser noch: geben Sie sämtliche Schmöker mit in die Versteigerung.

Der Leser

Sind Sie verrückt? Was verlangen Sie? Die heiligsten Güter der Menschheit in die Versteigerung geben?

Der Kritiker

Um einen Obolus kommt man bei Hermes bekanntlich nicht herum. Sehen Sie nur, wie er dort in dem offenen Vestibül steht und jedem seiner Besucher vollkommen schamlos die Sparkasse hinhält – das tönerne Glücksschwein, in welches eben dieser gut aussehende Herr seinen Dukaten wirft.

Der Leser

Wie heißt er?

Der Kritiker

Belfontaine.

Der Leser

Belfontaine? So. Ich muß sagen, er ist mir nicht sehr sympathisch. Es liegt etwas Zwitterndes über ihm. Etwas Unvollendetes, aber beileibe nicht eine Spur von Romantik oder Gemütlichkeit. Wenn er der Held dieses Buches ist – – Warum lachen Sie jetzt? Was soll das bedeuten?

Der Kritiker

Ich lache, weil es in diesem Sinn überhaupt keinen Helden gibt. Ich meine: in diesem Buch. Der Held muß dableiben wie ein Denkmal, das aufgerichtet wird. Man verbirgt ihn bis zu der Denkmalsenthüllung unterm Tuch der Psychologie.

Der Leser

Ich verstehe. Hier sieht sein Fuß und dort sieht ein Stück von seinem Zylinder heraus. Ein solches Verfahren weckt Neugier und Spannung. Zuletzt kommt die Denkmalsenthüllung. Man betrachtet den Helden von vorn und von hinten und geht rund um denselben herum. Allerdings ist selbst bei Meisterwerken die Rückseite gegen die Vorderansicht häufig vernachlässigt, wie? Man bringt daher rings um den Sockel des Denkmals ein Band von Plaketten an. Eigentlich eine Verlegenheitslösung. Man müßte – –

Der Kritiker

Rasch, sehen Sie durch mein Fernrohr! Nun? Was bemerken Sie? Was fällt Ihnen auf?

Der Leser

Pfui. Das ist futuristische Technik. Man sieht durch diesen Herrn Belfontaine, als wäre er aus Glas. Landschaften. Zeitgeschichte in Kurven. Das Schicksalspanorama des Städtchens, in dem wir uns befinden . . . Aha, ich glaube, Herr Belfontaine wird nicht wichtig genug genommen.

Der Kritiker

Im Gegenteil. Folgen wir ihm auf den Fuß. Wir kommen sonst zu spät. Gleich wird die Auktion beginnen.

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