Der ganze Wald war versammelt, und Meister Reineke war tatsächlich gekommen. Er tat sehr zuversichtlich und rauchte sein Mutzpfeifchen, gerade als wenn alles nur Spaß wäre. Ich gebot ihm, sein Pfeifchen wegzustecken, und als er es nicht gleich tat, piesackte ihn der Igel. Der Igel war nämlich als Gerichtsdiener bestellt worden.
Frau Eule verlas die Klageschrift und mischte viele Paragrafen hinein. Die Anklage lautete auf sechsfachen vorsätzlichen Mord, auf fünffachen Diebstahl, dreimal auf Einbruch, auf zwei räuberische Überfälle und eine Plünderung bei der gnädigen Frau Fasan, verbunden mit Eieraussaufen.
Hier unterbrach der Angeklagte die Vorlesung mit dem Zwischenruf: »Das hat der Marder getan.«
Mein Beisitzer, Junker Steinmarder, sprang wütend auf und strich drohend seinen Schnauzbart. Ich hatte Mühe, ihn zurückzuhalten und die Ruhe wiederherzustellen. Dann folgten noch unzählige Beleidigungsklagen.
Ich fragte nun den Angeklagten, ob er seine Schandtaten eingestehen wolle.
Er grinste mir frech ins Gesicht mit allen seinen weißen Zähnen und sagte: »Ich lehne das Gericht ab als befangen.«
Ein Schrei der Entrüstung erhob sich, und der Igel wollte Reineke wieder piesacken, aber ich wies ihn zur Ruhe.
»Warum befangen?«, fragte ich.
»Weil ich dem Marder Konkurrenz mache«, antwortete Reineke, »und nicht bloß befangen ist das Gericht, es ist anrüchig.« Das war eine starke Beleidigung, und ich fürchtete mit Recht, dass ich die Versammlung nicht bändigen könne in ihrer Wut. Da trat eine Katastrophe ein. Bums – fiel ein Schuss.
Alles stob auseinander. Als der Pulverrauch sich verzogen hatte, stand der Jäger da, und Reineke lag in seinem Blute. Jägers Waldmann biss ihm zum Überfluss noch durch die Kehle. Das Gericht war zu Ende, ehe es recht angefangen hatte.
Ich nahm den Jäger mit in meine Waldklause und ließ ihn sein Pfeifchen stopfen mit meinem selbstgezogenen Tabak. Er lobte das Kraut sehr, tat bloß drei Züge aus der Pfeife, weil er einen Katarrh hatte, wie er sagte.
Meine Freundschaft mit den Kobolden ist im Walde bekannt geworden. Das ganze heimliche Volk ist mir gewogen. Ich habe auch schon Beziehungen zu dem Feenreiche und werde jetzt manches gewahr, wovon die Menschen nicht leicht etwas erfahren.
Von einer Studienreise mit der Fee Minimax will ich euch heute erzählen. Das ist eine wenig bekannte, aber sehr mächtige Fee. Für gewöhnlich sieht sie aus wie eine kleine, grüne Fliege, die flink und lustig herumschwirrt, und so erschien sie mir, als ich ihre Bekanntschaft machte.
Ich war recht ärgerlich über diese grüne Fliege, die mir immer um den Kopf summte, als ich eines Tages auf der Bank vor meiner Klause saß. Ein paarmal schlug ich sogar nach ihr, zum Glück, ohne sie zu treffen.
»Na, was willst du denn?«, rief ich verdrießlich aus. In demselben Augenblick verwandelte sich die Fliege in eine wunderschöne Fee mit wallendem, grünem Haar, das wie ein Mantel um sie herumhing. Das Haar war wirklich grün, aber es stand ihr gut. Ihr könnt euch denken, dass ich nicht wenig verdutzt war. Da ich nicht wusste, ob ich es mit einem guten oder bösen Geiste zu tun hatte, schlug ich zur Vorsicht ein Kreuz.
Die Fee lächelte freundlich und sprach mit glockenheller Stimme: »Seid nicht bange, Waldbruder, ich tue Euch nichts zuleide. Ich bin die gute Fee Minimax. Gebt mir etwas Honig, so will ich Euch interessante Dinge zeigen.«
»Gern«, antwortete ich, »aber der Honigtopf ist leer. Die Fuchskinder haben alles aufgegessen.«
»Schaut mal nach«, sagte die Fee, »ein Tropfen genügt für mich.«
Es fand sich wirklich noch ein Tropfen, und sie leckte ihn zierlich aus dem Topfe und wischte sich vergnügt das Mäulchen mit dem Handrücken.
»Nun hört zu, Waldbruder«, fing sie dann an, »ich will Euch mitnehmen auf eine Reise und an Orte führen, wohin sonst kein Mensch kommt. Aber unter einer Bedingung, nämlich, dass ich Euch ganz klein mache, denn sonst geht es nicht.«
Ich fragte verwundert, ob sie das denn könne. »Freilich«, sagte sie, »ich bin ja die Fee Minimax und kann das Größte ganz klein machen. Ihr braucht aber nicht so klein zu bleiben, nachher gebe ich Euch Eure natürliche Größe wieder.«
Daraufhin wollte ich es wagen, sagte ich, vorausgesetzt, dass weiter keine Gefahr dabei sei.
»Nicht die geringste«, versicherte die Fee und machte dann ein paar Zeichen in die Luft. Sogleich fühlte ich, wie ich zusammenschrumpfte, immer mehr und immer mehr. Zuletzt war ich klein wie ein winziger Käfer, kleiner als ein Maikäferchen. Die Fee Minimax war wieder zu einer Fliege geworden.
Sie ergriff mich bei der Hand und rief: »Auf! Zuerst besuchen wir den Tanzsaal zum Aronsstab!« Surr – ging es durch die Luft.
Ihr kennt doch den Aronsstab. Das ist eine Pflanze, die gern im Schatten wächst. Sie hat große fleischige Blätter. Die Blüte ist umgeben von einer hellgrünen Tüte, die sich in der Mitte verengt und unten zu einem Ballon erweitert. Aus dieser Tüte ragt ein violetter Kolben heraus. Auf einen solchen Kolben setzten wir uns nieder. Ich war außer Atem von dem schnellen Fliegen.
»Kriecht nur hinter mir her«, sagte Fee Minimax und kletterte an dem Kolben abwärts. Die enge Stelle in der Tüte, die mir gewaltig groß erschien, war versperrt durch einen Zaun von dicken weißen Borsten. Sie standen wie ein Gartengitter kranzförmig nach allen Seiten hin. Die grüne Fliege drängte sich hindurch und hielt mir den Eingang offen. So kamen wir in den unteren Raum, der ringsum geschlossen war. Da war ein Leben! Eine warme Luft schlug mir entgegen, und ein lustiger Lärm füllte den runden Saal. Dutzende von Fliegen und Mücken tanzten nach Herzenslust. Zwischendurch drängten sie sich zu einer Honigquelle unten am Boden und labten sich. Mitunter wollten einige nach oben hinausfliegen ins Freie, aber dann stießen sie gegen den Borstenzaun und fielen wieder zurück.
»Seht, Waldbruder«, sagte die Fee Minimax, »sie sind alle in die Falle gegangen. Hinein geht es leicht, weil die Borsten nach unten gerichtet sind, aber hinaus schwer.«
»Wie grausam!«, rief ich aus, »da müssen sie ja schließlich alle zugrunde gehen.«
Die Fee belehrte mich eines anderen: »Seht Ihr dort den Kranz von gelben Blättern? Das sind die Staubblüten des Aronsstabes. Und dort unten die weißen Köpfe sind Stempelblüten. Das Mückenzeug soll den Blütenstaub auf die Stempel bringen, sonst bekommt der Aronsstab keine Frucht. Wenn das genügend besorgt ist, schrumpfen die dicken Borsten ein, und der Ausgang wird frei. Der Aronsstab speist seine Gäste auch mit Honig, solange sie bei der Arbeit sind. Es ist also ein ganz reelles Geschäft.«
Das gefiel mir nicht schlecht, und ich trank auch mal aus der Honigquelle. Aber nun wurden die Mücken zudringlich und wollten alle mit mir tanzen. »Holla«, riefen sie, »was für ein putziger brauner Kerl! Komm, tanz mit mir, tanz mit mir!«
Es wurde mir ganz schwindlig. Da kam die gute Fee mir zu Hilfe, sie ergriff mich bei der Hand und kletterte hinaus. Die Borsten rissen meine Kutte fast in Fetzen, ich werde tüchtig flicken müssen.
»Jetzt zum Waldteich!«, rief Fee Minimax, »da gibt es noch mehr zu sehen!« Surr – ging es durch die Luft bis an das Ufer des Waldteiches.
»Jetzt tauchen wir unter Wasser«, sagte die Fee, »aber seid nicht bange. Lasst mir nur machen.«
Nun fing die kleine, grüne Fliege an zu surren in einem schrillen Tone. Nicht lange, da kletterte eine dicke Spinne mit langen braunen Haaren an einer Binse aus dem Wasser und glotzte uns an.
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