In den dänischen Landen waren sie nunmehr vogelfrei, dorthin konnten sie nicht zurückkehren. Sich unter den Sveakönig zu begeben, dazu hatten sie auch keine Lust. Die Frage war: Wohin sollten sie ihren Weg nehmen?
Während sie ihre Wunden versorgten, kam einer nach dem anderen von den Dänen, die König Hårik früher verwiesen hatte. Das Gerücht, wohin Rollo geflüchtet war, hatte sie erreicht. Rollo war darüber nicht besonders froh; je mehr sie wurden, desto schwerer war es, alle mit Essen zu versorgen - und bald würde auch König Hårik erfahren, wo sich Rollo befand. Hatten sie Pech, würde einer von den Jarlen des Sveakönigs kommen und sie vorher vertreiben.
Rollo war noch von seinen Wunden erschöpft und schlief mehr, als er wach war. Träumte er oder hörte er wirklich eine Stimme? „Rollo, steh auf, sei guten Mutes und zieh sofort über das Meer nach England!“
Den Gedanken konnte er jedenfalls selbst gedacht haben - und hatte es auch getan, mehr als einmal! Aber nun wurden auf einmal alle die Neugekommenen ein Zuwachs. Sechs Schiffe mit genug Volk, sie zu bemannen, voll bewaffnet – ja, gewiss würden sie rüber nach England ziehen können.
Ganz willkommen in England waren sie nicht! Sie mussten harte Kämpfe austragen, dort wo sie landeten, aber sie hatten nichts anderes als das Leben zu verlieren und schlugen sich mit dem Mut der Verzweiflung, bis die Angeln - oder wer diese waren - flohen, Gefallene und Gefangene hinterlassend. Nun konnte Rollo wenigstens verhandeln! Er sandte Botschaft zum König der Angeln und versprach seine Gefangenen frei zu lassen, wenn sie über Winter bleiben durften; dann würden sie weiterziehen - sie hatten nichts Böses gegen das Volk von England im Sinne, sie waren nur arme dänische Landesflüchtlinge, vertrieben von ihrem König.
Den Rest kann man hier nun auslassen: die Jahre in Friesland und Flandern, mal mit dem einen, mal dem anderen nordischen Heerführer, die Rückkehr nach England und seinem großen Glück bei König Gudrum in Ostangeln. Er wollte auf den Traum zurückkommen, für den er abgelehnt hatte, ein mächtiger Jarl bei König Gudrum zu werden, der Traum, der schuld war, dass er sich nicht zurück nach Dänemark oder Halland mit seinem ständig wachsenden Heer begeben hatte – das wäre nicht geschehen, bevor er nicht selbst Dänemarks König gewesen wäre!
Den Traum hatte er während eines widrigen Winters in England:
Er befand sich plötzlich in einer wunderbaren fränkischen Stadt oben auf einem hohen Berg. Hier wollte er wohnen! Er ging zwischen den Häusern umher und fand alles bemerkenswert und vortrefflich. Das einzige Verwunderliche war, dass er ganz einsam war. Es war nicht ein einziger Mensch zu sehen ... Aber gerade das bekümmerte ihn nicht. Er ging zur Stadtmauer und bewunderte ihre Stärke und ihre Befestigungstürme. Was für eine Stadt konnte das sein? Gerade als er stand und das schöne Stadttor betrachtete, fühlte er, wie es begann, am ganzen Körper zu jucken. Er kratzte sich, wo er hinkommen konnte, aber das hatte keine Wirkung, brachte keine Linderung. Da sah er auf seinen Körper herunter, er betrachtete seine Hände und riss sein Hemd auf und schaute: Ja, überall war er von den widerwärtigen Zeichen des Aussatzes bedeckt.
Vielleicht waren alle vor seinem Anblick geflohen? Drinnen in der Stadt durfte keiner mit Aussatz sein, soviel er wusste. Raus und weg! Aber - wie hatte er diese furchtbare Krankheit so plötzlich bekommen können?
Er rettete sich auf die Spitze des Berges hinauf, während er seine arme Haut kratzte, bis sie blutete. Während er den Hang hinaufzog, hörte er Wasser rauschen. Der Laut kam immer näher, je höher er kletterte. Und da, da lag eine Quelle, von der das Rauschen kam. Er legte sich auf die Knie, um zu trinken, aber zuerst spiegelte er sich in dem klaren Wasser und bemerkte, wie das Wasser duftete. Wie Rosen, wie ... Er hatte keinen Vergleich. Gewiss war: Einen so lieblichen Duft hatte er vorher nicht gekannt!
Er wölbte die Hand und trank. Das Wasser war nicht kalt, wie er erwartet hatte, und doch war es kühl. Sonderbar! Vielleicht würde es sein Jucken lindern, wenn er in die Quelle stieg? Es war vielleicht einem Aussätzigen nicht erlaubt, dieses herrliche Wasser zu besudeln, aber er sah sich um und fand immer noch keinen Lebenden in Sicht. Also zog er seine Lumpen aus und ließ sich in die kühlende und doch lauwarme Quelle sinken. Er schauderte, als er seine aufgeschwollene, schwammartige Haut mit den dunklen Flecken sah. Er konnte sich auch gleich in die Quelle sinken lassen und sich darin ertränken.
Er sank nicht! Er taucht erneut unter die Oberfläche, aber die Quelle hob ihn gleichsam auf ihren Händen. Er legte sich auf den Rücken, während er darüber nachdachte, was für eine merkwürdige Quelle das sein konnte. Als er so lag, sah er seinen Körper in voller Länge. Er sah und sah nicht; das konnte keinesfalls sein Körper sein, weil der ganz frei von den unheimlichen Zeichen des Aussatzes war. Er hob seine Hände; auch die waren sauber. Er sprang aus der Quelle, so schnell er vermochte, und wartete angestrengt darauf, dass sich die Quelle wieder beruhigte, um sein Angesicht in ihrem Spiegel sehen zu können. Nicht einmal dort konnte er Zeichen der Krankheit finden. Und das Jucken - das war auch vollständig verschwunden!
Er warf sich auf den Rücken und lachte laut: Er hatte eine wundertätige Quelle gefunden! Da sah er, der Raum über ihm war voller Vögel. Ja, es waren Vögel überall um ihn herum: Es mussten Tausende sein. Einige erkannte er wieder, andere waren ihm fremd, ja, es gab alle Arten, kleine und große, schwarze und weiße und blaue und rote und grüne und ... Das Sonderbarste war, manche der Vögel hatten dunkelrote linke Flügel, während der Rest weiß war.
Staunend vor Verwunderung sah er die Vögel sich über ihm in immer engeren Runden schwingen. Gedachten sie, ihn zu überfallen? Nein, sie senkten sich in die Quelle, so viele, wie Platz finden konnten - und nun schien es, als ob sich die Quelle zu einem gewaltigen See weitete, wo alle Vögel Platz hatten. Sie schüttelten sich, sie rüttelten sich, sie schlugen mit den Flügeln, sie plusterten ihre Federn auf, um sich ganz und gar baden zu können. Genauso hatte er Vögel gesehen, wie sie sich im Sand putzten. Das sah unermesslich lustig aus; kurz vor dem Regen, wurde gesagt, baden Vögel am ganzen Körper im Sand.
Da sah er, die roten linken Flügel waren weiß geworden. Sofort waren alle Vögel aus dem See heraus - und der sah nun wieder aus wie die Quelle von Anfang an. Dicht, dicht saßen sie alle zusammen um ihn herum, ganz ohne Angst; es war so, als ob es ihn nicht gab. Sie flatterten mit den Flügeln und plusterten sich erneut auf, nun, um überall mit den Schnäbeln hinzukommen, um sich trockene oder lose Federn auszuzupfen. Art saß mit Art vermischt, Habichte und Tauben untereinander, ein Bussard und ein Spatz standen sich gegenseitig darin bei, den Körper zu zupfen - um besser heranzukommen, musste der Spatz auf den Kopf des Bussards flattern und putzen; es sah aus, als ob der Spatz den Bussard kämmte.
Rollo lag zurückgelehnt, sah und lachte. Das Merkwürdige wurde in das Muntere vertauscht; er sah nicht weiter das Sonderbare, er lachte nur und fühlte sich wohl.
Aber bald nahm die Verwunderung erneut überhand. Der stellenweise kahle Berg war auf einmal mit Kräutern und Beerenbüschen übersät. Und sofort setzten sich die Vögel in Gang, um zu fressen. Keiner hackte den anderen, und alle schienen reichlich Futter zu finden, ohne sich im geringsten anzustrengen.
Was sollte hiernach geschehen? Nun fühlte sich Rollo wie auf einem Großfest: Er war bereits satt, aber lag und wartete auf das nächste Gericht, um zu sehen, welche Leckereien angeboten würden.
Er brauchte nicht lange zu warten. Gab es vorher Bäume und Büsche um ihn herum? Ja, vielleicht, aber nicht so viele. Nun gab es dort so viele, dass sie für alle Vögel reichten, wie groß sie auch waren und wie klein sie auch schienen. Und als alle fertig gefressen hatten, begannen sie Zweige und Spreu zu sammeln, rupften Daunen und Blätter ab. Sie webten die kunstfertigsten Nester, manche in den Bäumen und Büschen, andere auf der flachen Erde - viele von ihnen ganz nahe bei ihm. Immer noch ganz ohne Angst legten sich die Weibchen, um zu brüten. Er konnte die Hand ausstrecken und die nächsten berühren.
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