Ende September 1829
[Campe an Karl Immermann, Hamburg, 25. September:] Seit drei Tagen ist H. [Heine] hier: in elf Tagen geht der dritte Reisebilderband in die Druckerei und wird bestimmt im November fertig. P1. [Platen] wird von H. nicht so milde behandelt, wie Sie es getan. Diese Abteilung, Platen betreffend, wird Ihnen dediziert werden. H. hat eine Menge kindischer Ängstlichkeiten, daß über seine Äußerung – im voraus gesprochen würde, so daß ich im Ärger darüber zu dem Entschluß kam, nicht einen Buchstaben des Manuskriptes lesen zu wollen, daher kann ich Ihnen nichts daraus mitteilen. Was er und einer seiner Freunde mir mündlich mitteilten, so berechtigt das zu großen Erwartungen.
[Heine blieb von Ende September 1829 bis Frühjahr 1831 in Hamburg; der Abschluß der „Bäder von Lucca“ beschäftigte ihn noch bis zum 16. November; Band 3 der „Reisebilder“ erschien daher erst Ende Dezember.]
190. Adolf Strodtmann 194
1829
Salomon Heine fühlte sich aufs ergötzlichste divertiert durch das drollige Zerrbild seines Rivalen [Gumpel], das sein Neffe in den „Bädern von Lucca“ aller Welt vor Augen gestellt. Das Original des Hyazinth war ein armer Lotteriebote, dessen fremdklingender Name Isaak Rocamora auf Heine einen so belustigenden Eindruck machte, daß er ausrief: „Rocamora! Reizender Buchtitel! Ehe ich sterbe, schreibe ich ein Gedicht ‚Rocamora‘!“
Herbst 1829
Ich hatte nach dieser ersten Entrevue* [im Oktober 1827] Heine lange nicht gesehen, als er mich einst aus meinem Nachmittagsschlummer aufweckte. Ich war überrascht. Er kam, wie er mir sagte, meine Wohnung kennenzulernen, um sie zu mieten, wenn sie ihm konvenierte*, da er gehört hatte, daß ich sie verlassen wollte. Sie war ihm aber zu geräuschvoll, wie er sich bald überzeugte. Er litte sehr an den Kopfnerven, sagte er, und deshalb müsse es stets ganz still um ihn sein.
Dieses Kopfnervenleiden ist von vielen in Zweifel gezogen worden; man sagt, er kokettiere damit, und sein: „Ach! ich bin sehr krank!“, womit er jedes Gespräch anfängt, habe eigentlich nichts zu bedeuten. Damen wollen sogar behaupten, es geschähe bloß, um dabei mit der Hand an die Stirne zu fahren, und so diese feine, weiße Hand bemerken zu lassen, worauf sich der Dichter nicht wenig einbilde. Ich will der letzteren Behauptung nicht geradezu widersprechen...
Ich glaube an Heines Kopfleiden. Seine Konstitution ist schwächlich; er wird oft plötzlich glühend rot, ohne äußere Veranlassung; er ist fast immer in einem gereizten Zustande; seine Art zu leben kann eben nicht für Leute, die ihre Gesundheit sehr in acht zu nehmen haben, zur Nachahmung empfohlen werden. Heine schlief mehrmals bei mir, und nicht nur die Uhr in seinem Schlafzimmer mußte dann entfernt, sondern selbst die im Nebenzimmer gänzlich zum Schweigen gebracht werden. Dies Ticktack und Schlagen hätte ihn so stark angegriffen, wie er versicherte, daß er am andern Morgen das stärkste Kopfweh gehabt haben würde...
Heines erster Besuch war nur kurz, aber dennoch erfreute er mich. Es lag viel Schmeichelhaftes für mich darin, wie dieser ausgezeichnete Mensch* mich aufgesucht hatte; es war mir augenscheinlich, daß er mit mir in nähere Berührung zu kommen wünschte.
Ich sah ihn von nun an öfter in Hamburg; er gefiel sich so gut in meinem Hause, daß er mir bald täglich seinen Besuch machte.
Er forderte mich auf, mehrere Novellen, die ich in früherer Zeit verfaßt hatte und die in der Abendzeitung, im Morgenblatte und an andern Orten abgedruckt waren, zu sammeln und herauszugeben. Er interessierte sich auf das freundschaftlichste dafür und sprach mit seinem Verleger Julius Campe, der sie annahm.
Ich habe es ihm oft lachend gesagt: „Er lade den Fluch der Lesewelt auf sich, wenn ich nun nach und nach, gleich andern Novellisten, so ein fünfzig Bändchen zutage fördern sollte.“ Dem ersten Bande Novellen, der die ältern enthielt, folgte bald der zweite. Die fünf, die ihn füllten, wurden schnell hintereinander geschrieben, und Heine nahm sich die Mühe, sie im Manuskripte, mit dem Bleistifte in der Hand, zu lesen und mir seine Bemerkungen darüber mitzuteilen. Die Begebenheiten in Polen forderten mich auf, mehrere Erlebnisse aus jenem Lande zu Papier zu bringen und unter dem Titel „Warschau“ herauszugeben. Auch dieses Manuskript sah Heine durch. „Das ist keine Novelle,“ sagte er, „Sie müssen es anders nennen.“ Und er erfand den Namen „ Zeitbild “ dafür, wie er früher „Reisebilder“ erfunden hatte und wie er später „Zustände“ erfand. Diese Benennungen haben seitdem alle das Bürgerrecht erhalten.
[Nach Erscheinen der „Novellen“ empfahl Heine das Buch Lewalds warm an Menzel (9. Dezember 1830), obgleich er mit diesem kaum noch freundschaftlich stand, und in einem Brief an W. Alexis (17. Januar 1831) stellt er Lewald das Prognostikon, „daß er einst in seinem Fache zu den beliebtesten Schriftstellern gehören werde.“]
Anfang 1830
Heine... erfuhr in Italien den Tod seines Vaters, der plötzlich [2. Dezember 1828] erfolgte, und sogleich reiste er nach Hause, alles im Stiche lassend, weil er nun glaubte, „daß seine Mutter auch sterben müsse“, wie er mir sagte. Sein Vater war ein unglücklicher Mann, erzählte er mir einst, dem es sein ganzes Leben mit nichts recht glücken wollte.
Heine lebte in Hamburg ohne öffentliche Anerkennung. Seine Werke wurden verschlungen, aber um ihn kümmerte man sich nicht. Desto ungenierter* konnte er leben. Er hatte wenig Umgang. Nächst seiner Schwester besuchte er wohl mich am häufigsten. Nachmittags sah man ihn zuweilen in einem Zirkel, der sich bei dem Schauspieler Forst zu versammeln pflegte und aus den heterogensten Elementen bestand. Einige Mitglieder des Stadttheaters, Cornet, Jost, Emil Devrient, einige junge Advokaten und Mediziner, der Lustspieldichter Töpfer und ich waren dabei. Es wurde gewöhnlich bis zum Anfang des Theaters gespielt. Heine sah zu; er spielte niemals mit. Später besuchte er gern den Salon von Peter Ahrends, wie man jene berüchtigten Bälle in Hamburg zu nennen pflegt, die jeden Abend stattfinden. „Man nennt mich in Berlin den Salondemagogen,“ sagte er lachend, „ohne jedoch zu wissen, wie richtig man mich damit bezeichnet. Ahrends Salon vereinigt die anständigste Gesellschaft. Ich finde da stets den feinsten, ungeniertesten Ton in Hamburg und sehr gute Geschöpfe.“
Vormittags sah man ihn bei seinem Verleger Campe; besonders wenn der Ballen aus Leipzig neue Journale brachte, die er dann durchflog. Er hatte Campe sehr gern. „Solange er noch so bleibt,“ pflegte er zu sagen, „bleibe ich bei ihm. Sie glauben indes nicht,“ fügte er dann lachend hinzu, „wie sehr er sich verändert hat. Ehe er nach Italien reiste, war er ein vortrefflicher Mensch.“
Campe war daran gewöhnt, über sich scherzen zu lassen und nahm es Heine vollends nicht übel.
„Der Börne kostet ihm zuviel“, sagte dieser, „und will noch immer nicht recht ziehen.“
„Aber Börne wird ziehen, wenn Sie längst vergessen sein werden“, gab dann Campe zurück.
„Das ist ein Unglück für ihn und für Sie,“ erwiderte Heine, „daß so lange darauf gewartet werden muß.“
Als Paganini in Hamburg war, interessierte es ihn sehr, ihn zu hören, jedoch nicht ohne Eifersucht schien er bei dem ungeheuren Aufsehen, das er machte. Wir aßen einige Male mit dem berühmten Virtuosen, und Heine beobachtete ihn genau; er schien damals mit dem Gedanken umzugehen, ihn zum Gegenstande einer Schilderung zu wählen. Später forderte er mich dazu auf, und ich sagte es ihm zu. Als ich dann aber nicht meinem Versprechen nachkam, machte er mir Vorwürfe darüber und sagte, er hätte ihn mir freundschaftlich überlassen wollen, und es wäre unrecht, daß ich ihn nun liegen ließe. Besonders verliebt schien er in den Begleiter Paganinis, einen bekannten Schriftsteller [Georg Harrys] aus Hannover, den er sich gar ergötzlich zu schildern vorgenommen hatte.
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