Nach dieser vorschriftsmäßigen Prüfung fand der eigentliche Taufakt statt, in welchem Heine die Namen Christian Johann Heinrich empfing, sein Taufpate war Bonitz ...
Gegen 12 Uhr war der Akt vorüber, die drei Beteiligten begaben sich nun in das Familienzimmer... diesen Aufenthalt Heines im Grimmschen Familienkreise und sein Abschied mag ein Augenzeuge, der Verfasser des erwähnten Artikels, schildern:
„Nach 12 Uhr erschienen die Herren im Familienzimmer und stellte der Hausherr den Fremden als Stud. jur. Heinrich Heine vor, unwillkürlich auf den Vornamen einen stärkeren Akzent legend, was den Freund Bonitz zu einem raschen Aufblicken und Lächeln veranlaßte. Das Mittagessen verlief still; der Hausherr und Bonitz führten die Unterhaltung ziemlich allein, aber auch nur mit halber Aufmerksamkeit. Heine beteiligte sich dabei nur soviel wie nötig, um nicht unhöflich zu sein; sein Gesicht trug den Stempel tiefer innerlicher Erregung, und in den dunkeln Augen war erkenntlich, daß seine Gedanken nicht bei der Unterhaltung waren. Ebenso ging es den geistlichen Herren, die, beide als geistreiche Gesellschafter in ihren Kreisen bekannt, heute offenbar mit andern als den geführten Gesprächsgegenständen beschäftigt waren und öfter ihre Blicke zu dem jungen Manne prüfend und doch mit einer besonderen Milde und Freudigkeit hinübergleiten ließen. Nach Tisch empfahl sich Heine bald. Sein Abschied von dem Superintendenten Grimm war ein besonders herzlicher und warmer, und als er, schon an der Tür, sich nochmals umwendete und demselben wiederholt die Hand reichte, schimmerte es ihm feucht im Auge.“
[Die ganze Schilderung, auch die in der „Gartenlaube“, geht offenbar auf Angaben des Pastors Grimm zurück.]
118. Ferdinand Oesterley 193
Juni 1825
[Mitteilung von Karl Oesterley an Karpeles:] Oesterley erzählte in späteren Jahren oft von dem inzwischen berühmt gewordenen Dichter allerlei Schnurren, so z. B. von einer sehr heitern Fahrt ins Bürgertal, welche bei Gelegenheit von Heines Taufe stattfand. Heine behauptete Oesterley gegenüber merkwürdigerweise stets, seine Gedichte seien unmusikalisch und eigneten sich nicht zur Komposition, während dieser das Gegenteil fand und zum Beweise ein Lied an den Mond komponierte, welches Heine für diesen Zweck gedichtet. Heine behielt die Komposition... Aus einer Gesellschaft, die er einmal in Sehlens Garten seinen Kommilitonen gab, war Heine selbst plötzlich verschwunden; seine Gäste suchten ihn und fanden ihn schließlich in seiner Wohnung – im Bette. Die Gesellschaft war ihm zu langweilig geworden.
[Karpeles vermutet, es handle sich um Heines Gedicht: „Mir träumte: traurig schaute der Mond“ usw.]
28. Juni 1825
An einem schönen Tage machten wir in einer leichten, offenen Kalesche einen Ausflug von Göttingen nach dem einige Meilen entfernten preußischen Städtchen Heiligenstadt. Ein anmutiger Chausseeweg führt dahin. Wir plauderten viel und mokierten uns über die lächerliche Titelsucht; Heinrich rief: „Wer mich Doktor juris schimpft, dem mache ich einen Injurienprozeß, in welchem ich mit Hilfe der zehn römischen Tafeln selbst plädieren werde, oder prügele ihn so lange durch, bis er auch den Doktor der Medizin ruft.“
Mittlerweile waren wir an die Grenze des preußischen Staats gelangt, wo an dem schwarzweißen Schlagbaume ein martialisches „Halt!“ gerufen wurde und ein Originalstück von Gamaschenfeldwebel mit purpurroter Nase zu uns herantrat. Er richtete an meinen Bruder folgende Fragen:
„Vorname?“
Antwort: „Heinrich.“
„Zuname?“
Antwort: „Heine.“
„Titel?“
Antwort: „Liegt schon im Namen.“
Nachdem der Feldwebel dies in Hieroglyphen auf einer Schiefertafel protokolliert hatte, begann er abermals zu fragen:
„Und der andere Herr. Vorname?“
Antwort: „Maximilian.“
„Zuname?“
Antwort: „Bruder.“
„Titel?“
Antwort: „Haupthahn zu Mariahüpp.“
Da ich gerade am letzten Sonntage zu Mariaspring (einem lieblichen Tanzorte in der Nähe von Göttingen und von den Studenten Mariahüpp genannt) sehr viel herumgetanzt hatte, so sollte der Haupthahn soviel als Haupttänzer heißen. Auch Obiges wurde von dem Grenzfeldwebel gewissenhaft notiert, dann kam die Frage:
„Nichts Zollbares?“
„Nichts, außer Gedanken und Schulden.“
Wieder eine Frage:
„Absicht der Reise nach Heiligenstadt?“
Antwort: „Um katholisch zu werden.“
Bekanntlich ist das in diesem Winkel gelegene Heiligenstadt eine streng katholische Stadt.
Der Preuße machte ein gar ernstes Gesicht, schüttelte mit dem Kopfe und schloß mit der Frage:
„Kehren die Herren zurück?“
Antwort: „In der Nacht als Bischöfe.“
So wurde damals bei den Studenten nach den bekannten Getränken jeder benannt, der vom „Bischof“ schon zuviel und vom „Kardinal“ noch zuwenig hatte.
[Die Erwähnung des Doktortitels verweist die Anekdote in das Jahr 1825, und vielleicht handelt es sich um die „sehr heitere Fahrt ins Bürgertal“ bei Gelegenheit von Heines Taufe, wovon Oesterley erzählt (Nr. 118). Max Heine studierte damals Medizin in Berlin; sein Besuch in Göttingen um diese Zeit ist nicht nachweisbar. Da er sich auch bei andern Erlebnissen seines Bruders als Mitbeteiligten nennt, obgleich er gar nicht dabei sein konnte, ist die obige Erzählung wohl ein Gemisch von Reminiszenzen aus 1824 und später Gehörtem.]
Juli 1825
Bekanntlich hat man vor dem Doktorexamen und der Promotion die Hälfte der Gebühren, wenn ich nicht irre zehn Louisdor, bei der Anmeldung dem betreffenden Dekan der Fakultät einzuhändigen. Nach dem Examen und vor der Promotion zahlt man die andere Hälfte.
Der Dekan der juristischen Fakultät in Göttingen, zu der Heine gehörte, war damals der hochberühmte Rechtsgelehrte Professor Hugo. Bei ihm meldete sich zum Examen und Promotion Heine, indem er die ganze Summe (zwanzig Louisdor) dem Dekan hinschob.
Professor Hugo aber schob die Hälfte der Summe zurück, indem er sagte: „Erst, mein lieber Herr, müssen wir Sie prüfen.“ Heine schob die Hälfte der Summe wieder zurück, indem er sagte: „Prüfet alles und behaltet das beste.“
[Heine selbst erzählt diese Anekdote in einem Brief an den Philosophen J. H. v. Fichte vom 6. Oktober 1851.]
25. Juli 1825
Beim Abschied schenkte er [Heine] mir Immermanns Tragödien und schrieb, da ich etwas von seiner Hand verlangte, nach kurzem Besinnen hinein: „Was ist der Mensch? Frage die Göttinger philosophische Fakultät.“
122. Adolf Strodtmann 194. 177
31. Juli 1825
Der eigentliche Doktorschmaus wurde erst am 31. Juli gefeiert, und zwar nicht in der damaligen Sommerwohnung Heines..., sondern in dem... Garten... des Forstmannes G. Swoboda... Vor dem bescheidenen Hause stand damals unter einer dichtbewachsenen Laube wilden Weines und im Schatten zweier hohen Akazien ein runder, steinerner Tisch, und auf diesem reihte sich Flasche an Flasche des perlenden Weines, den Fritz Bettmann, der joviale Kronenwirt, geliefert. Ein wunderschöner, lauer Sommerabend begünstigte den ungebundenen Jubel der Gäste, zu welchen Knille, Lehzen, Siemens und ein paar andere Westfalen gehörten; der neugebackene Doktor machte den liebenswürdigen Wirt und sprudelte über von Geist und Laune. Erst als Mitternacht lange vorüber, die Flaschen leer und die Köpfe ziemlich voll waren, verabschiedeten sich die Freunde mit herzlicher Umarmung auf Nimmerwiedersehen von dem Dichter, dessen Koffer schon zur Abreise gepackt stand.
[Dazu ergänzt Varnhagens Tagebuch vom 12. Juni 1856 aus Göttingen:] Der Wirt, Herr Bettmann, erzählte von Heine, derselbe sei von seinem Doktorschmaus her ihm noch einen Anker Wein schuldig, auf wiederholte Mahnungen – zuletzt nur um eines seiner Bücher – habe er nicht geantwortet.
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