Angelika Kutsch - Hauptsache, wir sind Freunde

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Papa will in die Stadt ziehen. Und Mama und Micki müssen mit, obwohl Micki gar keine Lust hat. Am liebsten würde sie bei ihrem besten Freund Olaf bleiben und weiter Schneckenhäuser und Vogelfedern sammeln. Mama sagt zwar, Umziehen macht Spaß, aber so richtig will Micki das nicht glauben. Kann sie wohl in der Stadt einen neuen besten Freund finden?Biografische AnmerkungAngelika Kutsch wurde am 28. September 1941 in Bremerhaven geboren. Nachdem sie zunächst einige Jahre als Büroangestellt tätig war, wurde sie Lektorin in einem Kinderbuchverlag in Hamburg. Heute arbeitet sie als Autorin und Übersetzerin von Kinder- und Jugendbüchern. Inspiration für ihre ersten beiden Bücher «Der Sommer, der anders war» und «Abstecher nach Jämtland» fand sie in ihren zahlreichen Aufenthalten in Schweden, die auch zu ihrer Karriere als Übersetzerin schwedischer Literatur beigetragen haben. Ihr Jugendbuch «Man kriegt nichts geschenkt» wurde 1975 mit dem Sonderpreis zum deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet und 2012 erhielt Angelika Kutsch den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr übersetzerisches Gesamtwerk.-

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Angelika Kutsch

Hauptsache, wir sind Freunde

Zeichnungen von

Detlef Kersten

Saga

Packtag

Micki weint laut. Mama sagt: „Umziehen macht aber wirklich Spaß! Du wirst schon sehen!“

Micki weint noch lauter. Sie denkt an Olaf, der hier bleibt. Und sie denkt an ihren Versteckbaum, den nur sie beide kennen.

„Du darfst auch im Möbelwagen mitfahren“, sagt Papa.

Micki hört auf zu weinen. „Ehrlich? Ehrenwort?“ Sie will, daß Papa ihr die Hand darauf gibt. Versprochen ist versprochen. Aber die Hand kann Papa ihr nicht geben. Er hat alle Hände voll zu tun. Er packt seine Schrauben. Papa sammelt nämlich Schrauben.

Das kann Micki überhaupt nicht verstehen. Sie sammelt auch Sachen.

Aber sie sammelt nur schöne Sachen. Sachen, die man gut gebrauchen kann, Schneckenhäuser zum Beispiel und hübsche Steine und Vogelfedern.

Mama findet Mickis Sachen aber nicht schön. Gerade wollte sie alles miteinander in die große Mülltüte stecken. Die steht mitten im Flur. Bis eben fand Micki die Tüte ganz ungefährlich. Leere Plastikflaschen, ausgeleierte Gummibänder und Papas alte Socken kann man ja wirklich zu gar nichts mehr gebrauchen. Bloß weg damit! Aber als Mama auch Mickis Sachen wegwerfen wollte, war die Tüte plötzlich ein gefährlicher Drache. Ein Drache, der sein schreckliches Maul aufsperrt.

Micki hat Mama den Schuhkarton mit den schönen Sachen weggerissen, und jetzt hält sie ihn ganz fest.

„Was willst du mit all dem Zeugs?“ fragt Mama. „Heute gefällt es dir noch, und nächste Woche ist es dir vielleicht schon langweilig. Dann haben wir alles umsonst eingepackt.“

„Nicht umsonst! Ich hab mich gefreut, als Olaf mir die Vogelfeder geschenkt hat.“ Micki wühlt in dem Karton und hält eine Feder hoch. Die ist blau und grau und hat schwarze Streifen. „Und wenn man sich erst mal gefreut hat, ist nichts umsonst“, sagt Micki. Sie zeigt auf Papas Schrauben. „Schmeiß die doch weg! Über die freut sich kein Mensch!“

Micki weiß, daß Mama Papas Schrauben auch nicht leiden kann. Die haben immer überall herumgelegen. Einmal hat Mama sogar eine Schraube in ihrem Hausschuh gefunden. Nein, Mama hat sie nicht gefunden. Draufgetreten ist sie, und das hat weh getan. Da hat Mama geschrien und schlimme Wörter gesagt.

„Doch, ich freu mich“, sagt Papa. „Die werden nicht weggeschmissen. Ich brauch sie nämlich noch!“

Mama seufzt. „Nun beeilt euch mal!“ sagt sie. „Morgen früh um sieben ...“

„... steht der Möbelwagen vor der Tür“, sagen Micki und Papa gleichzeitig. Das hat Mama heute nämlich schon viele Male gesagt.

Sie müssen alle lachen. Vielleicht macht Umziehen ja doch ein bißchen Spaß.

Papa ist an allem schuld

Micki hilft Papa. Sie legt die kleinen Schrauben in die kleinen Dosen und die großen Schrauben in die großen Dosen. Ganz krumme und verrostete Schrauben darf sie wegwerfen. Der Drache – die Tüte – muß ja auch was zu fressen kriegen.

„Fast wie bei Aschenputtel“, sagt Micki.

„Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“

Papa lacht. „Die Schrauben würden uns aber schwer im Magen liegen! Dabei fällt mir ein, wann kriegen wir denn was zu essen?“ Er guckt Mama an.

„Wie soll ich in dem Durcheinander kochen?“ fragt Mama. Sie zeigt mit spitzem Finger auf die Schrauben.

„Du sollst ja keine Schrauben kochen, und du sollst auch nicht im Flur kochen“, sagt Papa.

„Wo soll ich denn kochen?“ Jetzt piekt Mamas Zeigefinger in die Küche. Die Küche ist auch durcheinander. Das Durcheinander kommt schon zur offenen Tür heraus. Das ist ähnlich, wie wenn Micki ihren Spielzeugschrank aufmacht.

Dann fällt ihr auch alles entgegen. In der Küche stehen dicht an dicht Kisten, große und kleine Kisten, volle, halbvolle und leere Kisten. In die leeren Kisten soll alles gepackt werden, was in der Küche herumsteht: Zuckertüten, Mehltüten, Geschirr, ein Bügeleisen und der Weihnachtsengel.

Micki stellt sich neben Mama. „Wo soll Mama denn da kochen?“ schreit sie Papa an. Plötzlich ist sie wieder wütend auf Papa. Der ist an allem schuld. Er will nämlich in die Stadt ziehen. Und Mama und Micki müssen mit. Papa hat sein Wort nicht gehalten. Früher hat er immer gesagt, er will nie, nie von hier wegziehen. Er will immer bei Opa und Oma und seinem besten Freund Harri bleiben, hat er gesagt. Wegen der Frösche auf der Wiese hinterm Haus wollte er auch bleiben. Die haben im Sommer immer so schön gequakt. Und nirgendwo auf der Welt gibt es so gute Pflaumen und Äpfel wie in Opas Garten, hat Papa gesagt.

Aber zuerst ist Opa gestorben, dann ist Papas Freund Harri weggezogen. Dann ist Oma gestorben. Die Frösche quaken nicht mehr, weil die Wiese keine Wiese mehr ist. Dort stehen jetzt lauter neue Häuser. Opas Garten gehört nun anderen Leuten. Die essen jetzt die guten Pflaumen und Äpfel. Dann hat Papa seine Arbeit bei der Tankstelle verloren. Da mußte er sich eine neue Arbeit in der Stadt suchen.

Micki hat Papas Schrauben vergessen. Ihr fällt ein, wie schrecklich alles ist. Plötzlich muß sie wieder weinen. Sie kann gar nichts dagegen machen. Ihre Augen laufen einfach über. Mama sagt immer: „Hör auf zu weinen. Große Mädchen weinen nicht. Du bist doch mein großes Mädchen?“

Micki möchte gern ein großes Mädchen sein. Aber manchmal muß sie trotzdem weinen. So wie jetzt. Dann ist sie wieder ein kleines Mädchen. Dann nimmt Mama sie in die Arme und putzt ihr die Nase. So wie jetzt.

„Es wird ja alles wieder gut“, sagt Mama tröstend. Aber das ist gelogen. Klar, ein aufgeschlagenes Knie hört auf zu bluten. Irgendwann tut es nicht mehr weh, dann ist alles gut. Aber mit einem Umzug ist das anders. Den kann man nicht vergessen. Micki nicht. Danach wird bestimmt nichts mehr gut. Und deswegen muß Micki weinen.

„Ich geh jetzt zu Olaf!“ sagt sie schniefend. „Da gibt es wenigstens was zu essen! Pfannkuchen und Apfelmus!“ Olaf hat es ihr vorhin erzählt. Sie nimmt ihren Schuhkarton und knallt die Tür hinter sich zu. Sollen Mama und Papa doch sehen, wie sie ihre Schrauben und das ganze blöde Zeug verpacken.

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