»Gleich heute Abend«, rief er voll Eifer, »kann es losgehen. Ich übernehme die Einladungen und will ihnen die Ohren so vollschreien, dass keiner fehlt. Wir kommen hier an der Klause zusammen und ziehen dann die Prozession zum Waldkapellchen, wo die liebe Mutter Gottes steht. Eine Prozession muss dabei sein, sonst ist es nichts. Für den Blumenschmuck muss die gute Fee Flora sorgen, die da hinten auf der Lichtung ihren Garten hat. Ich will gleich mit ihr sprechen.«
Ich konnte seine Vorschläge nur billigen, und er hob schon die Flügel.
Da drehte er noch einmal den Kopf und sagte: »Aber wir machen keinen künstlichen mehrstimmigen Gesang. Ich bin für den schlichten Choral.«
Er ist nämlich nicht besonders stark in der Musik. Ich sagte, es sei gut, und er flog ab.
Den Tag benutzte ich nun, um eine kräftige Bußpredigt zu studieren, die für Reineke bestimmt war. Ich will aber gleich sagen, dass die Predigt gar nicht gehalten worden ist, weil Reineke ausgeblieben ist. Er ist verstockt. Außerdem hätte die strenge Predigt auch nicht gut gepasst; ich halte sie ihm nächstens allein, sobald ich ihn erwische. Dann mache ich ihm gründlich die Hölle heiß.
Alles verlief in schöner Ordnung, und die Beteiligung war sehr stark. Bei der Prozession sagen wir die Litanei, ich und der Küster allein, die anderen können kein Latein. Der Kuckuck traf die Terz so rein und klar, dass es ordentlich ein Ohrenschmaus war. Alle drei Schritte machten wir eine Pause, Frau Schnecke konnte sonst nicht mitkommen. Zuletzt nahm Frau Eichhörnchen die Alte auf den Rücken, mitsamt ihrem Häuschen, und da ging es schneller. Nun hättet ihr einmal sehen sollen, wie wunderprächtig die gute Fee Flora das Waldkapellchen geschmückt hatte! Es war ein kleines Paradies, ja, ein Stückchen Himmel.
Dichte Gewinde von weißen Waldröslein lagen zu den Füßen der lieben Mutter Gottes, und rechts und links flammten große Büsche von roten Weidenröschen. Die Stufen waren bedeckt mit einem himmelblauen Teppich von lauter Vergissmeinnicht, und alle Wände waren bunt von Blumen. Es sah aus, als wenn die Steine alle am Blühen wären. Und ein Duft war in der Luft, als wenn man allen Weihrauch Arabiens auf glühende Kohlen geschüttet hätte. Der Küster hatte auch sein Bestes getan. Er hatte zwei Dutzend lange Königskerzen aufgestellt. Die liebe Mutter Gottes lächelte liebreich inmitten der Pracht und nickte zuweilen der guten Fee Flora zu. Die kauerte neben dem Kapellchen und guckte um die Ecke. Nach vorn mochte sie nicht kommen, weil sie eine kleine Heidin ist, aber eine brave.
Nein, meine Bußpredigt hätte gar nicht gepasst, es war alles so lieblich und so freundlich. Aber ich habe sie mir eingesalzen, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Ich hielt eine Ansprache und musste mir immer die Augen wischen, damit mir die Tränen der Rührung nicht in den langen Bart rollten. Frau Schnecke weinte so sehr, dass sie den Schnupfen kriegte, und dabei hatte sie ihr Taschentuch vergessen. Dann haben wir gebetet und zuletzt gesungen, dass es nur so schallte durch den stillen Wald. Der Gesang wurde immer mehrstimmiger, und Küster Kuckuck machte schon ein verdrießliches Gesicht.
Zuletzt hat die liebe Mutter Gottes uns allen den Segen gegeben. Auch die gute Fee Flora hat ein bisschen davon mitbekommen. Ich glaube, ich werde sie nächstens noch taufen müssen. Es war ganz dunkel geworden, und zwei Glühwürmchen haben eurem Waldbruder mit ihren Laternchen heimgeleuchtet.
Gestern habe ich eine neue Freundschaft geschlossen, und zwar mit Fräulein Bienchen. Das ist eine vornehme Person, sie wohnt auf dem Weidenhofe in einem großen Bienenstocke und gehört zu dem berühmten Volke der Honigbienen, die eine großmächtige Königin haben. Ich habe ihr das Leben gerettet, von Rechts wegen müsste ich die Rettungsmedaille haben. Aber ich gebe nichts auf Orden; ich glaube, sie würden auch auf meiner groben Kutte gar nicht aussehen. Es kam so.
Ich saß am Waldbächlein mitten in dem blühenden Vergissmeinnicht. Meine Sandalen hatte ich ausgezogen und plätscherte vergnügt mit den Füßen im kühlen Wasser, was ich schon als kleiner Junge gern getan habe. Die Maiensonne schien mir warm auf den Rücken, und ich unterhielt mich gemütlich mit Herrn Krebs, der auf dem Ufersande saß. Erst hatte er Reißaus nehmen wollen, als ich kam, denn wir sind im Mai. Das ist einer von den Monaten ohne den Buchstaben r, und da stellen die Menschen den Krebsen nach, weil sie in diesen Monaten gut schmecken. Als er mich erkannte, blieb er ruhig sitzen und legte seine Scheren friedfertig zusammen.
»Guten Tag, Waldbruder«, sagte er, »Ihr seid zwar ein Mensch, aber doch kein Mörder wie die meisten Menschen. Die Menschen schimpfen immer auf die schlechte Welt, aber sie sind die Schlimmsten von allen und meinen, sie müssten alles auffressen.« Wir waren dann in ein gemütliches Gespräch gekommen, und er hatte mir viel erzählt von dem Leben und Treiben im Wasser. Frau Forelle sei eine sehr gefräßige Person, sagte er, aber Herr Fischotter sei noch viel schlimmer. Er habe vor einigen Tagen die Frau Krebsin aufgefressen, und er, der Herr Krebs, sei nun ein tiefbetrübter Witwer.
»Seht, Waldbruder«, schluchzte er und wühlte etwas aus dem Sande heraus, »das sind die Scheren meiner seligen Frau, das einzige, was von ihr noch übrig ist. Ach, sie war eine Seele von einer Frau und hat mich nie gekniffen, obwohl sie sehr kräftige Scheren hatte.«
Als ich ihm gerade mein Bedauern aussprechen wollte, ertönte ein schriller Hilfeschrei in feinen, durchdringenden Tönen. Ich sah ein Bienchen, das auf einem Stückchen Holz auf dem Wasser dahintrieb und vergebens die nassen Flügel reckte.
»Schnell, Herr Krebs«, rief ich, »schwimmt hinüber und rettet die Person.«
Er zwickte ein paarmal mit den Scheren und glotzt mit den vorstehenden Augen. »Geht mich nichts an«, murrte er dann, »sollte zu Hause bleiben, die naseweise Person!«
Damit kroch er rückwärts in sein Loch und verschwand. Nun sprang ich schnell in das Bächlein und wäre auf den glatten Steinen bald ausgerutscht, aber es gelang mir, das arme Bienchen zu retten. Ich setzte es auf mein Knie in die warme Sonne. Es trug ein graues Jäckchen und dicke, gelbe Höschen von Blütenstaub. Dankbar schaute es mich an mit den klugen Augen und zugleich etwas misstrauisch, ja, es ließ sogar seinen Stachel sehen.
»Armes Kind«, sagte ich freundlich, »beruhige dich nur, ich tue dir nichts. Aber wie kommst du in den Bach?«
Fräulein Bienchen atmete tief auf und zog den Stachel ein.
»Ihr seid ein guter Mann, Waldbruder, und habt mir das Leben gerettet. Das vergesse ich Euch nicht. Ihr sollt zum Danke Honig haben, wir sind reich. Und nun will ich euch meine Geschichte erzählen, bis meine Flügel wieder trocken sind. Ach, wie tut die Sonne doch gut! Seht, Waldbruder, ich lebe auf dem Weidenhofe in dem Bienenhause, das dort im Obstgarten steht. Es ist heute ein Unglückstag. Mit drei von meinen Schwestern bin ich heute Morgen ausgeflogen, mit Minchen, Linchen und Finchen. So wie wir ins Freie kamen, um an die Arbeit zu gehen, wurde Minchen von dem bösen Fliegenschnäpper gefressen. Er hat sein Nest neben dem Bienenhause und sitzt immer auf der Lauer, ob er nicht eine von uns schnappen kann, gerade als wenn wir gewöhnliche Fliegen wären. Ach, das arme Minchen war ein so fleißiges Mädchen! Sie hatte immer die dicksten Höschen an, wenn wir heimkamen, und wurde von der Frau Königin oft gelobt. Ihr wisst, die Obstblüte ist vorbei, und die Lindenblüte hat noch nicht angefangen, und die Heideblüte kommt noch später. Wir flogen über das schöne Kleefeld, das herrlich duftete, und beneideten die dicke Frau Hummel, unsere Tante, die dort bei der Arbeit war.«
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