Er zog noch ein längliches lilasamtenes Futteral heraus und öffnete es, daß die darin liegende Kette aus geschliffenen goldgelben Perlen in der Sonne funkelte.
„Sieh her, Kind, das ist der Schmuck, den die Zwerge deiner Namensschwester, der Göttin Freya, schmiedeten. Wie hieß er bei Asen und Alben?“
„Breysing!“ jubelte das Kind, und schon lag die Kette um ihren Hals und ein Kuß auf ihren Lippen.
„Es ist wirklich zuviel, Egon“, sagte jetzt auch die Großmutter.
„Was kann für ein solches Geschöpf zuviel sein?“
Man ging zu Tische. Ein Zufallsbesucher, den man zu bleiben bat, vermehrte die Gesellschaft. Vanadis saß gefeiert zwischen ihrem Freund und dem Vater an der blumengeschmückten Tafel, horchte auf die Reden der Erwachsenen und nippte von dem ihr ungewohnten Weine. Es wurde ein Trinkspruch auf sie ausgebracht, der Fremde stattete seinen Glückwunsch ab, dann aber verwickelten sich die Herren in eine gelehrte Unterhaltung, der sie nicht folgen konnte. Nach der Mahlzeit wurden die Kinder weggeschickt, Vanadis mit ihnen. Als sie knicksend um den Tisch ging, sich von allen zu verabschieden, küßte Egon sie auf die Stirn. Das war alles. Daß sie Braut und Bräutigam waren, mußte er wie die andern vergessen haben. Dann sah sie vom Fenster aus, wie ihr Vater und Egon den fremden Herrn zur Stadt zurückbegleiteten.
Der Tag ging zu Ende wie jeder andere, sie begriff das nicht.
Als nun die Familienhäupter mit Baron Solmar zu Abend speisten – die Kinder pflegten zum Abendbrot nicht mehr zu erscheinen –, ging plötzlich die Türe auf, und herein bewegte sich ein seltsamer Aufzug: Voraus schritt Vanadis, den kostbaren Brautschleier der Großmutter auf dem Kopf, den sie sich heimlich aus der Lade geholt hatte, ein Prachtstück alter Nadelarbeit, darüber ein Kränzlein aus Myrtenknospen, das ihr der Myrtenstock hatte lassen müssen, Egons Bernsteinkette um den Hals und in jeder Hand eine brennende Kerze auf silbernem Leuchter. Ihr folgte Estherchen, gleichfalls weiß gekleidet, die die lange feingestickte Schleppe des Brautschleiers mit kindlicher Anmut hielt. So umschritten sie langsam die Tafel, bis Vanadis vor Egon stehenblieb und ihn aufmunternd ansah. Dieser staunte über die elfenhafte Zartheit des Kindes, dessen feines Gesichtchen mit den strahlenden Augen ihm aus dem duftigen, zu beiden Seiten niederrieselnden Gewebe mit heiligem Ernst entgegensah, und wunderte sich zugleich, was der seltsame Einfall bedeute.
„Was willst du von mir, mein Liebling?“ fragte er.
„Ich will, daß du mich jetzt heimführst auf deine Selige Insel, weil wir heute Braut und Bräutigam sind.“
Das Wort „heimführen“, das ihr aus den vielen gelesenen Geschichten geläufig war, hatte einen besonderen Reiz für sie, vielleicht weil ihrem eigenen mutterlosen Leben doch das richtige Heimgefühl fehlte.
„Ach so“, erinnerte sich der vergeßliche Bräutigam. Er hielt sie an beiden Händchen fest, nachdem er ihr zuvor die Leuchter abgenommen hatte, und sah sie mit tiefem Entzücken an.
„Freilich“, sagte er, „ist heute unser Hochzeitstag, du süßer Schatz. Aber siehst du, das mit dem Heimführen läßt sich so schnell nicht machen. Mein Haus ist noch nicht gebaut, und bis es fertig wird, müßtest du auf Streu schlafen statt in deinem schönen weißen Bettchen. Auch auf der Seligen Insel braucht man ein Haus, um drin zu wohnen, sonst fressen einen die wilden Tiere. Wachse du unterdessen fort und bleibe mir schön und gut wie jetzt und lerne fleißig, daß ich eine verständige kleine Frau bekomme. Wenn es an der Zeit ist, will ich dich schon holen.“
Dabei küßte er sie zärtlich auf beide Wangen. Jetzt hielten auch die andern nicht mehr an sich, das Kind wurde von einem Arm in den andern gezogen und mit Liebkosungen erdrückt.
„Wenn dich doch deine Mutter sehen könnte“, sagte Herr Folkwang, indem er das Töchterchen auf sein Knie zog, was sich Egon neuerdings nicht mehr gestattete. Aber sie strebte gleich herunter und warf sich erschüttert in die Arme der Großmutter.
Diese hatte zuerst etwas betreten geblickt zu dem Mißbrauch, der mit ihrem sorglich gehüteten Prunkstück getrieben wurde. Aber sie konnte diesem Kind nicht böse sein, sie umschlang sie mit zärtlichem Stolz und sagte:
„Daß ich das erleben darf, unsere kleine Vanadis als Braut zu sehen.“
Jedoch das kleine Idyll sollte einen traurigen und schrecklichen Ausgang nehmen.
Als das Stubenmädchen dem alten Herrn van der Mühlen, der niemals an einer gemeinsamen Mahlzeit teilnahm, sondern auf seinem Zimmer bedient wurde, das Essen brachte, sagte sie scherzend:
„Herr Baron, Sie sollten doch Ihre Enkelin sehen, die heute Braut ist, wie schön ihr der Hochzeitsschleier steht.“
Der alte Herr, dem die Zeit- und Altersbegriffe mehr und mehr zu schwinden begannen, nahm den Scherz für Ernst und mochte sich vorstellen, daß Vanadis, die er am Morgen als Kind gesehen hatte, unterdessen erwachsen sei. Nun wollte er sie zu ihrem Brauttag beglückwünschen und tat, was er nie getan hatte. Sobald das Mädchen gegangen war, setzte er sein Mützchen auf und nahm einen Leuchter zur Hand, um sich in das untere Stockwerk hinabzubegeben. Wie es zuging, konnte man hernach nur vermuten. Aller Wahrscheinlichkeit nach blies ihm ein Luftzug von unten die Kerze aus, und er trat fehl. Mitten in die frohen Stimmen der Tischgesellschaft hinein erdröhnte plötzlich ein langandauerndes Gepolter auf der Treppe, dem ein Schrei und ein hartes Aufschlagen folgte, das klang, als ob ein Haufe Knochen ausgeschüttet würde. Der alte Herr war die Stufen herabgekollert und lag bewußtlos am Fuß der Treppe. In jämmerlichem Zustand, ganz zerstoßen und zerbeult, wurde er in sein Bett gebracht, von dem er sich nicht mehr erhob. Der Arzt stellte eine innere Verletzung fest. Mit großer Lebenszähigkeit wehrte sich der arme, schwache Körper, den sein Geistiges schon lange zuvor verlassen hatte, noch mehr als vierzehn Tage, während die Großmutter nicht von seinem Lager wich. Dann trugen sie einen Toten hinaus.
Der Gast war gleich nach dem Unfall abgereist. Vanadis ging stille, wie schuldig, um die Großmutter her, die sich in der Pflege des nie geliebten Mannes fast aufgezehrt hatte und jetzt untröstlich war, als ob sie den besten Inhalt ihres Lebens hingeben sollte, während die Geschwister unter der Tür standen und dem schwarzen Zuge nachsahen, bei dem sie sich schlechterdings nichts denken konnten.
Aber ein seltsamer Spuk ließ das Haus Folkwang nicht zur Ruhe kommen. Am Abend nach dem Begräbnis, als alle aus Ermüdung ganz früh zu Bette lagen, mit Ausnahme Vater Folkwangs, den ein Geschäft nach auswärts gerufen hatte, wurden sie plötzlich durch ein starkes Gepolter auf der Treppe aufgeschreckt. Man hörte das Herunterkollern eines Körpers von Stufe zu Stufe und ein hartes Aufschlagen auf dem Grund. Alles lief halbbekleidet zusammen, überzeugt, daß ein neues Unglück geschehen sei. Da war jedoch nichts zu sehen, kein Tier, kein gefallener Gegenstand, und keines von den Hausgenossen fehlte: sie standen alle staunend und ratend umher, die Kinder drückten sich zusammen und bebten. Am nächsten Abend dasselbe Poltern, derselbe Aufschlag und wieder niemand gefallen, kein Anlaß des Lärms zu entdecken. Schon begannen die Dienstboten zu raunen, daß sich der alte Herr „anzeige“, er habe noch immer die Absicht nicht aufgegeben, seine Enkelin zu sehen, und müsse, solange ihn die Sehnsucht treibe, jede Nacht den Todessturz wiederholen. Diese litt unaussprechliche Ängste, sie getraute sich nicht mehr in die Wohnung der Großmutter hinauf, von wo das Geräusch seinen Ausgang nahm, sie meinte, der Großvater sitze dort oben mit seinem Mützchen auf dem Kopf und erwarte sie. Glücklicherweise kam der Vater schon am dritten Tag zurück und ließ alsbald eine starke windgeschützte Lampe an der steilen Treppe anbringen, die bis dahin jedes mit der eigenen Kerze erstiegen hatte. Die Beleuchtung vertrieb den Spuk: das Fallgespenst ließ sich nicht weiter vernehmen.
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