20. April 1829
[Tagebuch:] Dr. Gans, Dr. Heine... haben mir durch ihre Erscheinung und ihr Bezeigen am meisten wohlgetan. [Rahel war damals gefährlich erkrankt; ein prächtiger Rosenstrauch, den Heine sandte, erweckte in der Kranken „die ersten Empfindungen eines heilvollen Übergangs“, vgl. „Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde“, Berlin, 1834, III, 384.]
180. Heinrich Stieglitz 12
April/Mai 1829
Mit dem erwachenden Frühling ein Ausflug nach Potsdam, wo acht glückliche Tage gelebt wurden. Dort weilte in ländlicher Zurückgezogenheit damals H. Heine, der sich uns [Stieglitz und seiner jungen Gattin Charlotte] freundlich anschloß und vielfältig mit uns die umliegenden Hügel besuchte. – Heine schrieb damals gerade den dritten Band seiner Reisebilder, welcher die nicht immer saubere Polemik gegen Platen enthält. – „Ich bitte Sie um Gottes willen, schöne Frau,“ sagte er eines Tages mit liebenswürdiger Selbstironie, „lesen Sie niemals das abscheuliche Zeug, das ich jetzt schreibe.“
Mai 1829
Während unseres Aufenthalts in Berlin besuchte mein Bruder Heinrich und ich oft das gastliche Haus von Varnhagen von Ense, wo die Sommitäten in der Wissenschaft sich gern um die berühmte Wirtin, die unvergleichliche Rahel, scharten.
„Haben Sie Heinrich Stieglitz kürzlich gesehen?“ fragte eines Abends Varnhagen meinen Bruder.
„Seit längerer Zeit nicht.“
„So kann ich Ihnen seine Adresse geben, er hält sich jetzt in Potsdam auf.“
Auf dem Rückwege von Varnhagen nach Hause sagte mir mein Bruder: „Morgen früh um zehn Uhr fahren wir nach Potsdam, besuchen Heinrich Stieglitz, und du wirst seine sehr interessante Frau kennenlernen.“
So geschah es. Nach dreistündiger staubiger Fahrt, wozu man heutigentags kaum eine Stunde braucht, aßen wir in einem Potsdamer Hotel zu Mittag (eine Angelegenheit, die der gesunde Heinrich Heine sehr ungern verzögerte), besuchten dann Stieglitz und seine Frau, die in einem Gartenhause sehr einfach, aber angenehm wohnten.
Wir fanden eine sehr herzliche Aufnahme, und Charlotte Stieglitz ließ es sich nicht nehmen, uns einen wohlschmeckenden Kaffee vorzusetzen... Ich weiß nicht, wie es kam, die lebhafte Unterhaltung berührte auch den Heroismus der Frauen in der französischen Revolution.
„Mit dem Schlusse des vorigen Jahrhunderts“, rief Stieglitz aus, „sind die tatvollen großen Frauencharaktere verschwunden, und die Weiber sind hervorgetreten.“
„Sie meinen doch nicht die Berliner Waschweiber?“ unterbrach ihn lachend Heine.
Da verfinsterten sich plötzlich die so schönen Gesichtszüge Charlottens, sie wandte sich rasch zu ihrem Manne um, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte mit einem mir unvergeßlichen Ausdrucke ihrer Stimme: „Also du meinst wirklich, es gibt heutzutage keine Frauen mehr wie jene Römerin, die Arria, welche ihrem Manne den blutenden Dolch wie eine Bonbonniere präsentierte.“
„ Jedenfalls“, setzte Heine scherzend hinzu, „gehörte er mehr zu den Weibern.“ Es wurde darauf noch vieles über Literatur und hervorragende Persönlichkeiten Berlins gesprochen, und abends fuhren wir nach Berlin zurück...
Auf dem Rückwege sprachen wir nur von dem Ehepaar, und da brach mein Bruder in die prophetischen Worte aus: „Weißt du, Max, die sind nicht glücklich zusammen, die zanken nicht miteinander, sondern hadern mit dem Schicksal; das ist die schlechteste Sorte von Verdruß, und ich sage dir, entweder er wird verrückt, oder sie begeht einen Selbstmord.“
Leider hat die Zeit die Wahrheit dieser Worte bestätigt; noch heute gedenke ich des Schreckens, als die Trauerkunde durch ganz Deutschland flog: Charlotte Stieglitz hat sich ermordet, um ihren geliebten Mann, den von ihr überschätzten Dichter, von den Fesseln der Ehe zu befreien, und um durch ein erschütterndes Ereignis, durch einen großen Schmerz den wahnvollen Geist zu neuem Aufschwung zurückzuführen.
[Max Heines Erinnerung ist unzuverlässig: Heine wohnte von Mitte April bis Ende Juni in Potsdam, und Heinrich Stieglitz nebst Gattin besuchten ihn dort. Von diesem Aufenthalt in Potsdam erzählt Heine selbst, mit starker, dichterischer Freiheit, in den „Florentinischen Nächten“ (Erste Nacht); er erwähnt hier auch den Bruder, der „zufällig“ in diese Potsdamer Idylle eingebrochen sei und dem er „nicht ausweichen“ konnte. Auch der erste der Briefe „Über die französische Bühne“ knüpft an den Aufenthalt in Potsdam an.]
Anfang Juni 1829
[Campe an Karl Immermann, Hamburg, 12. Juni:] Der dritte Reisebilderband ist der Vollendung nahe, und Heine meinte, der Graf [Platen] wäre ihm eben so gekommen, wie ein Wild bei der Treibjagd die Reihe der Schützen passiert; er würde ihm gehörig auf den Pelz brennen. Während meiner kurzen Anwesenheit [in Potsdam] hatte er nicht Zeit, die Lektüre [des „Romantischen Oedipus“, den ihm Campe gebracht hatte] zu vollenden, denn wir waren meistens beisammen und hatten besseres zu tun, wie Platensche Misere zu verarbeiten; daher kenne ich den ganzen Eindruck nicht, den er auf H. gemacht hat, aber soviel ist mir klar geworden, daß er sich darüber und die Infamie, die so sehr nach Erbärmlichkeit schmeckt, sehr verletzt fühlte, und besonders Ihretwegen...
183. Varnhagen von Ense 103
Mai 1829
Heine wohnte im Sommer 1829 eine Zeitlang in Potsdam, kam aber oft nach Berlin und besuchte seine Bekannten. Eines Abends kam er mit Gans aus dem Tiergarten zu Mendelssohn-Bartholdys und erzählte unter anderem: „Wir haben unterwegs uns Nelken gekauft, ich habe die meinigen zerpflückt und ins Wasser geworfen, und Gans hat“ – mit müdem, wehmütigem Tone sprach er das weiter – „die seinigen gegessen !“ Dieser Vortrag, wie ein kleines Gedicht abgerundet und geschlossen, so bezeichnend für die Unarten von Gans, wirkte wie ein Zauberschlag, und die ganze Gesellschaft war außer sich vor Vergnügen.
[Von einem Besuch in Berlin berichtet Heines undatierter Brief an Friederike Robert (Hirth Nr. 228); sehr oft scheint er aber Berlin nicht aufgesucht zu haben, er lebte in Potsdam „wie Robinson auf seiner Insel“.]
184. Heinrich Stieglitz 12
Juli 1829
Das Ministerium des Kultus, das, um mich nicht dem Unterrichtsfache zu entziehen, bisher immer gezögert hatte, meine Anstellung bei der Königlichen Bibliothek als eine definitive zu erklären, hatte endlich... die seither monatlich zugeflossenen Diäten in einen festen Jahresgehalt verwandelt... Da nunmehr bei unsern bescheidenen Anforderungen an das äußere Leben sich ein naher Zeitpunkt feststellen ließ zu dauernder Vereinigung, so durfte um so eher die eigentlich bis zur Hochzeit gestellte Frist des Wiedersehens [mit Charlotte] abgekürzt und ein Ausflug nach Leipzig unternommen werden... So brachten denn die Osterferien... acht Tage eines reinen ungetrübten Glückes. Wie beseligend diese schöne Zeit auf mich gewirkt, davon zeugt das nach der Rückkehr... gesungene Frühlingsfest in Kaschmir, unstreitig die glänzendste und glühendste Partie der „Bilder des Orients“, an welcher auch H. Heine, der sie bei einem Besuch im Sommer 1829 im Manuskript kennenlernte, sich ganz besonders erfreute.
185. Rebekka Dirichlet geb. Mendelssohn 111
Sommer 1829
[Aufzeichnung Varnhagens:] Die Professorin Dirichlet erzählte mit vielem Wohlgefallen, wie einst, im Sommer 1829, Heinrich Heine zu ihnen – der Familie Mendelssohn-Bartholdy – gegen Abend in den Garten gekommen sei, auf den Stufen des Gartensaales vor dem Hinabschreiten sich in den Anblick gleichsam verloren und ihnen, den etwas tiefer und ferner Sitzenden, mit Entzücken zugerufen habe, welche Eindrücke er empfangen, wie schön sie umgeben seien, wie leicht es ihnen da werde, liebenswürdig zu sein; die hohen Bäume, das frische Gras, die duftenden Blumen, das Blau der Luft und die Wolken, die Gruppierung des Einzelnen und den Zusammenhang des Ganzen habe er so ganz wahr und so durchaus schön bezeichnet, daß es ein herrliches Gedicht geworden, so herrlich wie irgendeines seiner geschriebenen. Dann erst sei er zu ihnen herabgeschritten und habe freundlich weitergesprochen. Leider seien die Worte, aus dem Stegreif gesagt, in die Lüfte verflogen, und niemand habe sie festgehalten, er selbst am wenigsten.
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