Hilary Leichter - Die Hauptsache

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Die namenlose Heldin der Geschichte ist Zeitarbeiterin in New York. Sie arbeitet als Aushilfe in einem großen Büro, als Hochhausputzerin, als Verkehrspolizistin, auf einem Piratenschiff, als Assistentin eines Mörders und schließlich als Mutter eines einsamen Jungen, der erzogen werden möchte. Ihr Alltag ändert sich von Woche zu Woche, und auch ihr Privatleben muss Schritt halten, in dem es für jede Lebens- und Gemütslage den passenden Partner gibt, achtzehn an der Zahl. Mit jedem neuen Job, den die Protagonistin durch ihre Agentur vermittelt bekommt, wird deutlicher, wie absurd ihre Anstellungen sind – ebenso wie der ewige Versuch, dem Leben über die Arbeit einen Sinn zu geben. Denn: «Nichts ist so persönlich wie unser Job.»

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Hilary Leichter

Die Hauptsache

Roman

Deutsch von Gregor Runge

Für Mom Mir schien wenn sie hier wie eine Nomadin leben konnte würde sie - фото 1

Für Mom

Mir schien, wenn sie hier wie eine Nomadin leben konnte, würde sie nicht fortmüssen.

Marilynne Robinson, Haus ohne Halt

Einarbeitung

Es gab den Mörder. Es gab das Kind. Es gab das Marketing, das Fundraising, das Business Development. Es gab die Beauftragte für die Spenderliste und die Verantwortliche für das Schreddern der Stammdatenliste. Es gab die Waschmaschine, den Trockner und die Frau, die den Trockner mit Trocknertüchern bestückte. Sie legte sich die Tücher wie einen Schleier auf den Kopf und ließ sie in die Trommel gleiten. Es gab das Zusammenlegen der Socken. Es gab das Abwerfen der Bomben. Es gab die Türen, an denen sie klopfte. Wie viele Personen leben in Ihrem Haushalt? Möchten Sie unser Anliegen unterstützen? Möchten Sie Zitrusfrüchte? Möchten Sie Informationsmaterial? Es gab das Haus mit den geöffneten und den geschlossenen Türen. Es gab die Problemlösungen, die verwaltet werden mussten. Und die Hüterin der Flugblätter, die gab es auch. Es gab die Faktenchecks und die Zauberspruchchecks. Es gab das Lernen im Job und das Lügen im Job. Es gab das Zuspätkommen, das Zufrühkommen und das Pünktlichsein, das gab es auch. Und die Kästchen mit den Briefmarken und den Kalender aus Kork. Und den Block mit den rosa Vordrucken, auf die man schreibt, was passiert ist, was genau und bis ins Letzte, in Abwesenheit deiner Person.

Arbeit in der Stadt

Mein Arbeitsleben spielt sich im Kurzformat ab: kurze To-do-Listen, kurze Zeiträume, kurze Röcke. Die Agentur in Uptown ist ein Palast voller pudrig duftender Frauen mit praktischen Schuhen und manikürten Händen, in die ich, so und nicht anders will es die Tradition, meine Erwerbstätigkeit lege. Aus magischen Gelenken walken sie meine Vita zu einer Folge von Gehaltsschecks aus, die ein Leben ergeben. Die Anrufe kommen montags und freitags und flankieren die Woche mit flüchtigen Jobs. Mit der Mechanik eines Räderwerks, unermüdlicher als das Vergehen der Zeit, verleiht die Agentur mein Dasein. Sobald sich erwiesen hat, dass ich diskret und fähig bin, werde ich an diverse Premiumkunden vermittelt. Als Persönliche Assistentin. Als Assistentin für Persönliches. »Nichts ist persönlicher als deine Performance«, habe ich auf dem Weg zur Agentur auf der Verpackung eines Müsliriegels gelesen. Eine Einstellung, zwingend genug, mein Herz und meinen Lebenssinn darauf zu gründen.

Meine festen Freunde sind Unternehmensjünger, Unkündbare, die jeden meiner Jobs als großartige Gelegenheit bezeichnen. Ihre Büros statten sie mit originellen Tassen aus, die über Nacht voller schlammiger Kaffeepfützen auf ihren Schreibtischen stehen. Aus dem Kaffeesatz lese ich ihre Zukunft: Mit grauen Haaren werden sie sich an denselben Schreibtischen sitzend eines Tages bürokabinengroße Grabstellen kaufen.

Ich mache mir Sorgen um ihre armen verwaisten Kaffeetassen. Wie traurig und einsam müssen sie sein, so stehen gelassen in ihrem Dreck. Ich mache mir Sorgen, ich könnte das Leben einer dreckigen Kaffeetasse führen. Schrundiger Schimmel, der die Kaffeepfütze bedeckt, ein Lilienblatt auf einem letzten vergessenen Rest.

»Und was ist dein Traumjob?«, fragt mich mein ernster Freund, das Kinn auf die Hand gestützt.

»Schwer zu sagen«, antworte ich.

»Du musst es versuchen!«

Ich besinne mich auf meinen größten Wunsch. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, er wird mir erfüllt, aber dann verschwindet das Gefühl wieder, so wie ein Niesreiz manchmal wieder verschwindet. Es heißt, dass sich schon bei den ersten Anzeichen von Entfristung der Herzschlag beschleunigt, einem das Blut in die Wangen schießt. Ich habe sie alle gelesen, die Broschüren und Flugblätter. Manche Aushilfen schwören darauf, dass Schüttelfrost, Pulsrasen und Schweißausbrüche die ersten körperlichen Anzeichen einer nahenden Entfristung sind. Ich habe Angst, die Symptome meiner eigenen Entfristung zu verpassen, sie einfach zu übersehen. Sie nennen es auch: die Beständigkeit.

»Wenn man’s merkt, dann merkt man’s eben«, sagen die vom Glück Begünstigten. »Man kann es nicht erzwingen.«

Manche Aushilfen werden nie entfristet und sterben, noch bevor sie im Leben Fuß gefasst haben.

»Mein Traumjob ist ein Job, der bleibt«, sage ich zu meinem ernsten Freund. »Vielleicht bekomme ich ihn nicht morgen oder über Nacht, aber eines Tages werde ich aufwachen und so sein wie du.«

»Aber Süße, du kannst doch sein, was du willst!« Er streicht mir mit beiden Händen die Haare glatt, die sofort wieder in ihren Ausgangszustand zurückpuffen.

Mein ernster Freund, derjenige, der mit spitzen Fingern die Spinnen von meinem Teppich zupft und behutsam auf die Fensterbank legt, wohnt nicht bei mir. Keiner meiner Freunde wohnt bei mir, dafür sind ihre Freizeitpullover bei mir eingezogen, pillerige, haarige Wesen in meinem Schrank voller Business-Outfits. Manchmal bringe ich dem falschen Mann den falschen Pullover zurück, aber immer bleibt der Fehler unbemerkt. Was wir miteinander haben, ist nicht von Dauer, und das wissen sie auch. Sie kommen an bestimmten Abenden in der Woche, in bestimmten Wochen im Monat, sie sind eine Aneinanderreihung von offenen Armen, flauschige Papierpüppchen, die sich dem Sonntag entgegenziehen.

Ich habe sie meiner Mutter vorgestellt, aber persönlich begegnet ist sie ihnen, den Leitlinien für befristetes Leben entsprechend, nur ein einziges Mal. Zuvor hatte sie die Fotoziehharmonika begutachtet, die sich aus meinem Portemonnaie bis auf den Küchenboden zog.

»Der hier«, sagte sie, »hat hübsche Augen.«

»Mein Gourmetfreund.«

»Dein Bauch wird immer voll sein. Kluges Mädchen. Und der da?«

»Mein größter Freund.«

»Hm. So groß sieht er gar nicht aus.«

»Er hat nicht ganz aufs Bild gepasst.«

»Hm.«

»Den hier mag ich am liebsten«, sagte ich und ging die Selfies und Passfotos durch. Sie kniff die Augen zusammen und musterte sein komisches Grinsen. »Gibst du mir deinen Segen?«

»Sehe ich etwa wie eine Kupplerin aus?«, fragte sie und feuerte das Foto auf den Tisch. Meine Anspielung auf entfristete Verpartnerung hatte sie enttäuscht.

Im Küchenschrank meiner Mutter standen saubere, leere Tassen. Sie stärkte und bügelte ihre Kleider und brachte ihre Wimpern mit einer Zange in Form. Selbst wenn sie krank war, trug sie ihre Lieblingsohrringe.

»Sei vernünftig«, höre ich sie noch immer sagen. »Erzähl mir von deinen Jobs.«

Meine Ansprechpartnerin in der Agentur heißt Farren. Feuchtigkeitsgepflegt, mit frischem Teint und glänzendem Lipgloss, ist sie der Inbegriff von Selbstbewusstsein und Selbstfürsorge. Ihre Nägel sind stets glitzernd lackiert und blitzen unter weißen Manschetten wie Sternbilder zwischen Wolkenlücken hervor. Dies nun also, denke ich, sind die aus dem Himmel greifenden, mit Formularen und Verträgen hantierenden Hände, die mir ehrliche Arbeit verschaffen werden.

Während unseres ersten Gesprächs kletterte Farren auf ihren Schreibtisch und dirigierte mich in ihren bequemen Stuhl. Der Vorgang erschien mir so seltsam und beunruhigend, als wäre sie an die Decke gekraxelt, um mich in ein System aus Seilen einzuspannen. Ich fragte mich, ob ich einer Prüfung unterzogen wurde. Es fiel mir schwer, nicht einzuschlafen.

»Und? Wie fühlt sich das an?«, fragte sie und schob schwungvoll einen Stoß Papier beiseite, um für ihre Beine Platz zu machen.

»Wow, Farren, das ist ja der Wahnsinn!« Die ergonomische Lehne ihres Stuhls nahm mir jede Nervosität, versetzte mich in Trance, vielleicht beides.

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