Die Nacht vor dem ersten Mai war es etwas unheimlich gewesen. Ihr wisst, in der Walpurgisnacht fliegen die Hexen auf Besenstielen zum Blocksberg. Das ist ein mächtiger Berg im Harz; ich bin selbst oben gewesen, aber nicht in der Walpurgisnacht. Da habe ich mit eigenen Augen die Teufelskanzel gesehen, wo der Gottseibeiuns thront, während die Hexen vor ihm tanzen. Frau Eule hatte große Lust hinzureisen. Ich habe ihr aber ins Gewissen geredet und gesagt, sie dürfe niemals wieder in meine Klause kommen. Da ist sie zu Hause geblieben.
Sie hat mir nachher erzählt, ihre beiden Nachbarinnen, die beiden Fledermäuse, seien hingeflogen zum Blocksberge, und da habe der Teufel die eine gebraten und aufgegessen. Die andere ist zurückgekommen und geht jetzt in tiefer Trauer. Aber ich wollte euch von unserem Maifest erzählen.
Ich wurde früh morgens wach von einem durchdringenden Gebimmel und wusste gar nicht, was es zu bedeuten habe. Ich dachte: Ist denn heute Sonntag, dass die Glocken so hell läuten?
Der Specht flog gerade vorbei und gab mir Bescheid: »Maiglöckchen läutet das Maifest ein. Aber ich habe keine Zeit, ich bin Kapellmeister und muss noch schnell eine Generalprobe abhalten.« Er lachte, dass es durch den Wald gellte, und flog weiter.
»Ei«, dachte ich, »wo mag das Fest wohl sein? Und ob ich auch wohl hingehen darf?«
Da kam der Kuckuck und rief mich an. Der Kuckuck ist mein guter Freund und nebenbei mein Küster, wenn ich mal Waldgottesdienst halte. Er antwortet immer so prompt bei der Litanei, und keine ist ihm zu lang.
»Waldbruder«, rief der Kuckuck, »Ihr seid zu unserem Feste geladen auf der großen Waldwiese, Ihr wisst ja, wo. Und kommt nicht zu spät, es fängt gleich an.«
Weg war er. Ich wollte noch fragen, ob man in Frack und Zylinder kommen müsse, ich hätte weder das eine noch das andere. Ach, dachte ich, bei einem alten Waldbruder nimmt man es nicht so genau. Ich steckte mir einen grünen Tannenzweig an die Kapuze und stiefelte los zur Waldwiese. Die liegt ganz versteckt mitten im tiefen Walde, wo rundherum die dicken Eichen stehen.
Das Fest war in vollem Gange, als ich kam. Schon von Weitem hörte ich die Musik. Das hättet ihr sehen sollen, dies Gewimmel und Durcheinander, bunt wie der Regenbogen! Alles sang und tanzte, fiedelte und pfiff und sprang und hüpfte und hopste, Tierlein und Vöglein und Blümlein. Auch die Insekten taten wacker mit, und die dicken Hummeln, die sonst behäbig sind, waren wie verrückt. Am tollsten trieben es die Schmetterlinge, es ging immer im Zickzack mit ihnen. Ich blieb stehen und sah mir zuerst mal die Musik an.
Meister Specht hämmerte den Takt. Die Grillen spielten Geige und fiedelten ohne Bogen, bloß mit den dünnen Beinchen. Frau Amsel führte die erste Flöte, und Fräulein Lerche schlug den Triangel, dass es klingelte und klirrte. Drei dicke Hummeln strichen den Brummbass, und zwei Unken machten seltsame Glockentöne. Dazu kam noch ein hundertstimmiger Gesang aus Vogelkehlen. Sogar Meister Grimbart, der Dachs, tat mit. Es war bloß ein Grunzen, aber es lautete sehr schön. Am Tanzen hatte er keine Freude, er ist zu fett und muss gleich schwitzen. Mir wirbelte der Kopf von all dem Getön und Gedudel.
Da klang es oben »Rab! Rab!« Richtig, Großvater Rabe saß auf dem höchsten Eichbaum und schmunzelte vergnügt herunter. »Großvater«, rief ich herauf, »sollen wir ein Tänzchen wagen?« »Mach dich nicht lächerlich«, krächzte er, »ich bedanke mich noch für den Schinkenknochen, den du mir gegeben hast. Es war freilich nicht mehr viel dran.«
Unterdessen hatte man mich bemerkt, und nun kam eine Abordnung, um mich feierlich in Empfang zu nehmen. Voran ging Küster Kuckuck. Der fromme Mann wackelte ein bisschen; ich glaube, er hatte zu viel von dem Maientau genippt, denn die Glockenblume immerfort kredenzte in schlanken blauen Kelchen. Ihm folgten zwei Vergissmeinnicht als Ehrenjungfern im himmelblauen Kleide. So wurde ich zum Throne geführt, wo der König und die Königin des Festes saßen, und das waren Prinz Waldmeister und Veilchen. Der eitle Fant hatte mir neulich etwas vorgefaselt von der Prinzessin Rebenblüte, aber ich ließ mir nichts merken. Das Veilchen saß wunderlieblich da, ganz verschämt unter seinem goldenen Krönlein.
Neben dem Throne, der mit Purpur ausgeschlagen war, stand für mich ein Sitz bereit. Es war nur ein alter Baumstumpf, aber er war breit und bequem, so recht passend für mich. Man hatte noch ein weiches Moospolster daraufgelegt. Ich ließ mich nieder und sah mir das Tanzen an.
Die Blumen hatten große Toilette gemacht und rochen wunderschön. Am meisten ergötzte mich der Maulwurf. Der plumpe Geselle tanzte mit der hochadeligen Haselmaus und benahm sich sehr täppisch. Er konnte die Sonne nicht gut vertragen und machte die Augen nur halb auf. So kam es denn, dass er drei Paare niedertanzte. Zuletzt bekam er Schläge, fing an zu schimpfen und zu fluchen und kroch in die Erde.
Nach dem Tanze wurde geschmaust und getrunken, lauter feine Sachen, Ameiseneier und Blütenstaub und Lindenhonig – was weiß ich! Ich brachte ein Hoch aus auf das Königspaar und bekam selbst auch ein Hoch, das mein Küster Kuckuck ausbrachte. Er war wieder ganz nüchtern.
Nach dem Essen bin ich etwas eingenickt. Die Wahrheit zu sagen, ich war ein wenig benebelt und weiß nicht mehr, was später noch kam. Sagt es aber nicht weiter, sonst lacht man über euren Waldbruder.
Ich glaube, ihr habt geplaudert! Ich hatte euch von unserm Maifest erzählt, und nun kommt gestern ein langer Mahnbrief, des Inhaltes, dass ich ein ernstes Leben führen müsste, wie es sich für einen Waldbruder gehöre. Ich solle wie Johannes der Täufer von Heuschrecken und wildem Honig leben und die sonderbaren Zaubertränke meiden, die wahrscheinlich berauschender Art seien. Aber Heuschrecken gibt es hier nicht, und wenn es welche gäbe, so möchte ich sie nicht. Sie sind mir zu knusprig. Das bisschen Honig aber, das Frau Hummel mir zuweilen spendiert, kann mein Leben nicht fristen. Und was die Maientautränklein betrifft, so sind sie ganz unschuldig und machen kein Kopfweh. Man muss übrigens nicht glauben, dass wir alle Tage Feste feiern und tanzen. Maifest gibt es nur einmal im Jahre.
Damit ihr nun sehet, dass wir auch fromme Leute sind, will ich euch heute von unserer Maiandacht erzählen. Das könnt ihr dann ruhig weitererzählen, damit wir die Leute draußen erbauen. Sie haben es nötig. Nun muss ich allerdings sagen, dass der Gedanke, eine feierliche Maiandacht zu halten, nicht von mir ausgegangen ist. Ist bete meine Sache gewöhnlich allein. Das fromme Reh ist auf den Gedanken gekommen. Eines Abends in der Dämmerung klopfte es bescheiden an meine Klause. Als ich hinausschaute – ich schaue lieber hinaus und rufe nicht gleich herein, seitdem mir der Igel einmal gekommen ist und sich so breit bei mir gemacht hat, dass ich mich immer an seinen Stacheln stieß –, also, als ich hinausschaute, stand Jungfer Reh draußen. Sie machte einen schönen Kratzfuß, schaute mich mit den braunen Augen an und sagte, sie hätte ein Anliegen.
»Mit Vergnügen«, sagte ich, »nur heraus damit!«
Ich sollte ihnen doch einmal eine schöne Maiandacht halten, meinte sie. Zum ersten Mai sei ich ja zu spät gekommen, jetzt möchten sie noch einmal die liebe Gottesmutter grüßen und ehren und dabei solle ich ihnen helfen. Die Frömmigkeit sei auch etwas lau geworden, und hie und da zeige sich heidnisches Wesen. Vielleicht würde sogar der arge Räuber, Reineke der Fuchs, sich bekehren; er triebe es arg und habe vor acht Tagen ein kleines Rehbrüderlein aufgefressen.
»Gegessen«, sagte das Reh, denn es drückt sich immer sehr anständig aus. Ich schämte mich etwas, dass ich in dieser Weise angemahnt werden musste, und sagte ohne Weiteres zu.
Am nächsten Morgen berief ich meinen Küster Kuckuck, um mit ihm zu überlegen. Er schluckte rasch eine haarige Raupe herunter, die gerade im Schnabel hatte, und erklärte, er wolle sein Mögliches tun.
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